Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1338-1341

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Papathomas, Amphilochios

Titel/Untertitel:

Juristische Begriffe im ersten Korintherbrief des Paulus. Eine semantisch-lexikalische Untersuchung auf der Basis der zeitgenössischen griechischen Papyri.

Verlag:

Wien: Holzhausen 2009. XII, 241 S. m. Tab. gr.8° = Tyche, Supplementbd. 7. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-85493-165-2.

Rezensent:

Folker Siegert

Das vorzustellende Buch ist eine für sich lesenswerte Vorarbeit zu dem 1Kor-Band der inzwischen schon drei Bände umfassenden Reihe »Papyrologische Kommentare zum NT«. Davon sind bisher er­schienen: Phm, 2Thess, 1Kor – Letzterer 2006 unter der Autorschaft von Peter Arzt-Grabner, Papathomas selbst und einigen Weiteren. Als Nächstes angekündigt ist: 2Kor. Hier nun dokumentiert sich der – im Rahmen eines griechisch-österreichischen Forschungsprojekts an verschiedenen Institutionen entstandene – persönliche Anteil P.s an dem Band zu 1Kor.
Bei P.s eigenem Buch liegt das Augenmerk auf dem juristischen Charakter der Sprache des Paulus. Wie weit bedient sich der Theologe der Gerechtigkeit – sei es derer nach dem (Mose-)Gesetz, sei es der Gerechtigkeit, »die vor Gott gilt« – jener Terminologie, die ähnlichen Zwecken schon in seiner Umwelt gedient hatte? Diese Fragestellung ist umso erfolgversprechender, als einer der Gründe, wenn nicht gar der wichtigste, aus dem heraus man in der Antike zum Schreiben auf so etwas Teurem wie Papyrus schritt, der Fixierung von Rechtsvorgängen diente, wie P. in seiner kurzen Einleitung (1–11) erwähnt. Dort erfährt man übrigens auch den aktuellen Stand diverser, zum Teil als Datenbank geführter Unternehmen der Papyruserschließung.
Literatur wurde nur wenig verwendet, wie aus der Abkürzungsliste (zugleich Bibliographie des Bandes) S. VII–XII zu erfahren ist; es sind fast nur Papyruseditionen und diesbezügliche Sekundärliteratur und nur wenige Referenzwerke aus dem exegetischen Sektor. Das war sicherlich die (durchaus vernünftige) Bedingung, unter der diese Arbeit in überschaubarer Zeit geleistet werden konnte. Sie geht ausschließlich den Quellen nach. Gelegentlich muss hierbei eine Fußnote im weiteren Verlauf des Bandes über deren Besonderheit informieren. Interessant ist im Hinblick auf das auch bibelwissenschaftlich durchaus gravierende Problem der Datierung von Quellentexten die Bemerkung auf S. 104, Anm. 694, über den sog. Gnomon des Idios Logos. So nennt sich eine in mehreren Exemplaren vor allem aus dem 2. Jh. erhaltene Dienstanweisung zum Steuereinheben, in welcher sich Bestandteile isolieren lassen, die bis zur augusteischen Zeit zurückreichen – womit ein »nach 149 n. Chr.« zu datierender Papyrus dann doch für eine weit ältere Zeit sprechen kann.
Was noch die Literatur betrifft: Das Verzeichnis (VII–XII) ist allzu kurz; eine Abkürzung wie »C. Pap.Hengstl« (9, Anm. 16) bleibt unaufgelöst. Zu Spics Notes de lexicographie grecque hätte deren einbändiger Neudruck unter dem Titel Lexique théologique du Nouveau Testament 1991 (ein allerdings irreführender Titel) im­merhin erwähnt werden sollen.
Der Hauptteil des Buches (12–187), von Vers zu Vers den 1Kor durchquerend, gibt die Papyrusbelege für die von Paulus verwendeten Ausdrücke, bei Bedarf gegliedert nach Verwendungsmöglichkeiten. In diesem Spektrum wird dann der Sprachgebrauch des Paulus situiert, ohne den Apostel mehr als nötig zum Juristen werden zu lassen. Das war er zwar in einem jüdischen Sinne (wenn Martin Hengels These zu Apg 22,3 zutrifft, dass Paulus in seiner Jerusalemer Zeit als Halacha-Lehrer ausgebildet wurde), aber sein griechisches Vokabular schöpft er erneut aus allen Bereichen des Lebens. Diese freilich begegnen hier in strikter Begrenzung auf das pa­pyrologisch Belegte. Auf S. 108 ff (zu μοιχεία) mag verwundern, dass die lex Iulia de adulteriis nicht erwähnt wird (im Papyrologischen Kommentar zur Stelle auch nicht); das liegt dann eben schlicht daran, dass es dazu keinen Papyrus-Beleg gibt. Hier macht sich eine Besonderheit des Papyrus-Repertoires bemerkbar: Wir finden zwar jede Menge Klagetexte, Eingaben und Beschwerden, aber kaum je ein Urteil und darum auch kaum je ein Gesetz. Akten über gefällte Urteile (für den Prozess des Pilatus hat man wenigstens noch welche erfunden) mag es gegeben haben, aber ein derartiges »Staatsarchiv« ist offenbar noch nicht gefunden worden. Sehr viele Prozesse aber, das ist anzunehmen, endeten rein mündlich. Verwaltungsakte hingegen sind bestens belegt.
