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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1336-1338

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fee, Gordon D.

Titel/Untertitel:

The First and Second Letters to the Thessa­lonians.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XXVIII, 366 S. gr.8° = The New International Commentary on the New Testament, 12. Lw. US$ 44,00. ISBN 978-0-8028-6362-1.

Rezensent:

Paul Metzger

Gordon D. Fee hat die »Cinderellas« der paulinischen Briefe zum Ball geladen und sie sind gekommen (IX). Obwohl es unhöflich erscheinen mag, will er sie nicht lange vorstellen, sondern sie zum Tanzen bringen, damit sie sich auf diese Weise selbst bekannt machen. Deshalb hält er die sog. Einleitungsfragen kurz, da diese nur von »other scholars or teachers« (238) gelesen würden und nicht von Pfarrern und Studenten, für die dieser Kommentar – »a labor of love« (X) – in erster Linie geschrieben ist. Dabei will er gemäß den Leitlinien des NICNT sowohl der fachwissenschaftlichen Diskussion gerecht werden als auch der Schrift als dem unfehlbaren Worte Gottes treu bleiben.
In dieser Perspektive kann es dann nicht verwundern, dass F. bereits im Vorwort klarstellt, dass beide Thessalonicherbriefe von Paulus stammten und nur als authentische Briefe des Apostels zu verstehen seien (X). Trotzdem schreibt er für jeden Brief eine sehr knappe Einleitung, um vor allem dem 2Thess »its proper due« (3) zukommen zu lassen.
Den 1Thess bestimmt F. als Brief, der zwar von Paulus diktiert worden sei, aber als Gemeinschaftswerk der drei genannten Absender verstanden werden solle (4). Geschrieben um 49/50 n. Chr. in Korinth richte sich der Brief an eine Gemeinde, die Paulus nur kurz vorher bei einem längeren Aufenthalt in Thessalonich gegründet habe. Dass er zur Bestimmung der Einleitungsfragen des 1Thess Textbelege aus dem 2Thess heranzieht, ist unter der Prämisse des Vorwortes zulässig. Da sein Zielpublikum sich deshalb an dieser Stelle keine Sorgen machen wird, hinterlässt sein Vorgehen bei den Lesern, die um die Zweifel an der Authentie des 2Thess wissen, eine gewisse Unzufriedenheit.
Diese verstärkt sich, wenn F. es sich zu einfach macht, indem er die Diskussion um den Charakter des 2Thess mit dem Hinweis beiseite schiebt, dass »several very weak arguments ... do not add up to one strong one« (X.238). Es erscheint deshalb merkwürdig, warum er trotzdem eine eigene Einleitung für den 2Thess schreibt. Dass er ihm seinen eigenen »place in the sun« (237) zugestehen möchte, ist zwar anerkennenswert, wenn die Diskussion um die Authentie aber so verzerrt dargestellt wird, wie F. dies tut, dann ist der Platz an der Sonne doch eher schattig. Hier häufen sich nämlich Fehler und unzutreffende Einschätzungen.
So ist z. B. nicht korrekt, dass es nur einen Kommentar auf Englisch gibt, der den pseudepigraphen Charakter des 2Thess vertritt (237). Der Kommentar von M. J. J. Menken ist hier als Gegenbeispiel zu nennen. Weiter ist es nicht richtig, dass die Bestreiter der paulinischen Verfasserschaft selten einen Kommentar schreiben. Gegenbeispiele sind die Kommentare von W. Trilling und P.-G. Müller. Drittens sollte nicht behauptet werden, dass der Autor des 2Thess keine weiteren Briefe des Paulus kenne (240). Hier beachtet F. z. B. die Untersuchung von P. Müller zu den Anfängen der Paulusschule nicht. Schließlich trifft nicht zu, dass das Hauptargument gegen die paulinische Verfasserschaft des Briefes die fehlende »warmth« des Briefes sei (238). Neuere Einleitungen (z. B. M. Ebner/S. Schreiber) führen weitaus gewichtigere Argumente an. An dieser Stelle fällt besonders auf, dass F. offensichtlich die deutschsprachige Literatur zum 2Thess nur sehr selektiv zur Kenntnis genommen hat.
