Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1225-1227

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Nasrallah, Laura Salah

Titel/Untertitel:

Christian Responses to Roman Art and Architecture. The Second-Century Church Amid the Spaces of Empire.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2010. XVI, 334 S. m. Abb. gr.8°. Geb. £ 55,00. ISBN 978-0-521-76652-4.

Rezensent:

Katharina Greschat

Was haben die Schriften der frühchristlichen Apologeten Justin, Tatian, Athenagoras und Clemens von Alexandrien mit dem Herodes-Atticus-Nymphäum in Olympia, dem Sebasteion in Aphrodi­sias, dem Trajanforum in Rom oder auch mit der berühmten Aphro­dite von Knidos zu tun? Lassen sich diese Texte überhaupt mit ar­chäologischen Zeugnissen ihrer Zeit sinnvoll in Beziehung setzen?
Laura Nasrallah zeigt mit ihrer Untersuchung, dass das durchaus gelingen und zu interessanten Einsichten führen kann. Dabei konzentriert sie sich auf die genannten griechischen Schriftsteller, deren Werke sie nicht als bloße Angriffe auf die Welt der Römer, Griechen, Juden und Häretiker oder aber als Positionen im Rahmen der innerchristlich-theologischen Kontroversen verstehen will; vielmehr: »I understand these early Christian apologists to be full participants in the cultural, ethnic, philosophical, religious, and political struggles of their times« (3). Das klingt zunächst noch etwas allgemein, wird jedoch schnell anschaulich und konkret, sobald sie auf die Vielzahl an repräsentativen Bauten, auf die Massen von Statuen, Bildern und visualisierten Aussagen konkurrierender Ansprüche, besonders im griechischen Osten des Reiches, zu sprechen kommt, die sie als Ausdruck einer »crisis of representation« des 2. Jh.s begreift. Hier werden die eigene Ethnizität, paideia und pieta, dargestellt und dabei immer auch folgende Themen verhandelt: »How is identity adjudicated? How can one know if someone is Greek? Philosophical? Roman? Barbarian? Cultured? Who is really pious, and who denies the gods, and can the person who denies the gods do so precisely because s/he is pious? Who has the right to give a name, and based upon what criteria? Is a given image a god or a human? An elite or an emperor? How should one respond to the expansion and evolution of imperial cult, in which the imperial family was honored or even worshipped as gods or demi-gods, or at least as similar to the gods?« (6.154)
Auf welche Weise die Christen an diesem Diskurs Anteil nahmen und ihre Ansichten pointiert zum Ausdruck brachten, wird im ersten Kapitel deutlich (21–50). Zunächst stellt die Vfn. klar, dass es sich nicht um Verteidigungsschriften im eigentlichen Sinne handelt und die Gattung der apologia nichts anderes als eine Konstruktion des 18. Jh.s ist. Deshalb plädiert sie dafür, den in diesen Schriften angeredeten Adressatenkreis überaus ernst zu nehmen. »Even if these addresses never occurred before emperors or all of the Greeks (how could they?!), the effect of inscribing such audiences is to place Christians on a larger ethnic-cultural map where their voices participate in Greek and Roman conventions and identities, and should be heard by Greeks and Romans« (28). Den größeren Kommunikationsrahmen umschreibt sie mit dem Stichwort der »zweiten Sophistik«, worunter sie explizit die ganze Fülle rhetorischer Strategien im Diskurs über Kultur, paideia, Frömmigkeit und griechische Identität einschließlich künstlerischer und architektonischer Äußerungen versteht. Auf dieser Basis interpretiert sie zu­nächst das Programm des Herodes-Atticus Nymphäums in Olympia als sinnenfälligen Ausdruck dafür, wie dessen Familie gesehen werden wollte: in unmittelbarer Verbindung mit Kaiserhaus und Göttern, stolz auf ihr Griechentum und ihre paideia. Und zugleich sollte das Monument dem Herodes angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe vonseiten der Athener und seines ehemaligen Zöglings Marc Aurel wohl auch als apologia dienen. Angesichts dieses sehr weit aufgespannten Horizontes lohne es sich, nun auch die christlichen Apologien im Sinne von »cross-cultic and cross-ethnic conversations about the nature of true religion and right ritual« (50) zu lesen.
Das zweite Kapitel (51–84) setzt diese Vorgabe dann auch unverzüglich um und behandelt mit Justin, Tatian und Lucian von Sa­mosata drei aus dem Osten stammende Reisende, die sowohl mit ihrer barbarischen Identität als auch mit ihrem Griechentum spielen. Doch im Unterschied etwa zum Sebasteion von Aphrodisias, das das Auge des Betrachters ganz gezielt auf die Darstellung des Kaisers und des Senats bzw. des römischen Volkes lenkt, zu deren Füßen eine weibliche Gefangene als Sinnbild für die unterworfenen Barbaren kniet, kritisieren alle drei in je eigener Weise eine solche Konzentration auf Rom und erwägen, dass gerade das Barbarentum Urheber einer reineren und einfacheren Weisheit sein könnte.
