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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1275-1277

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Adam, Gottfried, u. Rainer Lachmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neues Gemeindepädagogisches Kompendium.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2008. 482 S. m. Tab. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 40. Geb. EUR 61,90. ISBN 978-3-89971-524-8.

Rezensent:

Johannes Zimmermann

Es ist ein spannendes Unternehmen, wenn ein Herausgeberduo nach 21 Jahren ein Standardwerk in komplett neuer Bearbeitung ein zweites Mal herausgibt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen! Vom einleitenden Grundsatzartikel abgesehen sind alle Artikel von anderen Verfassern geschrieben. – Der erste Teil befasst sich mit gemeindepädagogischen Grundlagen, der zweite, doppelt so lange Teil mit den gemeindepädagogischen Handlungsfeldern.
Die Herausgeber beschreiben das Verhältnis ihrer Kompendien so: »Bei aller Kontinuität des Konzepts dokumentiert dieses neue Kompendium mit seinen Beiträgen und Beiträgern Änderungen und Neuerungen, Wandlungen und Fortschritte einer Gemeindepädagogik, die ›in den vergangenen dreißig Jahren erwachsen ge­worden‹ ist« (60, Zitat P. Bubmann).
Auf den ersten Blick erscheint der neue Band voluminöser. Ge­wachsen ist jedoch weniger die Seitenzahl (von 451 auf 482 Seiten), sondern vor allem die Zahl der Handlungsfelder, die mit einem eigenen Artikel bedacht werden (s. u.). Die Handlungsfelder sind über den gemeindlichen Bereich ausgeweitet, betont wird mehrfach, dass »Gemeinde« nicht mit Ortsgemeinde gleichzusetzen sei.
Gemeindepädagogik ist für die Herausgeber »gegenüber der schulischen Religionspädagogik profiliert durch ihren dominanten Gemeindebezug, gegenüber den anderen kirchlichen Handlungsfeldern durch die … (religions-)pädagogische Aufgaben- und Handlungsdimension« (18). Grundlegend ist für sie dabei die Zusammengehörigkeit von evangelischem Glaubensverständnis und subjektorientiertem Bildungsverständnis (33).
Anders als die Herausgeber vertritt C. Grethlein einen »›gemeindeliturgischen‹ Ansatz« (58). Für ihn gehören der liturgische und der pädagogische Zugang zusammen. Am altkirchlichen Taufkatechumenat wird für Grethlein deutlich, »dass zum Christwerden ein Lernen gehört, das sich am günstigsten im Rahmen liturgischer Feiern vollzieht« (232, Artikel »Kindergottesdienst«).
Ein »sektorales Verständnis« der Gemeindepädagogik ist bezogen »auf die konkreten gemeindepädagogischen Handlungsfelder« (19). Hinzu treten die »dimensionale Seite« bzw. die »gemeinde­pädagogischen Anteile des übrigen kirchlichen Handelns in Predigt, Seelsorge, Diakonie usw.« (19). In den einzelnen Artikeln wird das sehr unterschiedlich umgesetzt: In den Artikeln zu Kirchenmusik und Kirchentag stellt P. Bubmann die gemeindepädago­gische Dimension in den Vordergrund, während der an sich vorzügliche Artikel »Studierendengemeinde« (D. Rusam) nur wenig gemeindepädagogische Reflexion enthält und auch in einem Handbuch der Praktischen Theologie stehen könnte.
Hat man den Weg einer dimensionalen Erörterung eingeschlagen, könnte er noch weiter gegangen werden. Die Herausgeber selbst fragen entsprechend: »Welche gemeindepädagogische Rolle sollen … Gottesdienst, Sakramente und Missionsauftrag spielen?« (16).
Dazugekommen und erhellend ist der zweite Artikel »Problemorientierte Geschichte der Gemeindepädagogik« (R. Lachmann). Die Gemeindepädagogik beerbt die Katechetik, hat aber deren »al­tes Haus« (20) verlassen, um das Image »pädagogischer Rückständigkeit und einseitiger Verkirchlichung« (49) abzulegen. Der »Wurzelgrund, aus dem die neue Wissenschaftsdisziplin der Gemeindepädagogik« erwuchs, waren die »Jahre des religionspädagogischen Umbruchs und Aufbruchs« (51), vor allem die 1960er Jahre.
