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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1260-1261

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hogue, Michael S.

Titel/Untertitel:

The Tangled Bank. Toward an Ecotheological Ethics of Responsible Participation.

Verlag:

Eugene: Pickwick (Wipf & Stock) 2008. XXXI, 249 S. gr.8° = Princeton Theological Monograph Series, 89. Kart. US$ 31,00. ISBN 978-1-55635-380-2.

Rezensent:

Heike Springhart

Jenseits einfacher Duale in der theologischen Ethik bietet die Dissertation des amerikanischen Ethikers Michael S. Hogue ein differenziertes Beispiel für neue Zugänge zu den ökologischen Herausforderungen der Zeit. H., der theologische Ethik an der Meadville Lombard Theological School in Chicago lehrt, verfasste sein Buch unter der Betreuung William Schweikers an der Divinity School der University of Chicago. Er erhielt dafür 2008 den renommierten John Templeton Award for Theological Promise.
Mit dem Titel »The Tangled Bank« nimmt H. Bezug auf Charles Darwins »The Origin of Species«. H. versteht seinen Beitrag als den Entwurf einer ökotheologischen Ethik verantwortlicher Partizipation. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet dabei die Beobachtung, dass wachsende moralische und ethische Unsicherheit einhergeht mit der wachsenden Fähigkeit des Menschen, die Natur zu beherrschen. H. reduziert nun seine Überlegungen nicht auf die Frage, ob wir alles dürften, was wir können, sondern legt in seinem Buch dar, dass die Spannung von ethischer und technologischer Kompetenz im Kern ein religiöses Problem darstellt, das es theologisch zu betrachten gilt. Für seinen Entwurf einer ökotheologischen Ethik setzt H. sich differenziert mit den Entwürfen des Religionsphilosophen Hans Jonas und des amerikanischen Theologen James Gustafson auseinander. Ein monographischer Vergleich dieser beiden Positionen stellt ein Novum in der theologischen Ethik dar.
Neben der Klärung der genannten prinzipiellen Fragen der Ethik bietet H.s Buch auch Impulse für spezifische Probleme im Bereich der Umweltethik und zu Fragen von Theologie und Naturwissenschaft. Dabei führt er sein Anliegen überzeugend durch: einen Beitrag zur gegenwärtigen Debatte zu liefern, der nicht um die (falschen) Alternativen von Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus kreist. Stattdessen begreift er die ökotheologischen Fragen als anthropologische Probleme und plädiert für eine Ausweitung des disziplinären Horizonts der umweltethischen Debatte. An die Stelle der weit verbreiteten Dichotomie zwischen anthropozentrischen und nicht-anthropozentrischen Op­tionen setzt H. die Integration von Einsichten aus den Bereichen der Biologie, des philosophischen Naturalismus und der Ökotheologie. Seine »Ethik verantwortlicher Partizipation« zielt auf die Beachtung der kulturellen und biologischen Aspekte gegenwärtigen menschlichen Lebens.
Neben den genannten konstruktiven Überlegungen schlägt H. mit seiner »ethisch-anthropologischen Methode« eine neue Richtung der Theorie-Interpretation und der Konstruktion von theologischer und ökologischer Ethik ein. »Moralische Anthropologie« ist für ihn dabei die Art und Weise, mit der die wechselseitige Dynamik zwischen ethischen Präskriptionen und Deskriptionen der menschlichen Beziehung zur Natur beschrieben werden kann. Dem differenzierten Ansatz entspricht die klare Gliederung des Buches in drei Hauptteile. Die Auseinandersetzung mit den Theorien von Jonas und Gustafson zieht sich durch das ganze Buch, so dass H. in der Lage ist, deren Komplexität adäquat zu rezipieren.
Der erste Hauptteil leistet die Kontextualisierung der vorgestellten Theorien unter dem Aspekt der hermeneutischen Dimension. H. legt klar die methodologischen Grundentscheidungen von Jonas und Gustafson offen und fragt nach dem Verhältnis von Methodologie und ethischer Motivation. Hermeneutische, prinzipielle und normative Dimensionen versteht H. als einander notwendig durchdringend. Durch den Aufbau des Buches wird deutlich, auf welche Weise diese einander wechselseitig verstärken. Dies geschieht insbesondere dadurch, dass naturwissenschaftliche und biotechnologische Überlegungen und philosophisch-theologische in je eigenen Abschnitten differenziert entfaltet und ins Gespräch gebracht werden. Vor dem Hintergrund der ökologischen Verwundbarkeit und der gleichzeitigen ethischen Unsicherheit, ge­hört es zur Aufgabe der theologischen Ethik, sich auch in die unübersichtlichen Bereiche der Biologie und anderen Naturwissenschaften zu begeben.
Der dritte Hauptteil bringt die grundsätzlichen und hermeneutischen Überlegungen in Zusammenhang mit praktischen, normativen Anwendungsfeldern und entfaltet so den Begriff der Verantwortung und den Ansatz einer »theozentrischen ethischen Partizipation«. Dabei gewinnt die als anthropologisch skizzierte Basis in der These Gestalt, dass H. den Menschen als multidimensionales Wesen versteht, das sich als absichtsvoll, relational, kognitiv, wertebewusst und affektiv beschreiben lässt. Auf der Basis dieser anthropologischen Grundlegung gelangt H. zu der Überzeugung, dass eine ökotheologische Ethik notwendig interdisziplinär angelegt sein muss. Dabei ist er sich der Herausforderung bewusst, beides zusammen zu halten und zusammen zu denken: die un­mittelbaren und konkreten ethischen Umstände und Problemlagen und die theoretischen Ansätze, die darauf reagieren. Als eine Möglichkeit, dies zu leisten, betrachtet H. die Theologie, die in dieser Spannung entfaltet wird.
H.s Dissertation bietet sowohl einen instruktiven Beitrag zur Interpretation der Theorien von Hans Jonas und James Gustafson und damit einen Beitrag zum Gespräch zwischen Religionsphilosophie und Theologie. Sie besticht durch die Verbindung differenzierender theore­tischer Analyseleistung und anwendungsorientierter Praxisperspektive.
Abschließend seien drei Aspekte benannt, die das innovative Potential dieses Buches verdeutlichen: Erstens wird der konstruktive Ansatz darin deutlich, dass H. die Perspektive auf biologische Tatsachen insofern verschiebt, als er sie nicht mehr primär als Problem, sondern als Ressource für die theologische Ethik begreift. Zweitens gewinnt sein Ansatz interdisziplinäre und methodisch gesättigte Relevanz durch die am Vergleich von Jonas und Gustafson gewonnene Perspektive, die theologischen und philosophischen Naturalismus als sich wech­selseitig bereichernd versteht. Drittens legt H. einen innovativen Ansatz im Kontext des wachsenden Interesses an der Schnittstelle von Biotechnologie, Philosophie und Theologie vor und erweitert den gängigen Fokus der theologischen Ethik auf metaphysische und epistemologische Fragen dahingehend, dass er auch die konkret ethischen und theologischen Implikationen der Lebenswissenschaften in den Blick nimmt. Zugleich bietet er eine Alternative innerhalb der theologischen Ethik zur Reduktion auf spezifische Anwendungsfelder, indem er die Formationen der technologischen Kultur als bedeutsame Rahmentheorie für die Theologie entdeckt.
Vor dem Hintergrund der auch reflexiv einzuholenden Verwundbarkeit des Lebens liegt mit H.s Buch ein instruktiver Beitrag zu Grundsatzfragen der Ethik vor.