Der Schlussteil ist zunächst den »Begriffen mit juristischer Kon­notation« gewidmet, alphabetisch nach dem Griechischen (188–209), sodann »sakralen Rechtssätzen und Begriffen mora­-lischen Inhalts« (210–217), wo aber nicht mehr viel Neues zu erfahren ist. Die »Ergebnisse« (218–237), mit einem etwas zu lang geratenen Klappentext einsetzend (der Band selbst hat keinen), heben dann noch Aspekte hervor wie den Grad an Wörtlichkeit bzw. an Metaphorizität, mit dem das untersuchte Vokabular bei Paulus verwendet werden kann. Auch die Abwesenheit lateinischer Ter minologie (225 f., 219 schon genannt) bestätigt nochmals den Gesamteindruck, »dass der paulinische Sprachgebrauch hier [das Beispiel war καταλάσσειν] nicht an die jüdische Tradition, sondern an den hellenis­tischen Sprachgebrauch anknüpft« (227). Der Völkerapostel war doch weniger ein Tora-Lehrer, als seine neueren Ausleger annahmen.
In diesem Schlussteil stellt P. zu Recht noch die Frage nach der »Vertrautheit der Bevölkerung mit dem juristischen Gehalt der verwendeten Rechtstermini« (231 f.), die nämlich nicht überstrapaziert werden durften, und schließt mit Beobachtungen zum »innovativen Umgang des Paulus mit der Terminologie«. Beispiele sind etwa 1Kor 6,2 und 6,7 (wo Paulus mit juristischen Bedeutungsnuancen spielt) und Ausdrücke wie ανθρωπίνη ἡμέρα »menschlicher (Gerichts-)Tag« 1Kor 4,3 oder dem merkwürdigen βιοτικὰ κριτήρια 1Kor 6,4 (im Sinne von »Gerichte in Alltagsfragen«), wozu sich, obwohl das juristisch klingt, bisher keine Papyrusbelege ge­funden haben.
Ein Wort wie εἰλικρινεία (1Kor 5,8, bei ihm erst auf S. 217 diskutiert), auf Papyri höchst selten, war kein Wort der Umgangssprache (wie übrigens auch »Lauterkeit« im Deutschen). Methodisch klug ist aber, dass P. auf quantitativen Befunden, insbesondere auf negativen, nicht insistiert. Wenn eine Paulus-Vokabel wie etwa λοιδορέω (1Kor 4,12; 59 f.) im 1. Jh. papyrologisch nicht belegt ist, davor und danach aber reichlich, wird das klugerweise nicht »wortstatistisch« ausgedeutet, sondern der Zufälligkeit der erhaltenen Bezeugung zugewiesen. Natürlich haben sich die Menschen auch im 1. Jh. be­schimpft. Eher lässt die Häufigkeit eines Wortvorkommens vorsichtige Schlüsse zu (ebd.).
Das eigene Recht dieser Arbeit und ihr Vorteil gegenüber dem Kommentarband besteht nicht nur in der durchgehaltenen juristischen Fragestellung (die dem bei Vandenhoeck & Ruprecht gleichfalls »anhängigen« Rechtskommentar zum Neuen Testament, vom Rezensenten dereinst herauszugeben, sehr zustatten kommt); es ist darüber hinaus die stets gleiche, sehr genaue Wiedergabe der verwendeten Papyri bzw. der aus ihnen entnommenen Passagen. Stets erhalten wir den (unkorrigierten) griechischen Wortlaut oben im Text mitsamt der von den jeweiligen Herausgebern beigesteuerten Übersetzung (die dann englisch, französisch, italienisch, ja auch lateinisch sein kann) in der Fußnote. Diese Wiedergabe ist absolut fachmännisch und ist auch, wie mir scheint, sehr sorgfältig korrekturgelesen worden.
Das Interesse am Vokabular ist mitunter etwas enggeführt. Zu 1Kor 2,8 εσταύρωσαν wird nur auf dasselbe Wort in 1,13 verwiesen; da hätte auch mehr gesagt werden können über Justizirrtümer. Nicht einmal der Papyrologische Kommentar zu dieser Stelle greift diese Chance einer inhaltlichen Vertiefung auf. Auch sonst bleibt nicht selten eine Frage offen, so zu S. 81 unten: Ist δικαστήριον dasselbe wie κριτήριον (also beides: Gericht) oder ist da, wie der zitierte Text zu implizieren scheint, ein Unterschied? Auch das auf S. 86–88 zu κριτήριον Gesagte klärt diese Frage nicht.
