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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

294 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weigel, Valentin

Titel/Untertitel:

Vom Gesetz oder Willen Gottes. Gnothi seauton. Hrsg. u. eingel. von H. Pfefferl.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann 1996. XLVII, 204 S. gr.8 = Valentin Weigel - Sämtliche Schriften, Neue Edition 3. ISBN 3-7728-1842-0.

Rezensent:

Ernst Koch

Der Band eröffnet eine auf 15 Bände berechnete "Neue Edition der Sämtlichen Schriften Valentin Weigels", nachdem die 1962 begonnene kritische Ausgabe mit der 1978 erschienenen 7. Lieferung zum Stillstand gekommen war. Anlaß für diesen Neubeginn sind einerseits die in der Erforschung des späten 16. und des 17. Jh.s in den letzten Jahrzehnten wiederum erkannte Dringlichkeit, eine (wenn auch von der Überlieferungsgeschichte her wohl nie mit letzter Sicherheit erreichbare) zuverlässige Textgrundlage zur Verfügung zu haben, andererseits die in der Bearbeitung der Weigel-Überlieferung inzwischen erreichte differenzierte kritische Methodik (vgl. dazu Horst Pfefferl: Das neue Bild Valentin Weigels - Ketzer oder Kirchenmann? Aspekte einer erforderlichen Neubestimmung seiner kirchen- und theologiegeschichtlichen Position. Herbergen der Christenheit 18, 1993/94, 67-79).

Die Texte der Weigel-Überlieferung hat der Hg. im Teildruck seiner Marburger Dissertation von 1991 (Die Überlieferung der Schriften Valentin Weigels, Marburg 1992) aufgelistet. Der vorliegende Band führt sie, soweit sie für die Edition in Frage kommen, zusammen mit den bekannt gewordenen Handschriften und Drucken sowie vorliegenden kritischen Ausgaben gesondert auf (XXXVII-XLI). Die Zusammenstellung zeigt die europaweite Streuung der heutigen Aufbewahrungsorte der Handschriften zwischen Warschau und London, Wien und Hamburg und führt mit Dessau, Halle und Leiden nach 1992 neu hinzugekommene weitere Fundorte auf.

In der Einleitung ist über die Sonderüberlieferung von "Vom Gesetz oder Willen Gottes" in einer anonymen Wolfenbütteler Handschrift Auskunft gegeben. Auffällig ist, daß die Kapitel 4 und 7-10 des Textes im Unterschied zu den übrigen in keinem der frühneuzeitlichen Weigel-Drucke enthalten sind - eins der vielen Zeichen für den überaus komplizierten Charakter der Überlieferung der Texte Weigels überhaupt. An der Authentizität des Gesetz-Traktats besteht freilich in der Forschung kein Zweifel.

Auch für "Gnothi seauton" stellt die Einleitung eine Überlieferungssituation vor, aus der auf einen noch zu Lebzeiten Weigels und unter seinen Augen aktiv verändernden Umgang mit seinen Texten zu schließen ist. Der Hg. erinnert in diesem Zusammenhang an die Rolle, die Benedikt Biedermann als Kollege und Nachfolger und Christoph Weickhart als zeitweiliger Kantor Weigels in Zschopau gespielt haben (XXV-XXVII). Auf Grund der nicht mehr eindeutig auszumachenden Rolle dieser beiden Personen hält er es nicht für möglich, Eingriffe Biedermanns in den Text von "Gnothi seauton" zweifelsfrei auszumachen. Ausgeschieden werden aus der Weigel-Ausgabe "die Ergebnisse einer selbständigen literarischen Tätigkeit Biedermanns, soweit sie sich nach Stil, Inhalt und Ausführung eindeutig zu erkennen geben" (XXVII), nämlich die Traktate "Astrologia Theologizata" und "Das neue gnothi seauton".

Zu den neuen Erkenntnissen der vorliegenden Ausgabe von "Gnothi seauton" gehören die Abhängigkeit des Traktats von Weigels kurz zuvor erschienener Schrift "De vita beata", von der "Astronomia magna" des Paracelsus und von zwei Predigten des Basler Tauler-Drucks von 1521/22. Weitere bereits vorliegende Identifizierungen von Quellen Weigels konnten bestätigt werden. Ferner stellt der Hg. die Abhängigkeit von Weigels "Via perveniendi" von 1576 und "Der güldene Griff" von 1578 von "Gnothi seauton" fest, die bis zu "wörtlichen Entsprechungen nahezu ganzer Kapitel" (XXXI) reicht und für die Datierung von "Gnothi seauton" wichtig ist.

Die Textkonstituierung der Ausgabe entspricht den Erfordernissen einer kritischen Edition. Von manchen Befunden der Zeichensetzung in den Leithandschriften wird "gelegentlich, und dann normalerweise stillschweigend, abgewichen, um krasse Mißverständnisse für den heutigen Leser auszuschließen" (XXXIV). Eine gesonderte Editon ist den Teilen von "Gnothi seauton" zugewiesen, die nur in Drucken überliefert und in den Handschriften nicht enthalten sind (149-197). Sie ist nach den gleichen Kriterien erarbeitet wie die Edition der handschriftlichen Überlieferungsbestandteile.

Der Herausgeber macht auf die Bedeutung der Texte für die philosophische (und theologische) Erkenntnistheorie aufmerksam und zitiert dafür Autoritäten der Philosophiegeschichtsschreibung, ohne sie seinerseits zu kommentieren. Diese Zurückhaltung ist vermutlich aus seiner kritischen Einschätzung allzu schnell konstruierter Traditionsstränge in die Folgezeit hinein erklärbar (vgl. XXXIII), die angesichts der Lektüre Weigels von seiner vermeintlichen Wirkung auf Kant her nur angebracht ist. Zur Erschließung der Traditionsgeschichte muß angesichts der theologischen Ambitionen Weigels auch an die Erforschung der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte appelliert werden, der mit der vorliegenden Edition eine hervorragende Grundlage angeboten wird. Weigels Theologie kommt bis in die Titel seiner Traktate zum Ausdruck - ein "Gnothi seauton" veröffentlichte auch Johann Wigand 1572 im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Erbsündenlehre von Matthias Flacius.

Diese Edition läßt nur ahnen, welchem Maß von jahrelanger Arbeit und von kritischem Vermögen sie sich verdankt. Die theologische Forschung fordert sie heraus, dem mystischen Spiritualismus in seiner oft verborgenen oder verdeckten Geschichte intensiver auf die Spur zu kommen und Weigel von "Weigel", nämlich der Wirkung Weigels, zu unterscheiden. Für diese Provokation ist Horst Pfefferl vernehmlich zu danken.

Für den als nächstfolgend angekündigten Band VIII ist die erstmals kritische Edition von "Der güldene Griff" vorgesehen.