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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

165–168

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Klän, Werner

Titel/Untertitel:

Die evangelische Kirche Pommerns in Republik und Diktatur. Geschichte und Gestaltung einer preußischen Kirchenprovinz 1914–­1945.

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 1995. XIV, 670 S. gr.8° = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, 30. Pp. DM 142,­. ISBN 3­412­04195­5.

Rezensent:

Hans-Günter Leder

Die neuere Kirchengeschichte Pommerns bildete über Jahrzehnte ein empfindliches Desiderat der Forschung. Mit der umfänglichen, von W.­D. Hauschild in Münster angeregten und dort eingereichten Habilschrift von W. Klän liegen nun Untersuchungen vor, die diese vielbeklagte Lücke schließen. Sie besitzen ihren eigentlichen Schwerpunkt in der Darstellung des Kirchenkampfes, wenden sich jedoch mit der Einbeziehung der Zeit der Weimarer Republik der neueren Kirchengeschichte Pommerns unter weitergespannten Gesichtspunkten zu. Mit Recht macht K. geltend, daß die "Kirchengeschichte der Weimarer Zeit" keineswegs "nur als ’Vorgeschichte’ des ’Kirchenkampfes’ gesehen werden" dürfe. Sie sei "mindestens in gleichem Maße ’Nachgeschichte’ des Kaiserreichs" (8 f.). Dementsprechend sei den Kontinuitäten wie den Brüchen in der Kirchengeschichte dieser Zeit nachzugehen (9).

K.s umsichtig gearbeitete Untersuchungen basieren auf einer beeindruckend breiten Quellenbasis, wie sie bisher für die pommersche Kirchengeschichte der fraglichen Jahrzehnte noch nicht berücksichtigt worden ist. Ausgezahlt hat sich, daß K. auch polnische Archive sorgsam durchforscht hat und dort auf weitaus mehr ein schlägiges Material gestoßen ist, als zunächst anzunehmen war. Kritisch zu beachten ist jedoch, daß die Quellenbasis für die verschiedenen Kirchenkreise der Provinzialkirche Unterschiede aufweist, so daß die Verallgemeinerungsfähigkeit daraus abgeleiteter Urteile zum Teil eingeschränkt wird. Die verwendeten Quellen sind nicht nur dokumentiert und damit erschlossen, sondern kommen vielfach in Zitaten zu Wort. Damit erhalten K.s Ausführungen einen beträchtlichen Grad an Authentizität, so gewiß derartige Zitate naturgemäß nur Eindrücke, nicht aber das Ganze vermitteln. Hervorgehoben sei weiter, daß K., soweit irgend möglich, auch kirchliche Presse-Erzeugnisse (Kirchenblätter und dergl. mehr) berücksichtigt hat, die wichtige Aspekte der breiteren Stimmungslage in kirchlichen Kreisen in Pommern widerspiegeln. Dazu treten ­ ungleich wichtiger ­ das Amtsblatt der Provinzialkirche sowie die Verhandlungsberichte der Provinzialsynoden. Daß für die Zeit des Kirchenkampfes dann vor allem die Rundbriefe der Bek. Kirche und andere vervielfältigte Materialien berücksichtigt sind, dazu unzählige Schreiben, Berichte usw., versteht sich im Grunde von selber. Auch hier ist das Bemühen um Authentizität unverkennbar. Die vorgenommenen Interpretationen wirken, von wenigen Ausnahmen abgesehen und teilweise mit der bereits genannten Einschränkung, quellenmäßig gedeckt und in sich stimmig.

In allen Teilen seiner Untersuchungen ist K. sorgfältig darum bemüht gewesen, die Vorgänge in der pommerschen Provinzialkirche nicht nur in den kirchengeschichtlichen Rahmen in der APU, sondern, soweit erforderlich, auch in den Kontext der deutschen Kirchengeschichte jener Jahrzehnte überhaupt einzuordnen. Andererseits hat er mit gleicher Sorgfalt darauf geachtet, bestimmte Spezifika der pommerschen Kirchengeschichte jener Jahrzehnte zu ihrem Recht kommen zu lassen und seine Darstellung nicht etwa gesamtkirchengeschichtlich zu nivellieren. Nach Auffassung des Rez. ist das weithin gelungen.

Hinsichtlich der Darstellung hat sich K. für eine verlaufsgeschichtliche Anordnung entschieden. Dies hat begreiflicherweise eine starke Aufgliederung der Arbeit zur Folge. Die thematische Orientierung der Kapitel steuert dem Problem eventueller Zergliederung jedoch mit einigem Erfolg entgegen. In dieser Hinsicht hätte ein ­ leider fehlendes ­ Sachregister zweifellos beträchtliche Hilfe bei der Orientierung geleistet. Die verlaufsgeschichtliche Darstellung zielt auf ein "Gesamtbild der Kirchenprovinz Pommern in ihrer Entwicklung von 1914 bis 1945" (10).

