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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1265-1266

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wolf, Walter

Titel/Untertitel:

Für eine sozial verantwortbare Marktwirtschaft. Der Wirtschaftsethiker Arthur Rich.

Verlag:

Zürich: Theolo­gischer Verlag Zürich 2009. 208 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 30,00. ISBN 978-3-290-17529-0.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Die Studie von Walter Wolf beschäftigt sich mit Arthur Rich (1910–1992), dem nach Johannes Fischer »unbestritten … bedeutendste[n] Wirtschaftsethiker im Bereich der deutschsprachigen evangelischen Ethik« (167). Zur Erhebung seines Gesamtwerkes, das mit seiner Biographie eng verbunden sei (69), geht W. auf Richs Entwick­lungsphasen als Arbeiter, Pfarrer, Lehrer (1910–1954; 15 ff.), als Hochschullehrer und Forscher (1954–1975; 57 ff.) sowie als Wirtschaftsethiker (1975–1992; 119 ff.) ein. Dabei sei für Rich in seinen Jugend- und Studienjahren die Begegnung mit Ragaz von maßgeblicher Bedeutung gewesen, ohne dass er sich »als unabhängiger Geist« einer theologischen Strömung angeschlossen hätte (22). In seiner Zeit als Pfarrer in Hemmental (25 ff.) und als Seminardirektor in Schaffhausen (27 ff.) sei sodann die Orientierung an Zwingli für ihn theologisch maßgeblich geworden (35).
Nach seiner Berufung nach Zürich (1954) habe Rich bald seinen sozialethischen »Erstling« (67) »Christliche Existenz in der industriellen Welt« präsentieren können sowie nach der Auseinandersetzung mit der Theologie der Revolution (85 ff.) sein Werk »Mitbestimmung in der Industrie« (1973; 95 ff.). Dort habe er qualifizierte Mit­beteiligung, Mitbestimmung und Mitverantwortung für die Arbeitnehmer gefordert, und zwar auf Unternehmensebene, Be­triebs­ebene und auf Arbeitsplatzebene (97). Denn wie »der Aktionär dem Unternehmen das Kapital leihe, so der Mitarbeiter seine Arbeitskraft« (101). Zwar sei dann 1976 das seinem Konzept entsprechende Mitbestimmungsgesetz in der Schweiz gescheitert (103), jedoch habe das nichts an Richs Ruf in der Schweiz und in Deutschland geändert, wo er in kirchlichen und wissenschaftlichen Gremien hoch geschätzt wurde, nicht zuletzt durch die von ihm mit gegründete »Zeitschrift für Evangelische Ethik« (ZEE) oder die »Societas Ethica« (111).
Im Ruhestand habe sich Rich noch intensiver wirtschaftsethischen Fragen zugewandt (117 ff.) und im ersten Band seiner 1984 erschienen »Wirtschaftsethik« besonders »theologische Grundlagen« und »ordnungspolitische Grundfragen« vertieft (122 f.). Zu Recht konstatiert W., dass er damit nach Georg Wünschs Wirtschaftsethik von 1927 eine empfindliche Lücke in der deutschsprachigen protestantischen Wirtschaftsethik habe schließen können.
Konkret sei es Rich um die »Verbindung des ›Menschengerechten‹ mit dem ›Sachgemässen‹« gegangen (124). Und dazu habe er auf drei Ebenen eine Methode zur Ermittlung ethischer Urteile in der Wirtschaft vorgestellt (125 f.): Auf der ersten Ebene sei die humane Fundamentalprämisse verankert, nämlich die christliche »Magna Charta ›Glaube, Hoffnung, Liebe‹«. Auf der zweiten Ebene gewinne Rich aus dieser Fundamentalprämisse Kriterien, »mit deren Hilfe er das Menschengerechte im Bereich des Personalen wie des Gesellschaftlichen zu konkretisieren versucht«. Und auf der dritten Ebene formuliere er dann sozialethische Maximen, die es