Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1364-1365

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gignilliat, Mark S.

Titel/Untertitel:

Karl Barth and the Fifth Gospel. Barth’s Theological Exegesis of Isaiah.

Verlag:

Farnham-Burlington: Ashgate 2009. XIV, 167 S. gr.8° = Barth Studies. Lw. £ 55,00. ISBN 978-0-7546-5856-6.

Rezensent:

Richard E. Burnett

Nur wenige, die sich heute Zeit nehmen, Barths biblische Exegese zu untersuchen, sind bereit, ihn als rein biblizistischen »concordance exegete« abzutun, wie es in seiner ganzen Karriere manche Kritiker im Bereich der biblischen Studien getan haben. Ein neues Überdenken von Barth als biblischem Exegeten begann schon vor langer Zeit. Trotz neuen Interesses an diesem Thema gibt es noch viele Fragen darüber, was Barth unter der »theological exegesis« verstand. Nur wenige der entstandenen Studien seiner Hermeneutik konzentrieren sich auf Barths eigentliche exegetische Praxis, noch weniger auf seine alttestamentliche Exegese, und bis jetzt anscheinend gar keine auf ein bestimmtes Buch des Alten Testaments. G.s Studie ist von daher ein sehr willkommener Beitrag.
Seit seinem ersten Römerbrief (1919) war die Hauptkritik gegen Barth, dass er die Ergebnisse der historischen Kritik nicht ernst genug nähme. Barths scharfe Erwiderung, er wünsche sich, die his­torischen Kritiker würden »more critical« sein, und sein Einwand, dass die kritische biblische Forschung ihm bekannt sei und er wirklich Interesse daran habe, stießen auf allerhand Skepsis. Viele glaubten, Barth täusche etwas vor. G. denkt anders. Barth sei im Allgemeinen »fully aware of the dominant landscape of Old Testament scholarship during his day« (59), und »well aware« über die neueste »cutting edge«-Forschung (63) zum Buch Jesaja. Barth war kein »pre-critical«, sondern wirklich ein »post-critical« Interpret (101).
Barth nähert sich eindeutig dem Alten Testament als christlicher Schrift und G. zeigt, wie er manchmal verzweifelte, be­sonders an denjenigen Gelehrten der Theologischen Fakultäten, die das Alte Testament einfach nur als »pre-Christian text« behandelten (15), hermeneutisch verschlossen für die christologische Interpretation. Aber Barths Ansatz ist nicht »unsophisticated«, nicht ein »flattening out« sondern ein »respecting the discrete voice of the Old Testament« (60). Es ist nicht ein beweisen wollender oder »arrow-shot prophecies« Ansatz. Vielmehr untersucht er oft (oder zumindest öfter, als man ihm zuschreibt) den historischen Zusammenhang des gegebenen Textes und bespricht, was er vielleicht bedeutet haben könnte für die damalige Zeit oder Umstände. Nachdem er die verschiedenen Möglichkeiten erörtert, neigt er dazu, die allein auf historischer Rekonstruktion aufgebauten Interpretationen zu einer »perhaps categorie« zu relativieren, d. h. er relativiert »the historical ›perhaps‹« zu »the theological ›therefore‹« angesichts der endgültigen Form und kanonischen Botschaft des Textes. Im Hinblick auf das Buch Jesaja beachtet Barth z. B. die »incomplete nature« der Texte, wo die endlose Stille ein Aufschrei zu sein scheint nach größerer, eschatologischer Erfüllung, wo die Identifikation von Israel, Immanuel und dem leidendem Knecht absichtlich zweideutig scheint, wo »precise, his­tor­ical identification is not allowed by the text itself« (82), wo eine »enduring message« für »future generations« deutlich beabsichtigt ist. Dies gilt nicht nur für Jes 53, sondern auch für einige andere Texte, wie Jes 49, wo nicht klar ist, ob hier ganz Israel spricht oder nur eine einzelne Person (132). Doch im Gegensatz zu allem »flat-footed Christomonism« (99) zeigt G., dass Barth durchaus nicht ungeschickt umgeht mit den Texten ohne direkte christologische Bedeutung im Buch Jesaja.
G. zeigt, dass wir nicht überall mit Barth übereinstimmen müssen. Barth macht auch Fehler. Er geht manchmal »rough-shod over the genre« der Texte hinweg oder macht sich schuldig durch »special pleading« oder durch einen Gebrauch, der rein »rhetorical or homiletical« ist. Doch G. weist auch auf Texte hin, wo man Barths Ansatz erfolgreich hätte anwenden können, aber es nicht getan hat. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diese Studie darstellt, wie Barths theologische Exegese auf keinen Fall den Wald vor lauter Bäumen übersieht, sondern dass Barth durchaus fähig war, eine große Anzahl von Bäumen in großer Genauigkeit zu identifizieren und auf verschiedenen Ebenen zu analysieren. Welchen Bezug diese Ebenen zueinander haben, verdient weitere Überlegung. Aber diese Studie zeigt konkret und überzeugend, dass Barths Ansatz als »a way forward« für diejenigen gedacht ist, die die historische Kritik schätzen und sich dennoch bewusst sind, dass in ihr allein »something grand is missing« (134).