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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1341-1343

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Svendsen, Stefan Nordgaard

Titel/Untertitel:

Allegory Transformed. The Appropriation of Philonic Hermeneutics in the Letter to the Hebrews.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XV, 273 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 269. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-149968-5.

Rezensent:

Georg Gäbel

Der religions- und geistesgeschichtliche Ort des Hebräerbriefes bleibt umstritten. Manche Exegeten sehen tiefgreifende Gemeinsamkeiten mit Philo von Alexandrien, andere erkennen neben mög­lichen Berührungen grundlegende Differenzen. S. Nordgaard Svendsen wählt in seiner Kopenhagener Dissertation eine neue Perspektive auf die alte Frage, indem er Aspekte der Schriftauslegung in den Mittelpunkt stellt. Herkömmlich spricht man von der Ty­pologie des Hebr im Gegensatz zu Philos Allegorese. S. dagegen beschreibt den Umgang des Hebr mit bestimmten Motiven (das Land Kanaan, das Heiligtum, der Hohepriester) als Weiterführung philonischer Allegorese. So will er die Abhängigkeit des Hebr von Philo erweisen und zugleich den Schlüssel zum theologischen Anliegen des Hebr bieten.
Nach einer knappen Behandlung der Forschungsgeschichte setzt Teil 1 (43 S.) mit der Darstellung der Allegorese in der Stoa und bei den hellenistisch-jüdischen Autoren Aristeas, Aristobul und Philo ein. Anders als die stoische Allegorese stehe die der jüdischen Autoren nicht im Gegensatz zum Literalsinn. Zumal Philo halte an der buchstäblichen Wahrheit des Pentateuch fest. Seine Allegorese, verständlich nur im Kontext (mittel-)platonischer Philosophie, deute irdische Gegenstände, Gestalten und Ereignisse als ontologisch inferiore Abschattungen transzendenter Größen. Sie ziele darauf, jüdische Tradition und Praxis im Angesicht einer nichtjüdischen Mehrheitskultur zu legitimieren.
Teil 2 (27 S.) behandelt die Allegorese im Hebr und die Einleitungsfragen. Prägend für Hebr sei eine apokalyptische Metaphysik. In ihr seien Zukunftserwartung und himmlische Orientierung, zeitlich-horizontale und transzendent-vertikale Momente ineinander verschränkt. Mit H. Tronier nimmt S. an, dass die Apokalyptik ihrerseits durch Aufnahme und Fortbildung platonischer Ontologie entstanden sei: Apokalyptische Texte lassen der unvollkommenen irdisch-gegenwärtigen Welt vollkommene himmlisch-zukünftige Größen gegenüberstehen, die damit funktional an die Stelle der intelligiblen Ideen im Platonismus treten. In den Rahmen apokalyptischer Metaphysik zeichne Hebr sodann die von Philo übernommene Allegorese ein, die dadurch um die Dimension der Vor-Abschattung des Zukünftigen erweitert werde. Der Begriff der Typologie und der Gegensatz von Typologie und Allegorese seien obsolet. Anders als Philo verwende Hebr die Allegorese aber nicht zur Legitimation, sondern zur Delegitimation irdisch-gegenwärtiger Größen. So liefere die Kulttheologie des Hebr mittels der Allegorese die Schriftbegründung für eine grundsätzliche Kritik am Gesetz. Denn Hebr, verfasst 50–70 n. Chr., richte sich an Adressaten paganer Herkunft, die versucht seien, sich dem Judentum zuzuwenden, um Verfolgungen durch römische Behörden zu entgehen.
Der 3. und längste Teil (160 S.) bietet einen Kommentar zum ganzen Hebr. Auf die Frage nach der Allegorese im Hebr nehmen nur die Exegesen zum Land Kanaan, zum Heiligtum und zum Hohenpriester Bezug, die jeweils mit Exkursen zu einschlägigen Ausführungen Philos verbunden sind. Die Absicht, vor einer Zu­wendung zum Judentum zu warnen, findet S. im Schlussteil des Hebr am deutlichsten ausgesprochen. So sei etwa die Aufforderung, das Lager zu verlassen (Hebr 13,13), als Aufforderung zu lesen, dem Judentum und seinen Reinheitsgeboten fernzubleiben. S. fasst seine Deutung des Hebr in Worte des Ignatius (Magn 10,3): »Es ist nicht am Platz, Jesus Christus zu sagen und jüdisch zu leben«.
