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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

154 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Nikolaou, Theodor

Titel/Untertitel:

Askese, Mönchtum und Mystik in der Orthodoxen Kirche.

Verlag:

St. Ottilien: EOS 1995. 215 S. gr.8° = Veröffentlichungen des Instituts für Orthodoxe Theologie, 3. Kart. DM 30,-. ISBN 3-88096-429-7.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Das Buch des Münchner Lehrstuhlinhabers für Orthodoxe Theologie vereint unter einem eher zu einer Überblicksdarstellung passenden Titel eine Sammlung von Aufsätzen, die schon an anderen Orten veröffentlicht worden sind. Bibelstellen-, Namens- und Sachregister bieten eine Erschließungshilfe; ein knappes Literaturverzeichnis nennt weiterführende Lesehinweise.

Kirchenhistorische und theologische Leitmotive ergeben sich aus dem orthodoxen Rekurs auf die patristische Tradition; daraus abgeleitet ist das ökumenische Interesse, anderen Kirchen diese Tradition nahezubringen (12). Ein Teil der Beiträge erschließt patristische Theologie im engeren Sinne, so ein Aufsatz über den Menschen als "politisches Lebewesen" bei Basileios (I. B) oder ein Vergleich der Mystik Gregors von Nyssa mit der Plotins (III. A). Andere befassen sich mit theologischen Fragen der byzantinischen Zeit und ihren patristischen Grundlagen, so ein speziellerer Beitrag zu Maximos dem Bekenner (II. D) oder ein Überblick zu Nikolaos Kabasilas und seiner Sakramentslehre (III. C). Einen informativen Überblick bieten auch zwei Beiträge zur Geschichte des Athos und zur Verbindung des Athosmönchtums nach Rußland (II. E. F). Weitere Beiträge ziehen die theologischen Linien bis in die Gegenwart aus, so eine Abhandlung zur Herrlichkeit der Schöpfung (I. A), eine theologische Analyse der sozialen Dimension der Spiritualität (III. B) oder ein struktureller Vergleich zwischen östlichem und westlichem Mönchtum (II. C).

In kirchenhistorischer Hinsicht bietet die orthodoxe Perspektive wie so oft einen über die klassische Patristik hinausgehenden Blick auf große theologische Traditionslinien. Gleichzeitig ist dies auch nicht unproblematisch, wenn etwa in der Rückverfolgung solcher Traditionslinien der Hesychasmus des 13./14. Jh. schon in der Alten Kirche wiedergefunden werden soll (II. B, vgl. auch I. D, 53 zur Differenzierung von Wesen und Energien Gottes). Gerade Evagrios und Makarios (der hier ganz unkritisch "der Ägypter") heißt, gehören doch in eigene historische Kontexte, die nach den originären Wurzeln der Hesychia auch im ägyptischen und syrischen Anachoretentum fragen lassen; Makarios derart auf den Hesychasmus hin zu lesen, verengt diesen Autor auf Aspekte, die erst in der Rezeption durch Symeon Metaphrastes und Palamas massiv herausgearbeitet wurden. Gerade Makarios wird man auch nicht als Beispiel für eine Hochschätzung der Sakramente anführen können (87). Auch die Traditionslinie vom auf Jesus zurückgeführten Taufbefehl Mt 28,19 f. als "Basis der im Laufe der Zeit entstandenen Taufsymbole bzw. der regula veritatis der Alten Kirche" (40) über das Nicaeno-Constantinopolitanum bis hin zur orthodoxen Tauftheologie ist historisch kaum so nahtlos zu ziehen; dies gilt auch für die Geschichte der Immersionstaufe, die doch literarisch und archäologisch in der Alten Kirche gar nicht immer exklusiv faßbar ist.

Orthodox-theologisch konsequent ist die Argumentation des Vf.s in seiner Stellungnahme zu Ehe, Sexualität und Enthaltsamkeit (II. A), die sich gegen die "normative Kraft des Faktischen in der EKD" wendet (69), und zwar besonders im Blick auf die Segnung homosexueller Paare und der Ordination Homosexueller. Den argumentativen Rekurs auf die Schrift wird jede Theologie nur ernst nehmen können. Wo die Schrift aber mit den Kirchenvätern auf gleicher Ebene steht (70), muß das Schriftverständnis strittig bleiben, zumal eine entscheidende Instanz wiederum die altkirchlichen Kanones und die Praxis der Orthodoxie sind (83). Daß andererseits die mehrfache Wiederverheiratung Geschiedener im Sinne eines "Zugeständnisses an die menschliche Schwäche" als "uralte Praxis" der Kirche gelten kann (74, Anm. 104), blendet ein brennendes Problem frühchristlicher Eheethik aus und erinnert daran, daß die Normativität des Faktischen im Laufe der Kirchengeschichte tatsächlich eine theologisch produktive Rolle spielt.

Insgesamt erschließen die Beiträge den Reichtum und auch die Aktualität der Fragestellungen, die von den östlichen Vätern aufgegeben wurden. In gewisser Weise wird der westlichen Theologie so auch ein Spiegel vorgehalten. Dies gilt etwa für die selbstbewußte orthodoxe Füllung des Begriffes Spiritualität, der hier elementar theologisch, biblisch und lebenspraktisch im Sinne einer Verschränkung von Glauben und Leben eingeordnet wird (III. B). Auch die christologische und eschatologische Verankerung der altkirchlichen und orthodoxen Vergöttlichungsvorstellung und ihrer anthropologischen Folgen (61-67) laden zu expliziten Rückfragen an die westliche Theologie ein, wobei doch die evangelische Position (im Münchner Kontext etwa im Rekurs auf die Pannenbergsche Rede von Antizipation) nicht derart auf das "noch nicht" des Heils hätte verkürzt werden müssen (66). So wird eine patristisch und theologisch-byzantinistisch interessierte Leserschaft an vielen Stellen daran erinnert, daß es eine Aufgabe bleibt, sich die gemeinsame Tradition lebendig und doch auch kritisch anzueignen.