In den folgenden beiden Kapiteln stehen die entscheidenden Städte Athen und Rom im Zentrum des Interesses. Dabei konzentriert sich das dritte Kapitel (87–118) wiederum auf einen Reisenden, den Paulus der Apostelgeschichte, dessen Geschichte als Weg des Christentums von Jerusalem nach Rom über Griechenland und deren paideia erzählt wird. Kaum zufällig ist es ausgerechnet die Stadt Athen, in der sich der lukanische Paulus in der Areopagrede als philosophischer Kritiker der griechischen Religion präsentiert. Denn Athen bildet auch das Zentrum der hadrianischen Konzeption eines Panhellenion, als dessen christliches Gegenstück die Vfn. die Reisen des Paulus versteht. »Just as the Panhellenion links together cities that recall or create archaic Greek origins, so Luke uses the story of Paul travelling between cities in order to provide a foundation myth for Christianity« (90). Im vierten Kapitel (119–168) geht es wiederum um Justin, dessen Apologien kaiserlichen »representations of imperial pietas, clementia …, iustitia …, and even images of the emperors’ gracious reception of ambassadors, a role that Justin takes on literarily« (154) den christlichen Spiegel vorhalten. Ein Besucher des Trajanforums in Rom, der zunächst Statuen be­siegter Barbaren sieht und dann »from justice (basilica) to paideia (libraries) to piety (temple)« (157) des vergöttlichten Kaisers und seiner Ahnen schreitet, bekäme von Justin aufgezeigt, dass der Kaiser lediglich für sich beansprucht, fromm und ein Philosoph zu sein, während er die Christen, die allein um ihres Namen willen verurteilt werden, ungerecht behandelt. Vielmehr wird auch er sich dereinst vor Gott, dem gerechten Richter, zu verantworten haben.
In den letzten drei Kapiteln (171–212.213–248.249–295) behandelt die Vfn. den Problemkreis von »Human Bodies and the Image[s] of God[s]«. In einem ersten Schritt interpretiert sie die an Marc Aurel und Commodus gerichtete Supplicatio des Athenagoras auf dem Hintergrund einer Zeit, in der sich Kaiser Commodus vorzugsweise als Herakles darstellen ließ ebenso wie »a woman at death is a naked Aphrodite …, and an emperor’s lover can look like Silvanus or Bacchus or Apollo, as Antinoos did« (211), zunächst ganz im Sinne einer höchst aktuellen philosophischen Auseinandersetzung über das Verhältnis von Wesen und Name bzw. Bild. Dann stellt sie unter der Frage: »What do we learn when we look?« erst Tatians Oratio in den Kontext der unterschiedlichen Theorien über das Sehen und das Entstehen von Verlangen. Auch nach Tatians Meinung, der an dieser Stelle sehr viel amüsanter zu lesen sei als das gewöhnlich getan werde, geschieht bei der Betrachtung etwas mit dem Betrachter. »The act of viewing is a pedagogical moment, but in looking at these sculptures one learns about the improper blurring between human and divine, about the monstrous and the licentious« (247). Anschließend kommt sie auf Clemens von Alexandrien zu sprechen, der eine sehr intensive Auseinandersetzung über die Wirkung von Bildern und Statuen führt und immer wieder auf Aphrodite, insbesondere auf die von Knidos verweist. Clemens wendet sich insbesondere an solche Hörer, die in ihren eigenen Häusern solche Abbildungen besitzen und sich selbst im Lichte von Aphrodite oder auch Ares sehen wollen. Doch in­teressanterweise kann Clemens im Protreptikos auch den durch den Logos zum Bilde Gottes geschaffenen Menschen mit Statuen vergleichen, die sich jedoch von ihrem Urbild abgewandt haben und insofern darauf angewiesen sind, vom Logos mit Glauben gesalbt und wiederhergestellt zu werden. Auf dem Hintergrund der allgegenwärtigen Statuen, die Göttliches in menschlicher Form darstellen und ganz bewusst keinen scharfen Trennstrich zwischen Göttlichem und Menschlichem ziehen, wirkt seine Aussage, wonach »all people, created by the Logos in God’s image, are breathing statues« (295), selbst ungeheuer plastisch.
Insgesamt öffnet dieses, ganz dem »iconic turn« verpflichtete Buch seinen Leserinnen und Lesern gleichsam die Augen und lässt sie die Welt des 2. Jh.s unter einem neuen Blickwinkel betrachten. In dieser Welt – und damit macht die Vfn. ernst – sind die Christen ebenso wie ihre literarischen Hinterlassenschaften keine Randerscheinungen, sondern ganz selbstverständlich Teil der verschiedenen Diskurse in jener Zeit. Diesem auch optisch sehr ansprechend gestalteten Band kann man nur einen möglichst breiten Leserkreis und eine intensive Diskussion wünschen.