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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1279-1281

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kalloch, Christina, Leimgruber, Stephan, u. Ulrich Schwab

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2009. 440 S. 8° = Grundlagen Theologie. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-451-30263-3.

Rezensent:

Bernd Schröder

Das Autorenteam legt mit diesem Band das erste Lehrbuch der Religionsdidaktik vor, dessen Textbestand von den evangelischen und katholischen Autoren gemeinsam verantwortet wird (auch wenn die Autorschaft der Erstfassungen der Kapitel auf S. 12 eigens Erwähnung findet). Inspiriert von einer gemeinsamen Lehrveranstaltung der beiden Mit-Autoren an der Ludwig-Maximilians-Universität München wollen die drei damit zum Aufbau »einer konfessionell-kooperativen Fachdidaktik« beitragen (11).
So wegweisend das Anliegen, so konventionell ist der Aufbau des Buches: Das Team hat sich entschieden, Religionsdidaktik im Wesentlichen einerseits entlang der »Konzeptionen im 19. und 20. Jahrhundert« (Teil 2, 29–204), andererseits anhand einer Auswahl von insgesamt zwölf »Dimensionen und Prinzipien« (Teil 3, 205–360) zu entfalten. Am Ende steht darüber hinaus eine knappe Skizze, wie »Religionsunterricht in Europa« derzeit organisiert wird (Teil 4, 361–397). Zu Beginn erläutern die Autoren knapp ihr Vorgehen mitsamt der verwendeten Begriffe (Teil 1, 15–28); den Schluss­punkt setzen sie durch ihre persönlichen Resümees bzw. durch »Visionen« zur »Zukunft des Religionsunterrichts« (398–409).
Mit diesem Aufbau verzichten sie freilich auf die Erörterung anderer maßgeblicher Stellschrauben der Religionsdidaktik, insbesondere auf eine systema­tische Erläuterung der Faktoren des Unterrichts, also Schüler, Religionslehrer, Methoden, Medien und Themen, ebenso auf die Behandlung von Spezifika einzelner Schulformen, Altersgruppen u. Ä. m.
Der Bogen der im ersten Teil referierten Konzeptionen reicht von der »Katechismusdidaktik«, die als »Vorgeschichte religionsdidaktischer Konzeptionen« begriffen wird (31), bis zur Symboldidaktik. In der Regel werden unter einer gemeinsamen Überschrift evangelische und katholische Lesarten der jeweiligen Konzeption präsentiert, leider allerdings ohne Schulbüchern, denen als Medium der Wirksamkeit von Konzeptionen anfangs ein hoher Rang attestiert wurde (25), mehr als gelegentlich Beachtung zu schenken. Aufs Ganze gesehen tritt so eindrücklich hervor, »wie ähnlich und strukturverwandt die konzeptionelle Ausprägung des Faches […; sc. in beiden Konfessionen] gewesen ist« (404). Summiert wird die Entwicklung der Konzeptionen – instruktiv visualisiert – als Gewinn an Komplexitäts- und Realitätsadäquatheit und als Vollzug einer »zweifachen Wendung« (188), nämlich weg vom Religionsunterricht als »kirchliche[r] Veranstaltung« und weg von seinem exklusiven Bezug auf das Christentum (188 f.) Die Autoren und Autorinnen zeigen zudem drei Richtungen zukünftiger Entwicklung an: Erstens sei die »gesellschaftliche Pluralität« die Schlüsselherausforderung des Religionsunterrichts (190). Zweitens komme der »konstruktivistische[n] Didaktik« (191) und drittens der Berücksichtigung verschiedener Dimensionen und Prinzipien des Unterrichts wegweisendes Gewicht zu. Das »Zeitalter religionsdidaktischer Kon­zeptionen« (177; vgl. 25), verstanden als relativ geschlossene Modelle von Religionsunterricht mit umfassender Prägekraft (25), sei jedenfalls zu Ende. – Ebendiese Feststellung zieht freilich die Frage nach sich, warum den heutzutage inadäquaten Konzeptionen in diesem Lehrbuch (noch) so breit Raum gegeben wird.
