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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1288-1289

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Powell, Mark E.

Titel/Untertitel:

Papal Infallibility. A Protestant Evaluation of an Ecumenical Issue.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XII, 226 S. gr.8°. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8028-6284-6.

Rezensent:

Josef Außermair

Es ist schon lange her, dass ein protestantischer Theologe aus dem englischsprachigen Raum das Thema der päpstlichen Unfehlbarkeit aufgegriffen hat. Schon deshalb verdient die vorliegende Studie besondere Aufmerksamkeit. Sie ist aus der an der Southern Me­thodist University eingereichten Dissertation mit dem Titel »Papal Infallibility as Religious Epistemology: Manning, Newman, Dulles, and Küng« hervorgegangen. Der Titel allein zeigt schon, dass dieses Werk die päpstliche Unfehlbarkeit nicht aus biblischer oder geschichtlicher Perspektive diskutiert, sondern sie als Paradigma für ein Verständnis religiöser Epistemologie und kirchlicher Autorität ins Gespräch bringen will.
Was macht das Thema für P. so interessant? Für ihn sind es vor allem zwei Gründe: 1. In der päpstlichen Unfehlbarkeit kulminiert die Sehnsucht nach religiöser erkenntnistheoretischer Sicherheit, die der Rückbezug auf Schrift und Tradition – rein epistemologisch gesehen – nicht lösen kann. 2. Durch die formelle Kanonisierung in der katholischen Tradition stellt sie eine Herausforderung und Anfrage dar, die mit der Lehre von der biblischen Irrtumslosigkeit in manchen reformatorischen Gemeinschaften korreliert.
P. legt wie sein Lehrer William J. Abraham in seinen Studien »Canon and Criterion in Christian Theology« und »Canonical Theism: A Proposal for Theology and the Church« großen Wert auf die Unterscheidung zwischen kirchlichen Richtlinien bzw. Normen und erkenntnistheoretischen Kriterien. W. Abraham verweist zwar auf das umfassende »kanonische« Erbe in Schrift, Lehre, Liturgie und bei den Kirchenvätern, will aber diesen »canonical theism« auf die Soteriologie beschränken. Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit dagegen betrachtet die Norm der Kirche als epistemologisches Kriterium. Einer adäquaten Interpretation entsprechend würde der Papst als »infallible belief-producing mechanism« (14) dienen, was das Papstamt zu einer erkenntnistheoretischen Quelle macht. Nach W. Abraham und P. könne kirchliche Autorität aber nicht eine epistemologische Sicherheit bereitstellen, sondern nur eine soteriologische Rolle ausfüllen.
In den Kapiteln 3 bis 6 wird dem Ursprung und der Ausübung der päpstlichen Unfehlbarkeit im Umfeld des 1. Vatikanischen Konzils nachgegangen. Dabei ist die hermeneutische Anstrengung des protestantischen Theologen P. bewundernswert, wenngleich einige Aussagen etwas holzschnittartig geraten sind.
Nacheinander werden Henry Manning als Repräsentant einer maximalen, J. H. Newman und Avery Dulles als Vertreter der gemäßigten und Hans Küng als Repräsentant einer minimalen päpstlichen Unfehlbarkeit dargestellt. Jeder der angeführten Theologen wird durch Angabe seiner biographischen Daten und seiner bestimmenden theologischen Gedankengänge vorgestellt. Dieser Kontext ist für den Leser sehr wertvoll, da es nur wenig Sekundärliteratur bzw. Übersetzungen ins Deutsche gibt.
P. war gut beraten, die hier vorgestellten Theologen auszuwählen, da sie sowohl chronologisch als auch theologisch ein weites Spektrum abdecken. Chronologisch gesehen lebten Manning und Newman während der Zeit der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit und repräsentierten zugleich frühe Antworten auf diese Lehre, während Dulles und Küng durchaus zeitgenössische Überlegungen wiedergeben. Theologisch werden drei Typologien, die maximale (Manning), die gemäßigte (Newman und Dulles) und die minimale (Küng) vorgestellt. Dabei können alle drei Typoi sowohl im Umfeld des I. Vatikanum als auch im zeitgenössischen theologischen Denken angetroffen werden. Die ersten drei Autoren sind prominente englischsprachige Konvertiten, Manning und Newman aus der Anglikanischen Gemeinschaft, Dulles aus dem atheistischen Umfeld. Den Dreien ist gemeinsam, dass sie sich mit Fragen religiöser Erkenntnistheorie befassten und später zu Kardinälen ernannt wurden.
Während Newman und Küng auch an­dernorts einer eingehenden theologischen Rezeption gewürdigt werden, soll hier kurz auf den im deutschen Sprachraum fast unbekannten Dulles hingewiesen werden, dessen Sicht der päpstlichen Unfehlbarkeit P. kenntnisreich erörtert.
P. entwickelt auf gut nachvollziehbare Weise Dulles’ »symbolisch-realis­tischen« Zugang zu wichtigen theologischen Schlüsselbegriffen. P.s Versuch, die päpstliche Unfehlbarkeit von der Indefektibilität der Kirche und der Ge­schichtlichkeit der Dogmenentwicklung her zu verstehen und darzustellen, ist ausgesprochen gelungen. Dabei ist für den Leser nicht ganz nachvollziehbar, warum P. Dulles zweifelhafter Kompromisse verdächtigt. Er glaubt, dass Dulles am Begriff der Unfehlbarkeit festhalte, um die Kontinuität des katholischen Erbes sicherzustellen, und sich keineswegs von einer erkenntnistheoretischen Sicherheit der päpstlichen Unfehlbarkeit verabschiede.
P.s Studie ist wegen der Fülle des verarbeiteten Materials eine beachtliche Leistung. Seine Verortung der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit in einer theologischen Epistemologie ist nicht nur ein konstruktiver Beitrag zur Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit, sondern bereichert auch die ökumenische Diskussion über die theologische Erkenntnislehre – verbunden mit der Frage nach der Autorität in der Kirche.