Anderwärts aber kommt durch Einbezug der Papyrusdokumente Leben in den Text. Zu 1Kor 6,7 f., Stichwort ἀποστερέω, gewinnen die Ermahnungen des Paulus an die christlichen »Brüder« Profil auf dem Hintergrund jener Texte, die konkrete Familienkonflikte zwischen leiblichen Brüdern dokumentieren. Übrigens hätte in diese Untersuchung zu ἀποστερέω auf S. 99.101.103 gerade im Hinblick auf die Paulus-Stelle die Bedeutung »vorenthalten« erwogen werden können. Gelegentlich würde man sich einen weiterreichenden Blick auf das ganze Wortfeld wünschen. So wird διατάσ-σομαι (126–128) ohne den doch möglichen Rückgriff auf die – sogar im selben Band dokumentierten – synonymen Wendungen ἔκρινα (34) und κέκρικα (64) untersucht. Auch das bibelgriechische διατίθεμαι wäre hier zum Vergleich interessant gewesen.
P. hat also seine Aufgabe sehr eng gefasst und Sachfragen als solche den Kommentaren überlassen. So erfährt man zu δοῦλος (1Kor 7,21) nichts über die Unterschiede zwischen gemeinantiker Sklaverei und deren viel selteneren und humaneren biblischen und jüdischen Varianten, die (aus vielen Gründen) sich offenbar nie auf Papyrus niederschlugen. Das ist insofern nicht schade, als Paulus nach Korinth schreibt; es zeigt aber eine Grenze dieses dokumentarischen Vorgehens, wo sich das Interesse etwa auf judäische Verhältnisse richten sollte. Doch zurück zur Diaspora: Bei dem »heidnischen« Kultverein, den P. zu νόμος 1Kor 9,8 erwähnt (147), entgeht ihm, dass es sich um Gottesfürchtige handelt oder jedenfalls um Sympathisanten mit dem Judentum, wie ja auch der Gottesname Zeus Hypsistos oder überhaupt der Sprachgebrauch dieses Textes erweist – hier und auf allerlei Inschriften, die es dazu auch noch gibt und denen gegenüber dieser Text bemerkenswert früh ist. Aber auch der Papyrologische Kommentar zur Stelle blickt nicht so weit; ja er enthält uns sogar diesen schönen Papyrus vor. Das ist für das Buch von P. schon wieder eine Empfehlung.
Zur Metasprache: Auf S. 123 hätten die Termini »Bedeutung« und »Verwendung« klarer geschieden werden können (ein auch bei Exegeten leider nicht seltenes Versäumnis). Zu dem eben genannten Beispiel νόμος wäre die Unterscheidung zwischen Begriff einerseits, Name andererseits und der noch dazwischen liegenden Kennzeichnung (»das Gesetz« im Sinne von »ein bestimmtes Ge­setz«, »das gemeinte Gesetz« – bei Paulus stets das Mosegesetz) hilfreich gewesen.
Sprachliche Versehen (wie etwa S. 1: »entsprechend des ...« statt: entsprechend dem ...) habe ich nur wenige gefunden; P. ist zu seinem Erwerb der deutschen Sprache sehr zu gratulieren. S. 60: »die Existenz von Gewalttaten« hieße besser: das Vorkommen von Gewalttaten. Statt des Behördenworts »beinhalten« (12) ist immer noch besser: enthalten. Fehler, wie sie in deutschen Aufsätzen auch schon üblich werden, sind etwa das Präteritum statt des Plusquamperfekts bei Vorzeitigkeit (22, Anm. 56) oder der Anglizismus »zur Erleichterung des Lesers« ( for the reader’s convenience) – da fühle ich mich nicht erleichtert, sondern das Lesen wird mir erleichtert. Unbeabsichtigter Humor kommt in den Augen des Rezensenten an einer Stelle auf Seite 43 zum Vorschein: »Die neutestament­liche Forschung hat sich noch nicht auf ein Ergebnis ge­einigt«: Wann tut sie das je?
Was man hätte vermeiden können, sind die bis zu vierstellig werdenden Hochzahlen, die gegen Ende den Satz mehr und mehr aufsperren. Lobenswert hingegen in typographischer Hinsicht ist die »internationale« Formatierung der Literaturangaben, die nämlich Buchtitel (auch Zeitschriftentitel) stets durch Kursive kenntlich macht. Man muss nur den Papyrologischen Kommentar daneben halten, um zu sehen, wie viel deutlicher das ist.
Insgesamt ist der Band eine Pionierleistung und ein hochwillkommener Beitrag zu einem zwar schon 100-jährigen (um nur an Namen wie Adolf Deissmann zu erinnern), aber erst jetzt mit modernen Mitteln aufblühenden Forschungszweig.