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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1271-1272

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Martin, u. Hans-Ulrich Pschierer

Titel/Untertitel:

Reich Gottes im Werden. Modell einer auftragsorientierten Gemeindeentwick­lung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2009. 162 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-02673-9.

Rezensent:

Reiner Knieling

»Reich Gottes im Werden« spiegelt das Konzept der Gemeindeentwicklung, wie es in der zweiten Ausbildungsphase im Nürnberger Predigerseminar den Vikarinnen und Vikaren vermittelt wird. Die beiden Autoren, Rektor und Studienleiter dort, mahnen in der weitgehend durch systemische und organisationstheoretische Pa­radigmen geprägten Diskussion um Gemeindeentwicklung und Kirchenreform die Auftragsorientierung an und buchstabieren durch, wie diese in den konkreten Vollzügen gemeindlicher Arbeit Gestalt gewinnen und zu den anderen Ebenen (System, Organisation, empirische Daten etc.) in fruchtbare Beziehung gesetzt werden kann. Gemeindeentwicklung verstehen sie als »Dynamik, die sich aus der Spannung zwischen kirchlichem Auftrag, einer Hoffnungsvision und der konkreten gemeindlichen und gesellschaftlichen Situation ergibt« (15).
Den kirchlichen Auftrag bestimmen sie vom Reich Gottes her, das sie mit Michael Welker als »emergentes Geschehen« verstehen: »Das Reich Gottes ist tatsächlich zugleich zukünftig und gegenwärtig, immanent und transzendent, innerlich und äußerlich wahrnehmbar.« (17) Gemeindeentwicklung ist dessen »zeichenhafte und vorläufige Gestaltwerdung« (18) und deshalb am Reich Gottes auszurichten.
Die beiden Autoren unterscheiden und qualifizieren mit dem Kirchenrechtler Hans Dombois (1974) vier Dimensionen von Kirche (28): Der »universale[n] Kirche« (»Gemeinschaft der Getauften und auf das Reich Gottes Hoffenden«) und der konkreten, lokalen »Gemeinde« sprechen sie »primär-theologische Dignität« zu, der »Partikularkirche« (Landeskirche, Dekanat etc.) hingegen und »besondere[n] Dienstgemeinschaften« nur »sekundär-theologische Dignität«.
Wie in anderen Modellen der Gemeindeentwicklung werden im weiteren Verlauf des Buches z. B. Phasen der Organisationsent­wick­lung dargestellt oder verschiedene Konfliktlösungsmodelle entfaltet. Die konkrete, lokale Gemeinde wird zum kirchlichen Auftrag und zur Gesellschaft in Beziehung gesetzt. Bezüglich der Gemeinde werden Identität, Struktur und Klima unterschieden. Das Miteinander der verschiedenen kirchlichen Berufsgruppen wird, was leider nicht selbstverständlich ist, ausdrücklich reflektiert und der spezifische Auftrag der Pfarrerinnen und Pfarrer auftragsorientiert so beschrieben: »Weder der alte Hüter von Sitte und Anstand, der im Kreise der intakten Familie im Pfarrhaus residiert, noch die gestresste Gemeindemanagerin, die von Termin zu Termin hetzt, erscheint u. E. erhaltenswert. Es geht darum, die zu verkündigende Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft ernst zu nehmen, die auch die verkündigenden Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrer Arbeit leitet, verändert, befreit und ermutigt.« (108) Im ausführlichen Schlusskapitel des Buches wird mit Arbeitsvorschlägen und Praxisbeispielen detailliert beschrieben, wie ein Kirchenvorstand (Presbyterium) mit dem auftragsorientierten Modell arbeiten kann (109–157).
Hoffmann und Pschierer haben einen streitbaren Ansatz vorgelegt. Das Anliegen, die theologische Dimension in der Gemeinde­entwicklungs- und Kirchenreformdebatte an zentraler Stelle zu verorten, kann ich nur unterstützen. In der Durchführung bleiben allerdings wichtige Fragen offen, z. B.: Ist die Auftragsorientierung für die Autoren gleichberechtigtes Kriterium neben der Orientierung an Organisationstheorie, empirischen Befunden etc., wie sie an einigen Stellen betonen, oder ist sie doch primäres Kriterium? Ist Auftragsorientierung selbstverständlich identisch mit Reich-Gottes-Orientierung? Wie werden die »primär-theologische Dignität« und »sekundär-theologische Dignität« begründet und was wären die Alternativen? Es ist schade, dass die Autoren nur wenige Bezüge zu anderen gegenwärtigen Ansätzen der Gemeindeent­wick­lung und Kirchenreform herstellen und so die Chance zur Profilierung des eigenen Ansatzes in Auseinandersetzung mit anderen nur begrenzt nutzen.