ermöglichen sollen, »Handlungsorientierungen für bestimmte Sachfragen zu erarbeiten«, wobei deren Gültigkeit, entsprechend der dem steten Wandel ausgesetzten Situation, auf die die Maximen Bezug nehmen, relativ und veränderbar sei (127). Diese Maximen seien als Orientierungshilfen allgemeine Handlungsrichtlinien für be­stimmte Sachfragen, jedoch noch keine konkreten Handlungsanweisungen (139). Und weiter habe Rich dann zur Maximenbildung – ähnlich wie Heinz Eduard Tödt in der ZEE 1977 – ein fünfteiliges Verfahren entwickelt (139 f.).
Dieses Verfahren habe sich in verschiedenen, teils von ihm be­gleiteten Beurteilungen bewährt, so z. B. hinsichtlich der Schweizer Raumplanung und des Bodenrechts (142 ff.), in Blick auf Lebensstil, Bankengesetzgebung und Friedensbewahrung (144 ff.). Dass dennoch dem Ansatz Richs gegenwärtig kaum angemessene Be­deutung zuteil würde, läge daran, dass »die theologische Ethik im Bereich der Wirtschaftsethik allmählich von der philosophischen und sozialwissenschaftlichen Ethik verdrängt worden sei«, und andererseits daran, dass sich »die Kirchen trotz der Warnung von Arthur Rich immer stärker aus der grundlegenden Arbeit zu so­- zial­ethischen Themen zurückgezogen hätten« (149).
Im zweiten Band seiner »Wirtschaftsethik« habe Rich nun seine Methode bei der Beurteilung von Marktwirtschaft und Planwirtschaft angewendet (140) und sei prinzipiell zur ordnungspolitischen Option zugunsten der Marktwirtschaft gekommen (154 ff.). Diese Analyse sei jedoch erst zu spät im Jahre 1990 nach dem Untergang kommunistischer Planwirtschaft in Europa veröffentlicht worden. Ferner referiert W. die berechtigte Kritik, dass Rich sich weitgehend auf die Themen der Industriegesellschaft eingegrenzt habe (159) und dass eine theologische Unternehmensethik fehle (162 f.). Sei Rich deshalb zu Recht – wie W. wahrnimmt – aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entschwunden (167)? Doch W. ist beizupflichten, dass Richs Darlegungen zunächst in historischer Sicht als aufschlussreiche Dokumente aus der Zeit des Kalten Kriegs zu schätzen seien (168).
Weiter hätten Richs Erörterungen der Problematik der Marktwirtschaft nichts an Aktualität verloren. Deshalb ist in der Studie ein letzter Beitrag Richs zu dieser Thematik abgedruckt (175–188), wenn dabei auch die wichtige Unterscheidung von »Selfinterest« und »Selfishness« bei Adam Smith nicht berück­sichtigt wird (176). Doch die Hinweise auf den sozialen und namentlich öko­-logischen Reformbedarf (179.183) bleiben fruchtbar. Auf jeden Fall sei Richs Verankerung seiner Sozialethik in der christlicher Glaubenswahrheit von bleibender Bedeutung sowie »die Verknüpfung von ethischer Verantwortung mit wirtschaftlicher Rationalität, die Vermittlung des Menschengerechten mit dem Sachgemässen« (170). Bleibend sei auch die Überzeugung, dass nicht nur die persönliche Lebensgestaltung, sondern auch die Gesellschaftsgestaltung vorrangige Aufgabe der Christen und Kirchen sei (171), sowie Richs Unterscheidung zwischen »dem Unbedingten und dem Bedingtem, zwischen der ›Kritik des Relativen vor dem Anspruch des Absoluten‹ und dem ›Recht des Relativen‹ angesichts der Vorläufigkeit unserer Welt« (171).
Wenn W.s Arbeit dazu beitrüge, dass diese Elemente von Richs Werk (nicht nur) die weitere wirtschaftsethische Forschung begleiten, dann hätte er der Wirtschaftsethik und der Theologie und Kirche überhaupt einen großen Dienst erwiesen.