Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1325-1327

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hess, Richard S., Klingbeil, Gerald A., and Paul J. Ray Jr. [Eds.]

Titel/Untertitel:

Crit­ical Issues in Early Israelite History.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2008. XVI, 324 S. m. Abb. gr.8° = Bulletin for Biblical Re­.search. Supplements, 3. Geb. US$ 44,50. ISBN 978-1-57506-804-6.

Rezensent:

Andreas Scherer

Der Sammelband geht zurück auf eine Konferenz, die vom 26. bis 28. März 2004 an der Andrews University stattfand. Die insgesamt zwölf Beiträge beleuchten Probleme der Frühgeschichte Israels, die Frage nach der Entstehung Israels sowie nach dem Ursprung der Israeliten. Aufs Ganze gesehen sind die Autoren einem »integrative approach« (XV) verpflichtet. Sie wollen »archaeological, biblical, and historical data« (ebd.) zueinander in Beziehung setzen und stimmen darin überein, »that the biblical text can be helpful in understanding the emergence of ancient Israel in Canaan« (VIII).
Die ersten vier Beiträge sind als »Textual Studies« ausgewiesen. K. Lawson Younger untersucht rhetorische Strategien in den Eroberungstexten aus Jos 9–12 (3–32). Er hofft, die differenzierte Wahrnehmung literarischer Stilmittel möge auch der historischen Rekonstruktion zugute kommen. Richard S. Hess erörtert die Traditionen über Jericho in Jos 2 und 6, um abschließend kurz die Eroberung Ais in Jos 7–8 anzusprechen (33–46). Seines Erachtens hat erst eine im Verlauf der Rezeption der Texte um sich greifende unsachgemäße Bewertung und Überbetonung bestimmter Einzelaspekte der Darstellung dazu geführt, dass man dem biblischen Material heute jede historische Plausibilität abspricht. Ausgehend von der Merenptah-Stele und den Karnak-Reliefs nimmt Michael Hasel die Bedeutung des Namens Israel, die Frage nach Israels Eigenart und Lage sowie die chronologischen Implikationen des epigraphischen Materials in den Blick (47–59). Sein Resümee, das freilich noch näherer Explikationen bedürfte, lautet: »Israel exists as a socioethnic people already located in the land of Canaan by 1209 B. C. E.« (59). In Auseinandersetzung mit neuen Theorien, die mit einer Entstehung Israels erst während der Perserzeit rechnen, versucht Efraín Velázquez zu zeigen, dass diese Epoche zwar entscheidende Voraussetzungen für das Aufkommen eines normativen Judentums geschaffen hat, jedoch keineswegs den chronologischen Rahmen für die Ursprünge Israels absteckt (61–76).
Paul J. Ray eröffnet eine zweite Gruppe von Beiträgen, die der Überschrift »Archaeological Studies, Broader Context« zugeordnet sind, mit einem Überblick über die großen Entwürfe zur Erklärung der Entstehung Israels (79–93). Neuere Hypothesen scheinen ihm allesamt auf die eine oder andere Weise an die klassischen Konzeptionen anzuknüpfen. Um ein ausgewogeneres Bild zu erreichen, als es bis jetzt gelungen ist, schlägt er vor, die Stärken älterer und neuerer Ansätze mit einer differenzierten, aber positiven Würdigung des biblischen Materials zu verknüpfen. Dabei müsse das Material aus den Büchern Jos und Ri zwei unterschiedlichen Phasen der Entstehungsgeschichte Israels zugeordnet werden. Patrick Mazani unternimmt ebenfalls einen forschungsgeschichtlichen Anlauf (95–109). Sein Interesse gilt der jüngeren Debatte und ist auf »ar-­chaeological surveys, artifacts, architecture, the social-scientific models, and extrabiblical texts« (97) fokussiert. Die heute stark verbreitete Vorstellung, »that the ancient Israelites were indigenous Canaanites« (109), eröffnet seines Erachtens keine tragfähige Perspektive. Was der aktuellen methodologischen Diskussion fehle, sei »a healthy respect for the biblical tradition itself« (ebd.). Gerald A. Klingbeil bemüht sich um eine archäologische Beschreibung der religiösen Wirklichkeit im Palästina der späten Bronzezeit (111–150). Der Begriff des Kultischen erscheint in diesem Zusammenhang als die zentrale Kategorie. Auch Klingbeil votiert für eine »multidisciplinary perspective« (114), will sowohl biblische und außerbiblische