Überblickt man die Arbeit, so stört das Missverhältnis zwischen dem langen, aber konventionellen und nur in Teilen für die Fragestellung der Arbeit relevanten 3. Teil und dem inhaltlich zentralen, aber knappen und in der Argumentation schematisch wirkenden 2. Teil. Im Einzelnen seien drei Hauptlinien der Argumentation näher be­dacht:
1. Zweifellos wird ein starrer Gegensatz von Allegorese und Typologie – darin stimme ich S. zu – der Komplexität der Verhältnisse nicht gerecht. Hier greift er eine Diskussion auf, die auch in der klassischen Philologie und in der Patristik geführt wird. Darin liegt eine Stärke der Arbeit, die für die neutestamentliche Exegese anregend wirken sollte. Dagegen scheint mir der Vorschlag, auf den Begriff der Typologie zu verzichten, nicht hilfreich, zumal die Entsprechung zeitlich getrennter Gestalten und Ereignisse, die herkömmlich mit der Typologie verbunden wird, in S.s Analysen von Hebr-Passagen wiederkehrt.
2. Über die Hermeneutik nimmt S. einen originellen Zugang zur Frage nach philonischem Einfluss im Hebr. Wenn er aber unter philonischer Allegorese die Deutung irdisch-abbildlicher Größen im Gegenüber zu transzendent-urbildlichen versteht, was ist dann das signifikant Neue, das nach S. von Philo her zur »apokalyp­tischen Metaphysik« des Hebr hinzutritt? Schon für diese nimmt S. ja die Umformung platonischer Ontologie in die Relation unvollkommener gegenwärtig-irdischer und vollkommener zukünftig-himmlischer Größen an. Auch dass die Wahrnehmung der Sphärendifferenz von Himmel und Erde im Hebr der Kritik an irdischen Größen dient, während Philo diese legitimiert, hat Entsprechungen in anderen frühjüdischen Diskursen, die von der Ambivalenz von Heiligtums- und Kultlegitimation bzw. -kritik durchzogen sind. Zwar weiß S., dass Transzendenzbezug und Zukunftserwartung in apokalyptischen Texten und im Hebr ineinander verschränkt sind. Dennoch kann er in den Exegesen seines 3. Teils on­tologische bzw. kosmologische Aspekte platonisch-philonischem, eschatologische dagegen apokalyptischem Einfluss zu­schlagen. Die Annahme philonischen Einflusses ruht damit, trotz mancher Differenzierung im Einzelnen, wesentlich auf der Strukturanalogie der Urbild-Abbild-Relation in ihrer Verknüpfung mit Kritik an gegenwärtig-irdischen Größen. Das aber hebt sich nicht in spezifischer Weise von dem ab, was auch sonst auf dem weiten Feld frühjüdischer Literatur zu finden ist.
3. Zwar sieht S., wie ich meine, richtig, dass die Kritik des Hebr am irdischen Kult den Bestand des Jerusalemer Tempels voraussetzt. Doch die Frage, warum Hebr eine grundsätzliche Gesetzeskritik im Gewande der Kultkritik vortragen sollte, hat S. für mich nicht überzeugend beantwortet. Diese Kritik richtet sich m. E. nicht gegen das Judentum oder das Gesetz überhaupt, sondern gegen die irdische Kultinstitution des ersten Bundes. Die unterstellte Adressatensituation scheint konstruiert. Verfolgungen durch römische Behörden vor 70 n. Chr. sind mindestens sehr fraglich, und lokale Obrigkeiten müssen nicht römische Behörden sein. Auch hätten diese sich kaum für Unterschiede zwischen sog. »christlichen« und anderen jüdischen Gruppen interessiert.
S. hat ein vielschichtiges und komplexes Thema gewählt, das durch die Aufnahme von Impulsen aus Nachbardisziplinen an­spricht. Sein Buch verweist auf die wichtige Aufgabe einer differenzierten Verhältnisbestimmung von Typologie und Allegorese im Kontext hellenistischer Philosophie und Literatur und frühjüdischer Schriftauslegung. Dafür ist ihm trotz mancher Anfragen zu danken.