Der dritte Artikel von C. Hofrichter befasst sich mit dem katechetischen Handeln der römisch-katholischen Kirche. Unter Katechese versteht sie ein personen- und situationsgerechtes lebensbegleitendes Lernen des Glaubens, das auch die »Begleitung der Initiation in den christlichen Glauben« (79) einschließt und daher die »Einführung, Vertiefung und Vergewisserung im Glauben« (74) umfasst. Auch wenn der Artikel kaum direkte ökumenische Bezüge enthält, kommen ökumenisch relevante Fragen zur Sprache: Welche Rolle spielt in einer Situation, in der »Christwerden durch Sozialisation immer weniger der Normalfall sein wird« (79), die Frage nach Hinführungswegen Erwachsener zum Glauben, bzw. die Einführung in den Glauben und seine Lebensformen? Damit verbunden ist die grundsätzliche Frage, wo Gemeindepädagogik ansetzt. Lässt sie sich leiten von der Hermeneutik des schon gegebenen oder des noch nicht vorhandenen Einverständnisses im Glauben (392 in Anknüpfung an Nipkow)?
Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Situation der Evangelischen Kirchen in den neuen Bundesländern dar, die im Beitrag von M. Steinhäuser zur Christenlehre in den Blick kommt. Da der Anteil ungetaufter Kinder bei ca. 30 % liegt, kann die Taufe nicht zur Voraussetzung gemacht werden, Christenlehre erfolgt »von der Taufe her oder auf die Taufe hin« (242).
In einzelnen Artikeln wird erwähnt, dass gemeindepädagogische Aktivitäten heute weithin keine »Selbstläufer« mehr sind (141). Eher selten im Blick ist jedoch die Erfordernis, Menschen zu »ge­winnen«. Herrscht hier noch die Hoffnung, dass »Menschen ›von selbst‹ in die Kirche kommen« (307 zu Kirchengebäuden)? Im vierten Artikel wendet sich R. Englert den religiösen Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf zu. Man kann das als Ergänzung, aber auch als Kontrast zur vorangehenden katechetischen Perspektive sehen. Die von Englert gestellte Alternative zwischen »Anlagemodell« und »Bekehrungsmodell« bleibt insgesamt in der Schwebe.
Zwei Artikel über »Ehrenamtlich Mitarbeitende« (S. Breit-Keßler/M. Vorländer) und »Gemeindepädagogische Didaktik und Planung« (G. Adam/R. Lachmann) schließen den Grundlagenteil ab. Hier und an weiteren Stellen wird das Spannungsfeld zwischen Gemeindepädagogik und Gemeindeentwicklung erkennbar. Wenn (zu Recht) angemahnt wird, dass die Kindertagesstätte »noch mehr in Konzepte der Gemeindeentwicklung einbezogen werden« sollte (208, F. Harz), gilt das auch umgekehrt: Themen der Gemeindeentwicklung könnten noch stärker in die gemeindepädagogische Reflexion einbezogen werden, vor allem die Vernetzung der beiden Diskurse ist ausbaufähig.
Die Artikel des zweiten Teils sind 16 gemeindepädagogischen Handlungsfeldern gewidmet. Wieder vertreten sind die Themen Religiöse Erziehung in der Familie, Kindertagesstätten, Kindergottesdienst, Konfirmandenarbeit, Jugendarbeit, Erwachsenenbildung und Altenbildung. Zu diesen sieben sind neun Bereiche neu dazugekommen: Kleinkinder, Christenlehre, Kirchenpädagogik, Kirchenmusik, Evangelische Schulen, Studierendengemeinde, Diakonisch-soziales Lernen, Kirchentag und Internet.
Die fundiert geschriebenen und durchweg gut lesbaren Artikel führen kompetent in die Handlungsfelder ein, enthalten eine beeindruckende Fülle von Informationen und stellen den aktuellen Stand der Diskussion sowie neuere Entwicklungen vor. Themen sind die Geschichte des jeweiligen Handlungsfeldes sowie Grundsatzfragen, Beispiele aus der Praxis treten neben Fragen zur Empirie und den Kontexten. Dabei werden die Akzente unterschiedlich gesetzt. U. Schwab behandelt ausführlich die neuere Theoriegeschichte der Jugendarbeit, M. Schreiner (Evangelische Schulen) und J. Wolff (Evangelische Erwachsenenbildung) stellen Grundsatzfragen in den Mittelpunkt, R. Rogall-Adam (Altenbildung) legt einen Schwerpunkt auf empirische Befunde und R. Rosenstock (Internet) stellt Praxisbeispiele in Form kirchlicher Internetseiten vor.
Für den Rezensenten steht außer Frage, dass auch das neue Kompendium zum Standardwerk avancieren wird. Eine preisgünstige Studienausgabe könnte das Buch auch für Studierende erschwinglich machen.