Die Darstellung ist nach der informationsreichen Einleitung, die wesentliche Auskünfte über ihre Zielstellung und methodische Gestaltung vermittelt, in neun, je nach Gegebenheiten unterschiedlich lange Kapitel gegliedert. Zunächst befaßt sich K. mit der Ausprägung einer nationalprotestantischen Mentalität in Pommern (1914-1921). Das 2. Kapitel ist der kirchlichen Standortbestimmung ­ in der auch in Pommern ungeliebten Weimarer Republik ­ und dem Strukturwandel in der Provinzialkirche (1921-1927) gewidmet. Im 3. Kapitel wird die Kirchenprovinz Pommern in der Phase "relativer Stabilität" (1926-1929) behandelt. Dem folgt ein umfangreiches 4. Kapitel, in dem K. der fortschreitenden Politisierung des kirchlichen Lebens in Pommern in den letzten Jahren der krisengeschüttelten Weimarer Republik nachgeht (1929-1933).

Die nachfolgenden fünf umfangreichen Kapitel wenden sich sodann dem Kirchenkampf zu: Kap. 5: Der Aufmarsch der ’Deutschen Christen’ in Pommern (1932-1934) ; Kap. 6: Der Ausbau der Bekennenden Kirche in Pommern (Mai 1934 bis November 1935); Kap. 7: Die Phase des Pommerschen Kirchenausschusses (Dezember 1935 bis September 1937). ­ In diesen Zeitabschnitt gehört nicht nur die wegen ihrer Eigenheiten besonders interessante Darstellung der unter beträchtlichen Schwierigkeiten erfolgenden Konstituierung des Prov.-Kirchenausschusses und seiner dann durchaus erfolgreichen Arbeit, sondern auch die erregende Geschichte der tiefgreifenden Krise der BK in Pommern, die zu dem keineswegs unbegründeten Urteil verleitete, sie habe etwa Ende 1936 bereits das Bild einer weitgehenden Auflösung geboten. Kap. 8 beschäftigt sich mit der "Sammlung der Mitte" (Juni 1937 bis August 1939) und behandelt damit Vorgänge, die nach der ministeriell verfügten Auflösung des Prov.­Kirchenausschusses eine in mancher Hinsicht neue und in den Kräfteverhältnissen z. T. nur schwer exakt durchschaubare Etappe in der Geschichte der pomm. Kirche bezeichnen. Unzweifelhaft verlor die von ihrer Krise nicht erholte Bek. Kirche in dieser Zeit weiter an Boden. Für Kap. 9: Die Kirchenprovinz Pommern im II. Weltkrieg, standen K. nur relativ schmale Quellenmaterialien zur Verfügung. Dies hat sich notwendigerweise auf die Darstellung ausgewirkt. ­ Schließlich wird auf knapp 5 Seiten das Ergebnis formuliert, das man sich etwas ausführlicher gewünscht hätte.

Überzeugend wird sichtbar, in wie starkem Maße die pommersche Kirchengeschichte jener Jahrzehnte in die Gesamtentwicklung eingebettet war, wie sehr sie andererseits aber auch unverkennbar eigene Züge getragen hat. Das gilt insbesondere für die Zeit des Kirchenkampfes. So hatten in Pommern Extreme weithin kaum Chancen. Bereits relativ früh, vor allem aber dann von der Phase des Provinzialkirchenausschusses ab, wurden Ausgleichs­ und Integrationsbestrebungen favorisiert im Sinne der Schaffung einer breiten, in sich jedoch gegliederten "kirchenpolitischen Mitte". Dies wurde nach K. ermöglicht durch ein in Pommern "tief verwurzeltes volkskirchlich-nationales Denken" (621) sowie durch ein weit verbreitetes "Bedürfnis nach gesamtkirchlicher Integration und Konfliktvermeidung" (ebda).

Unbeschadet dessen hat sich der Kirchenkampf auch in Pommern in z. T. heftigen, existentiellen Einsatz erfordernden und von staatlichen Gewaltmaßnahmen gegen die BK begleiteten Konflikten vollzogen. Angesichts des tatsächlichen Befundes ("nur etwa drei Prozent der evangelischen Bevölkerung" gehörten "zur Bekennenden Kirche") erscheint dem Rez. allerdings etwas zweifelhaft, ob das Urteil von K., der Kirchenkampf habe in Pommern Merkmale einer "religiösen Volksopposition" getragen, gerechtfertigt ist. Weiter wäre zu fragen, ob nicht die Potenz des Widerständigen von K. generell etwas überschätzt wird. Damit gerät man allerdings in hier nicht zu erörternde Grundfragen der Deutung der politischen Relevanz des Kirchenkampfes.

