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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1328-1330

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

Die Tora. Studien zum Pentateuch. Gesammelte Schriften.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2009. VII, 714 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 9. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-447-05901-5.

Rezensent:

Christoph Dohmen

Der emeritierte Münchener Alttestamentler Eckart Otto ist innerhalb der eigenen Fachwissenschaft, aber auch über die Grenzen des eigenen Faches hinaus bekannt als Fachmann für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte, darüber hinaus aber vor allem als international renommierter Deuteronomiumsspezialist. Der nun vorgelegte umfangreiche Band mit 25 Studien zum Pentateuch, von denen mehr als die Hälfte aus den letzten fünf Jahren stammt, ergänzt die zuvor erschienenen Bände mit gesammelten Studien (»Kontinuum und Proprium. Studien zur Sozial- und Rechtsgeschichte im Alten Orient und im Alten Testament«, Wiesbaden 1996, und »Altorientalische und biblische Rechtsgeschichte. Ge­sam­melte Studien«, Wiesbaden 2008) und führt diese weiter. Die voluminöse Sammlung von Einzelstudien, denen teilweise monographischer Charakter eigen ist, zeugt nicht nur von der enormen Produktivität O.s, sondern lässt auch die Breite seiner Forschungsinteressen sowie die inter- und intradisziplinäre Vernetzung der vielfältigen Bereiche, in denen O. arbeitet, erkennen.
Mag der erste Eindruck auf hohes Spezialistentum, das auf kleinteilige Analyse setzt, hindeuten, bringt die Lektüre der Beiträge im Kontext der Zusammenstellung aber ans Licht, dass der große Fortschritt und Gewinn der Arbeiten von O. in der Synthese bzw. der Verknüpfung unterschiedlicher Aspekte liegt. So bietet der Band, was man vom Titel her auch erwartet, differenzierte Studien zu den ersten fünf Büchern der Bibel, aber schon die zwischen Titel und Untertitel wechselnde Bezeichnung »Tora – Pentateuch« für diese Bücher weist auf unterschiedliche Fragerichtungen und dezidierte Differenzierungen jenseits begrifflicher Variationen hin. Allen hier versammelten Studien ist gemeinsam, dass sie speziellen Fragestellungen und Einzelproblemen gewidmet sind, sich aber niemals im Detail verlieren, sondern immer das Ganze, das Verstehen des Pentateuch, im Blick behalten. Der Blick auf den Pentateuch geschieht sowohl aus der Perspektive der Rechtshermeneutik (z. B. »Rechtshermeneutik im Pentateuch«, 490–514) als auch aus der Zusammenschau von Pentateuch und Prophetie (z. B. »Jeremia und die Tora«, 515–560) und schließlich auch im Horizont der schier unüberschaubaren Forschungsdiskussion zur Literaturgeschichte und Genese des Pentateuch (z. B. »Kritik der Pentateuchkomposition. Eine Diskussion neuerer Entwürfe«, 143–167, oder »Ein ›Deuteronomistisches Geschichtswerk‹ im Enneateuch?«, 601–619). Die verschiedenen Perspektiven werden durch grundlegende metho­-dische Reflektionen miteinander verbunden, denn fast jeder der Beiträge versucht, die Bedeutung von sich ergänzenden synchronen und diachronen Zugangsweisen aufzuzeigen (z. B. »Wie ›synchron‹ wurde in der Antike der Pentateuch gelesen?«, 447–460).
Hat die alttestamentliche Forschung bis heute vorwiegend auf sich ausschließende Alternativen von entweder diachroner (entwick­lungsgeschichtlicher) Analyse zur Textentstehung oder synchroner (auf einer Zeitebene liegender) Analyse zur Erfassung der vorliegenden Textzusammenhänge gesetzt, so bietet O. die notwendige Zusammenschau, indem er synchrone und diachrone Fragestellungen als sich notwendig ergänzende und von der Sache aufeinander zu beziehende betrachtet. Ein deutliches Beispiel für diesen Ansatz bildet der Beitrag »Ersetzen oder Ergänzen von Gesetzen in der Rechtshermeneutik des Pentateuch« (248–256), der ergänzt wird durch den Beitrag »Die narrative Logik des Wechsels der Gottesnamen zur Differenzierung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit in der Genesis« (587–600), denn hier wird deutlich, dass die Rechtshermeneutik der Tora nicht zu trennen ist von der Erfassung der synchronen Erzählstruktur, die ihre besondere Zu­spitzung im Deuteronomium erfährt. Die Studien zum Deutero­nomium stehen vor diesem Hintergrund auch unter einem sachlogischen Aspekt – und nicht nur von den Forschungsschwerpunkten O.s her – im Mittelpunkt der hier zusammengestellten Studien; denn die im Deuteronomium der an der Grenze des Landes stehenden Generation vorgelegten Gesetze für das Leben im Gelobten Land, werden als von Mose ausgelegte Sinaigesetze vorgestellt. Das Herzstück des ganzen Bandes bildet in gewisser Hinsicht der umfangreichste Beitrag »Dtn 1–3 als Schlüssel der Pentateuchkritik in diachroner und synchroner Lektüre« (284–420). Im Zusammenhang der in der Forschung sehr umstrittenen Kapitel Dtn 1,3 wird nicht nur die narrative Logik des Textzusammenhangs von Dtn 1–3 (in diachroner und synchroner Hinsicht) vorgelegt, sondern eine Perspektive zum Verständnis der Literaturgeschichte des Pentateuchs entfaltet.
Der große Horizont, auf dem die Einzelstudien erscheinen, wird durch Arbeiten zur Bundestheologie (»Welcher Bund ist ewig? Die Bundestheologie priesterlicher Schriftgelehrter im Pentateuch und in der Tradentenprophetie im Jeremiabuch«, 561–567), zum Kanon (»Moses Abschiedslied in Deuteronomium 32. Ein Zeugnis der Kanonbildung in der Hebräischen Bibel«, 641–678) sowie zur theologischen Anthropologie (»Die Urmenschen im Paradies. Vom Ursprung des Bösen und der Freiheit des Menschen«, 679–689) abgesteckt. Die einzelnen Beiträge des vorliegenden Sammelbandes hat O. für den Wiederabdruck revidiert und aktualisiert sowie um Register (Stellen und Personen) ergänzt.
Die erwähnte umfangreiche Studie zu Dtn 1–3 ist mit dem Hinweis versehen, dass es sich hier um Vorarbeiten für den Deuteronomiumkommentar in der renommierten Reihe »Herders theo­logischer Kommentar zum Alten Testament« handelt. Dieser Kommentar O.s wird sicherlich die große Synthese seiner jahr­zehntelangen Deuteronomiumforschung bieten und die im vorliegenden Sammelband präsentierten Forschungen in der durchlaufenden Auslegung des Buches Deuternomium in ihrer Tiefe und gesamten Bedeutung neu erkennen lassen. Bis zum Erscheinen dieses großen Kommentars darf man aber dankbar auf die nun zusammengestellten Studien zurückgreifen, die sich auch dem Leser, dem sie aus den Erstveröffentlichungen schon bekannt sind, durch die ausführlichen Register in ihrem inneren Zusammenhang neu erschließen.