Texte als auch im engeren Sinne archäologische Daten berücksichtigen. Dass sein relativ materialreicher Beitrag doch nur vergleichsweise bescheidene Resultate zeitigt (142–143), ergibt sich aus der schwierigen Quellenlage und dem noch größeren Problem einer eindeutigen Interpretation der vorhandenen archäologischen Zeugnisse. Mark W. Chavalas entwirft ein archäologisches Bild Nordmesopotamiens und Syriens während der Bronzezeit, um einen Kontext für das frühe Israel und vielleicht sogar Hinweise auf dessen Ursprünge zu gewinnen (151–161). Die grobe Skizze umfasst allerlei bekanntes Material aus dem 3. und 2. Jt. v. Chr. Ein möglicher Zusammenhang zur Geschichte Israels wird leider nur in Form vager Andeutungen hergestellt.
Die letzten vier Beiträge sind detaillierteren archäologischen Betrachtungen gewidmet. Ralph Hawkins korreliert die Ergebnisse von Zertals Survey des manassitischen Territoriums, insbesondere des zentralen Hügellandes, mit Aussagen aus den Büchern Jos und Ri (165–179). Seine Ausführungen verdienen wegen der darin enthaltenen Würdigung der langjährigen Pionierarbeit Zertals Beachtung. Sicherlich hat Zertal selbst die von ihm gesammelten Daten mitunter eigenwillig interpretiert, gleichwohl bleibt seine Arbeit für die Rekonstruktion der Geschichte Israels von kaum zu überschätzendem Wert. Vor allem die signifikante Besiedlungszunahme in EZ I kann von keiner Theoriebildung unbeschadet übersehen werden. Hawkins verschweigt nicht die scharfe Kritik, die namentlich Dever an Zertals Schlussfolgerungen geübt hat, vermag sich dessen Urteil aber nicht anzuschließen. Hawkins’ eigener Versuch, die archäologischen Funde auf das biblische Material zu beziehen, bleibt zu skizzenhaft, um eine eingehende Diskussion zu ermöglichen.
Einen bemerkenswerten wissenschaftshermeneutischen An­satz verfolgt Daniel M. Master (181–189). Er setzt sich mit Joseph Frees Kampagnen zur Erforschung Tell Dothans auseinander. Free hatte seinerzeit mit apologetischem Auftrag die Historizität der biblischen Geschichtsdarstellung untermauern wollen. Seine interessantesten Funde stammten allerdings aus der Frühbronzezeit und waren daher wenig geeignet, das gesetzte Ziel zu fördern. In vielen seiner Berichte spielten sie deshalb kaum eine Rolle. Wie Master weiter ausführt, haben neuere Untersuchungen inzwischen durchaus beachtliches Material aus der späten Bronze- und frühen Eisenzeit zutage gefördert, das sich freilich kaum mit der biblischen Landnahmekonzeption verbinden lässt, dafür jedoch weiterführende Perspektiven auf die geographische Bedeutung Dothans eröffnet und religions- und sozialgeschichtliches Poten­-tial besitzt. Master fordert deshalb mehr Offenheit bei der Zielsetzung archäologischer Projekte. Es könne nicht darum gehen, die Historizität bestimmter geschichtlicher Prozesse zu verifizieren. Der Fokus müsse vielmehr auf die Rekonstruktion der Lebenswelt gerichtet werden, die allenfalls als Hintergrund für die biblische Geschichtsdarstellung infrage komme. Steven M. Oritz setzt sich mit neueren Hypothesen zur Geschichte der Philister in der südlichen Levante auseinander und nimmt dabei unter anderem diverse Diskussionsbeiträge Finkelsteins kritisch ins Visier (191–204). Zum Schluss unterbreitet Bryant G. Wood den Vorschlag, das biblische Ai nicht länger mit et-Tell, sondern mit dem 1,5 km südöstlich von Beitin gelegenen Khirbet el-Maqatir zu identifizieren (205–240).
Abgesehen von den abschließenden Beiträgen, die teils wegen des von ihnen vorgestellten Materials, teils wegen ihres Diskussionsniveaus Beachtung verdienen, bietet der Sammelband wenig innovative Anregungen. Die Autoren konfrontieren sich mit der aktuellen Forschungslage und versuchen, angesichts einer in der Tat dekonstruktivistisch geprägten Meinungsvielfalt an der Be­deutung der biblischen Überlieferung für die Geschichte Israels festzuhalten. Vieles von dem, was sie vorbringen, wirkt apologetisch. Ihre Warnung vor übertriebener Skepsis und ungerechtfertigter Einseitigkeit sollte gleichwohl nicht ungehört bleiben. Audiatur et altera pars!