Als maßgebliche »Dimensionen« der Religionsdidaktik, die »der religionsdidaktischen Wirklichkeit eine bestimmte Signatur« geben (26), stellen die Autoren in Teil 2 »Pluralität«, »Ästhetische Bildung«, »Ökumenisches Lernen«, »Interreligiöses Lernen«, »Gender-Sensibilität« und »empirische Forschung« vor; als »Prinzipien«, das sind »regionale Handlungsanweisungen«, die sich »auf em­pirisch überprüfbares Erfahrungswissen« stützen (26), »Sakralraumpädagogik«, »biografisches Lernen«, »Elementarisierung«, »Kin­der­theologie«, »performativer Religionsunterricht«, »Kompetenzorien­tie­rung«. An verschiedenen Stellen werden die behandelten Di­mensionen und Prinzipien als »Beispiele« bzw. als »Auswahl« gekennzeichnet (26 f.).
Der abschließende dritte Teil »Religionsunterricht in Europa« ist über das Stichwort »Pluralität« mit dem zuvor Behandelten verbunden: Hatten die Autoren eingangs mit Blick auf die Wende vom 19. zum 20. Jh. ein homogenes »European Pattern of Religious Education« identifiziert (17), erkennen sie nun an der Wende zum 21. Jh. eine Anpassung des »religiöse[n] Bildungsangebots« an die »pluralen europäischen Gesellschaftsstrukturen«, allerdings auch den »festen Platz [sc. religiöser Bildung] im europäischen Bildungs-system« (397). – Leider kommen im Durchgang durch 18 Länder nur selten die dortigen religions didaktischen Diskurse und damit die Ebene der Reflexion zur Sprache, die bis S. 360 im Mittelpunkt ihres Buches stand – das ist schade gerade angesichts des schönen, prinzipiell fruchtbaren Verfahrens, Landsleute zu bitten, den Abschnitt zu ihrem jeweiligen Land gegenzulesen.
Für die Zukunft erwarten bzw. erhoffen die Verfasser u. a. die Berücksichtigung »neue[r] Dimensionen« (402), den weiteren Be­deutungsgewinn didaktischer Prinzipien, namentlich der »Elementarisierung« (402.405), auch »eine kritische Haltung [sc. des Religionsunterrichts] zu den Grundlagenfragen unserer Gesellschaft« (407) und eine Ausbildung der Religionslehrer und -lehrerinnen, die dem »Lernen an der eigenen Person« mehr Raum gibt (408). – Kurzum: Evangelische wie katholische Religionspädagogen und Religionspädagoginnen finden mannigfaltige Anregungen in diesem Buch, nicht zuletzt Rückhalt für eine erfreulich ökumenische Orientierung ihres Unterrichts.
Dennoch seien auch zwei Rückfragen formuliert. Angesichts der Pluralität der Gesellschaft, der Unterrichtswirklichkeit und der religionsdidaktischen In­strumente steht am Ende die Frage im Raum: Anhand welcher Kriterien sollen sich Religionslehrer und -lehrerinnen für oder gegen bestimmte Konzeptionen, Dimensionen Prinzipien entscheiden? Sie alle stehen ja nicht konkurrenzlos oder komplementär nebeneinander, sondern erfordern Präferenzen. Und: Gibt es nicht bei aller konzeptionellen Gemeinsamkeit evangelischer und katholischer Religionsdidaktik nach wie vor gravierende Unterschiede, die zumindest erwähnenswert wären – etwa bei der m. E. zu Unrecht völlig vernachlässigten Frage der Inhalte bzw. des theologischen Profils des Unterrichts, bei den rechtlichen und inhaltlichen Pflöcken, die die verfassten Kirchen eingeschlagen haben und immer wieder einschlagen, in der religiösen Sozialisation von Religionslehrern und Schülern? Gibt es nicht zudem auch Überschüsse an Einsicht in der jeweiligen Schwesterdenomination, die man wahrnehmen und benennen müsste, um aus konfessioneller Kooperation mehr Honig zu saugen als die Feststellung eines gemeinsamen Nenners der jeweiligen didaktischen Reflexionen?
Vor Fragen wie diesen steht allerdings nicht nur dieses Lehrbuch, sondern die gesamte religionspädagogische Zunft in Theorie wie Praxis.