Bei dem Umfang des Werkes und der Fülle der be- und verarbeiteten Materialien ergeben sich verständlicherweise Ansatzpunkte für kritische Fragen zu Details. Begreiflich erscheint, daß die in einer derartigen Gesamtdarstellung behandelten Personen nicht biographisch-detailliert und im Blick auf ihre jeweiligen Motivationen untersucht werden konnten. Hier waren Ein- und Zuordnungen, die bei spezifizierter biographischer Untersuchung diskutierbar erscheinen könnten, schlechterdings unvermeidbar.

Der Rez. meint jedoch, daß K. die handelnden Hauptpersonen in ihren Intentionen und ihrem Verhalten weithin zutreffend charakterisiert hat. Das schließt Rückfragen in Einzelfällen nicht aus. Als problematisch erweist sich die verlaufsgeschichtliche Darstellung im Falle der Theologischen Fakultät in Greifswald. K. hat mit Recht auf das Desiderat einer Fakultätsgeschichte hingewiesen. Um so weniger ist die Aufgliederung in mehrere auf die entsprechenden Kapitel verteilte Abschnitte geeignet, ein genaueres Bild von der Situation an der Fakultät und von ihrer ­ bei K. doch wohl etwas unterschätzten ­ Bedeutung für die Formierung von kirchenpolitischen Positionen in der Provinzialkirche zu zeichnen. Hier sind weitere gezielte Untersuchungen unbedingt erforderlich.

In Details sind gelegentlich Unebenheiten unterlaufen. So erscheinen in manchen Fällen biographische Elementarinformationen nicht bei der Ersterwähnung, sondern erst an späterer Stelle. Vereinzelt sind zu Personen fehlerhafte Angaben oder Informationslücken zu beobachten. Darauf kann jedoch in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. In Einzelfällen sind Ungenauigkeiten oder Widersprüche festzustellen; so, um ein Beispiel zu nennen, im Blick auf die Pensionierung des Kons.-Präsidenten Wahn, der schwerlich (s. 284) bereits im März 1933 ein entsprechendes Gesuch gestellt haben dürfte (vgl. weiter 226 mit 272). Insgesamt sind dem Rez. jedoch nur relativ wenige Mängel solcher Art aufgefallen. Auch die Anzahl der Druckfehler (darunter keine sinnentstellenden) bewegt sich in einer vertretbaren Größenordnung.

Das Buch schließt mit einem Verzeichnis der benutzten Archive, Nachlässe und Sammlungen, einem umfänglichen, in sich untergliederten Lit.-Verzeichnis sowie einem Orts- und einem Personenregister. In diesem gehört die bei "Onnasch, Friedrich" zu findende Seitenangabe "508" zu "Onnasch, Fritz".

Wichtige im landeskirchlichen Archiv in Greifswald vorhandene Materialien für die Jahre 1933 und Anfang 1934 aus dem Nachlaß von Sup. K.v. Scheven, Greifswald, ab Dez. 1935 Vors. des Provinzialkirchenausschusses, hat K. für seine Darstellung bedauerlicherweise nicht berücksichtigen können, da sie für ihn, wie der Rez. erfahren hat, unzugänglich blieben.(Ihre Auswertung erfolgte im Amtsblatt der Pomm. Ev. Kirche 1991, Nr. 6, in einem Aufsatz von Frau Pastorin B. Metz.) Daraus geht u. a. hervor, daß sich in der fraglichen Zeit (unter aktiver Beteiligung mehrerer Professoren der Fakultät) in Greifswald und Vorpommern ein erstes Widerstandspotential der Jungreformatorischen Bewegung zu formieren begann.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß mit K.s Untersuchungen noch nicht das letzte Wort zur Kirchengeschichte Pommerns von 1914 bis 1945 und zumal im Blick auf den Kirchenkampf in der Provinzialkirche gesprochen ist. Gleichwohl kann ihre Bedeutung für die Erforschung dieser Zeit kaum überschätzt werden. Daß sie nachhaltige Impulse für weiterführende Detailstudien bzw. spezifizierende Untersuchungen vermitteln werden, erscheint so gut wie sicher. Man kann dem Vf. nur hohe Anerkennung zollen und Dank sagen für die außerordentliche Arbeitsleistung sowie die beeindruckende Gesamtdarstellung, die als ein markantes Ereignis in der pommerschen Kirchengeschichtsschreibung betrachtet werden darf.