Da F. aber nicht gewillt ist, »to go over all that ground yet again« (238), werden dem Leser die Argumente für die deuteropaulinische Verfasserschaft des 2Thess vorenthalten. Stattdessen zählt F. Beobachtungen auf, die kaum eine Beweislast für die Authentie tragen können, sprachliche Vorlieben des Paulus etwa, an denen er ein »copyright« halten soll (239). Dass dabei das »most significant feature« die Vertrautheit des 2Thess mit dem ersten Brief sein soll (240), überzeugt nicht, da ein pseudepigrapher Autor natürlich seine Vorlage nachahmt und so damit vielleicht besser vertraut sein kann als der eigentliche Autor. Nach meinem Empfinden gelingt es ihm »at the end of the day« (240) nicht, »to push forgery [des 2Thess] beyond the bounds of ordinary historical probability« (238).
Das Hauptaugenmerk legt F. generell auf die Kommentierung der beiden Briefe. Den 1Thess gliedert er grob in drei Teile: 1. »Thanksgiving, Narrative and Prayer« (1Thess 1,1–3,13); 2. »Supplying what is lacking« (4,1–5,11); 3. »Concluding Matters« (5,12–28). Der ungewöhnlich lange Eingang mit der ausgedehnten Danksagung verweise deutlich darauf, dass der 1Thess »first of all a letter of friendship« (4) sei. Dass in diesem Brief vor allem die Darlegungen zu den Entschlafenen in 1Thess 4,13–18 einen zentralen Stellenwert einnehmen und durch Anfragen der Thessalonicher nötig wurden (164 f.), ist sicherlich zutreffend. F. bemüht sich die verschiedenen Sinnebenen vorzuführen und nimmt sich gebührend Zeit, im Detail den Text zu erklären. Da dies für die wesentlichen Textpassagen gesagt werden kann, liegt gerade in der Textbehandlung sicherlich die große Stärke des Kommentars.
Der 2Thess hingegen trägt nach F. einen anderen Charakter, weil er sich zum einen eingehender mit »the issue of the disrup­tive-idle« beschäftigen müsse und weil das völlig neue Problem des »timing« bezüglich des Tags des Herrn auftauche. Zum dritten erfordere der gewachsene Druck, den die Gemeinde von ihrer Um­welt erfahre, einen weiteren Brief. Dabei ist allerdings kaum nachvollziehbar, warum dieser Druck – unter der Prämisse der Authentie des Briefes – innerhalb von ein paar Monaten so zugenommen haben soll. Den 2Thess untergliedert er in 1. »Thanksgiving and Prayer« (1,1–12); 2. »The Second Issue: The ›When‹ of the Day of the Lord« (2,1–17); 3. »The Third Issue: About the Disruptive-Idle« (3,1–15); 4. »Concluding Matters«. Paulus verspüre laut F. einen »minor degree of frustration« (277), was daran liegt, dass er falsch verstanden worden sei. Gerade im Hinblick auf die eschatologische Verwirrung ist dies seltsam, da Paulus doch in 2Thess 2,5 deutlich zu erkennen gebe, dass er bezüglich des Tags des Herrn alles bereits bei seinem Aufenthalt gesagt habe (278). Verwunderlich für den Leser ist dabei nur, dass Paulus weder im 1Thess noch im 1Kor, dem auf den 2Thess angeblich folgenden Brief, ein Wort von einer Verzögerung der Parusie verlauten lässt, nicht einmal von den verschiedenen Ereignissen spricht, die ihr vorhergehen und die er im 2Thess ausführt. Angesichts der missverstehenden Thessalonicher sollte Paulus doch spätestens ab dem 2Thess damit gerechnet haben, im Hinblick auf seine eschatologische Vorstellung missverstanden zu werden. Weitere Probleme dieser Art erwachsen F. m. E., weil er die Auslegung unter der Prämisse der paulinischen Verfasserschaft vornimmt und somit zuweilen wenig plausible Überlegungen präsentiert.
Insgesamt hinterlässt der Kommentar einen zwiespältigen Eindruck. Die Textbeobachtungen, die er beschreibt, sind ausführlich, zuweilen auch sehr behutsam vorgeführt und über weite Strecken seriös und umsichtig. Er nimmt sich zumeist die Zeit, seinen Lesern den Text verständlich zu machen und Eigenarten zu erklären. Von daher dürfte der Kommentar seinem primären Publikum, Studenten und Pfarrern, durchaus gute Dienste leisten. Dass er dabei zuweilen etwas salopp und bildhaft formuliert, lockert die Lektüre meist wohltuend auf. Allerdings trüben vor allem die Behandlung der Einleitungsfragen und die damit verbundene Perspektive auf den 2Thess den Gewinn des Lesens.