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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1327-1328

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knobloch, Harald

Titel/Untertitel:

Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2009. X, 334 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 12. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-447-06114-8.

Rezensent:

Georg Fischer

Kein anderes Buch der Bibel beschäftigt sich so sehr mit dem Problem, woran wahre von falscher Prophetie unterschieden werden kann, wie Jeremia. So ist zu vermuten, dass Jer auch grundsätzlich klärt, was einen Propheten kennzeichnet. Dieser Frage geht Harald Knobloch in seiner in München bei E. Otto, selbst einem vertrauten Kenner dieser Materie, geschriebenen Dissertation anhand von zwei ausgewählten Kapiteln in Jer nach.
K. setzt ein mit »Problemstellung und methodische Reflexion« (1–18), in der er seine Studie innerhalb der Forschung seit H. Ewald positioniert und sein Vorgehen darlegt. Darauf folgen zwei ausführliche Kapitel, die nach jeweils gleichen methodischen Schritten »Textgenese und literarischen Charakter« von Jer 26 bzw. 36 untersuchen. Die Auswahl dieser beiden Texte ist glücklich, weil sie sowohl von ihrer Stellung als auch von ihrem Inhalt her für das gestellte Thema fruchtbar sind: Jer 26 bildet nicht nur den Auftakt zur zweiten, stärker prosaisch bestimmten und damit mehr ›konkrete‹ Begebenheiten schildernden Buchhälfte, sondern leitet auch die darauf folgenden Auseinandersetzungen mit falschen Propheten in Jer 27–29 ein. Und Jer 36 ist ein Beispieltext für den verachtenden Umgang mit missliebiger prophetischer Verkündigung und zugleich für Gottes Reaktion auf solche Ablehnung. K.s Analyse beider Texte ist achtsam, sorgfältig und ausgewogen; in beiden Fällen rechnet er damit, dass sie weitgehend einheitlich sind und bewusst in einem Dreischritt komponiert wurden (70 bzw. 119).
Im vierten Kapitel »Horizontale Relationen zwischen Jer 26 und Jer 36« (123–152) systematisiert K. die zuvor gesammelten Beobachtungen. Unter insgesamt acht Aspekten scheinen die beiden Texte ganz eng miteinander verknüpft. Das führt ihn zum Schluss, sie wie G. J. Venema als »von einer gemeinsamen Hand« stammend anzunehmen.
Die beiden folgenden Kapitel widmen sich der Aufnahme der Bücher Exodus und Deuteronomium in Jer 26 und 36. Die Bezüge zu Ex 24; 32 und 34, u. a., belegen nicht nur »schriftgelehrte Kunstfertigkeit« (255), sondern lassen durch ihre Gewichtigkeit vermuten, dass auch in Jer »etwas ähnlich Existentielles … auf dem Spiel stehen muss« (222). Der Rückgriff auf Jes 43,25 in Jer 31,34 erlaube zudem keine Ansetzung vor der zweiten Hälfte des 5. Jh.s v. Chr. (224). Beim Dtn konzentriert sich K. auf Propheten- und Königsgesetz (Dtn 17 f.) sowie auf die Kanonformel, die in Jer 26,2 und 36,32 getrennt und an letzterer Stelle subversiv aufgenommen scheint. Im Hintergrund stehen für ihn Auseinandersetzungen mit den »Amtskollegen der zadokidischen Priester« und insbesondere die Kritik an ihrer Tempeltheologie (278). Auch nimmt K. wahr, dass sich das Prophetengesetz von Dtn 18 in Jer als »nicht brauchbar« und damit in seiner Aporie erweise (279).
Das letzte, siebte Kapitel bietet »Ergebnis und Ausblick« (283–301), nachdem K. schon jeweils zuvor Zusammenfassungen der Ergebnisse geliefert hat. Jer stellt sich gegen die »Abgeschlossenheit aller JHWH-Offenbarung nach Mose« (286). Die Aufnahme von Gen 1 in Jer 4 gibt einen Anhaltspunkt für die Datierung (288). Die ab Seite 291 folgenden redaktionsgeschichtlichen Überlegungen sind eher spekulativ und deuten einige Linien innerhalb des Jeremiabuches an.
Die Arbeit von K. ist in vielem erhellend: Sie lässt Jer 26 und 36 tiefer verstehen, für sich und in ihrem Zusammenhang. Sie geht deren Verbindungen zu Ex und Dtn in einer Breite nach, wie es bisher nicht geschah, und vermag aufzuzeigen, dass jene Bücher in ihrer Endfassung Jer vorlagen. Sie fokussiert die Rolle der Prophetie in diesen beiden Kapiteln und kann das darin enthaltene Ringen sichtbar machen. Dabei scheinen Diskussionen durch, die um die Auslegung von Dtn 18 kreisen. Auch eine Absetzung von priesterlichen Kreisen wird greifbar. Jer erscheint als Produkt schriftgelehrter Tätigkeit, mit hoch entwickelten Verarbeitungstechniken bezüglich literarischer Vorlagen.
K. ist mit der neueren Forschung zu Jer sehr vertraut und hat eine gute Unterscheidungsgabe. In zwei Punkten sehe ich Anstöße, weiterzudenken: a) Wie ist das Verhältnis zum Prophetengesetz von Dtn 18 zu deuten? Sicherlich gibt es, wie K. zu Recht beobachtet, Momente der Distanzierung dazu. Doch auf der anderen Seite finden sich auch, und sogar öfter, explizite, legitimierende Rück­griffe darauf (beginnend mit Jer 1). Die Beziehung zwischen Dtn 18 und Jer erweist sich so insgesamt doch eher als positiv. b) Mehrfach nimmt K. in Jer »mosekritische« Züge wahr (121.225). Spannungen am Verhältnis zwischen Mose und Jeremia wurden schon früher beobachtet (u. a. von L. Alonso Schökel); am stärksten sind sie vielleicht darin sichtbar, dass Mose das Volk aus Ägypten herausführt, während Jeremia gegen Ende seines Lebens mit dem Volk dorthin verschleppt wird. Aufs Ganze aber scheint mir in Jer Mose eher als ein Vorbild für den Propheten verwendet worden zu sein, auf dem er aufbaut und nach dem er sich in vielem ausrichtet. Analog zu Dtn 18 zeigen sich also auch bei Mose im Verhältnis zu Jeremia ambivalente Züge. Hier ließe sich noch weiter forschen.