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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1219-1221

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Demel, Bernhard

Titel/Untertitel:

Der Deutsche Orden im Spiegel seiner Besitzungen und Beziehungen in Europa.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2004. IV, 742 S. m. 16 Abb. 8° = Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 961. Geb. EUR 96,30. ISBN 978-3-631-51017-9.

Rezensent:

Gisa Bauer

In sieben Einzelstudien widmet sich Bernhard Demel, Leiter des Ordensarchivs in Wien und Historiograph des Deutschen Ordens (eine Bibliographie D.s und seine Mitwirkung an Ausstellungen ist in dem vorliegenden Band auf Seite 657–660 verzeichnet), einigen bisher nicht oder nur marginal untersuchten Aspekten der Ge­schichte des Deutschen Ordens in Europa vom Mittelalter bis in die Neuzeit.
Im ersten und umfangreichsten Aufsatz zur »Deutschordensballei Sachsen vom 13.–19. Jahrhundert. Ein Überblick« (7–189) bietet D. eine bisher fehlende Gesamtschau der Ordensprovinz im mitteldeutschen Raum, die sich Ende des 13. Jh.s aus der Ballei Thüringen entwickelte und ein »Stiefkind der Ordensforschung über fast volle 600 Jahre« (9) war. In großer Dichte werden die historischen Fakten zu den 17 Balleigütern und den Landkomturen der Ballei Sachsen dargestellt. Breiten Raum nehmen die Ausführungen zur Geschichte der kleinen Ballei zur Zeit der Reformation ein, die die konfessionelle Spaltung auch in den Orden hineintrug, der seitdem bi- bzw. später trikonfessionell ausgerichtet ist. Anschaulich verdeutlicht die Studie das Zusammenwirken von kirchenpolitischen Aktivitäten des Deutschordens und ihrer Hochmeister sowie den internen Entwicklungen einer Ordensballei.
In dem Aufsatz »Die Rekuperationsbemühungen des Deutschen Ordens um Livland von 1558/62 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts« (190–258) werden nicht nur die (erfolglosen) Versuche der Wiederherstellung des Deutschordensgebietes seit dem Einfall des russischen Großfürsten 1558 und dem Ende des livländischen Ordensstaates 1561/62 präsentiert, sondern damit auch ein allgemeiner Überblick über die Ordensgeschichte im Baltikum geboten. Da sich »der Orden … nicht schnell [von dem] getrennt hat, [was er] einmal besaß« (190), kam es zu fast 230 Jahre andauernden Rekuperationsversuchen in Bezug auf die baltischen Gebiete, die letztlich an fehlenden finanziellen Ressourcen und Truppenverbänden, aber auch an der reichspolitischen Situation scheiterten und die dem Orden überhaupt nur möglich waren durch hohe »Reichsverpflichtungen und Leistungen sowie Blutsbanden seiner gewählten Hoch- und Deutschmeister zu den katholischen Herrscherhäusern Habsburg, Pfalz-Neuburg, Wittelsbach und Lothringen« (211 f.).
Der Beitrag »Bausteine zur Deutschordensgeschichte vom 15. bis zum 20. Jahrhundert« (259–378) bietet eine ganze Anzahl relativ disparater Beobachtungen sowohl zur bisherigen Forschungslage, zur Geschichte der Deutschordensballeien von Ende des 15. Jh.s bis Anfang des 19. Jh.s, zu Forschungsdesiderata, zur Reichs-, Kreis- und Kirchenpolitik des Ordens, zur Ordensgeschichte von 1909 bis 1938/39 sowie den Entwicklungen in der Zeit von 1938 bis 1945. Mehrfach äußert sich D. hinsichtlich der Ökumenizität des Or­dens, die diesem durch die äußeren Entwicklungen aufgezwungen wurde. So ließen zwar Repräsentanten des Ordens »trotz der Zugehörigkeit protestantischer Ordensprovinzen bei ihren Aktivitäten keinen Zweifel daran, daß sie eine Politik im engsten Anschluß an das jeweilige katholische Reichsoberhaupt ... verfolgten. Sie mußten jedoch dabei immer auf die protestantischen Fürstengenossen Rücksicht nehmen, in deren Kirchenhoheit und Ständeverfassung die evangelischen Statthalter oder Landkomture eingebunden waren.« (271) Der Anschluss an das jeweilige Reichsoberhaupt war wiederum schon durch die vielfältigen verwandtschaftlichen Vernetzungen mit den europäischen Herrscherhäusern gegeben, auf die D. in seinen Beiträgen wiederholt eingeht. In der Gegenwart stehe der Orden, so D., in einer »wachsenden EU vor neuen Aufgaben dort, wo er früher schon gewirkt hatte« (307).
Einen weiteren umfangreichen regionalspezifischen Bericht zum Wirken des Ordens bietet D. mit dem Aufsatz »Der Deutsche Orden in Schlesien und Mähren in den Jahren 1742–1918« (379 ff.). Nach der fast vollständigen Zerstörung der Ballei Böhmen durch Eingriffe Wenzels IV. und die Hussitenkriege kam es aufgrund neuer kirchen- und verfassungsrechtlicher Verhältnisse im Zuge des Ausbaus der habsburgischen Herrschaft im 17. Jh. zu einem Neubeginn der Ordenswirksamkeit auf schlesisch-mährischem Gebiet. Durch Besitzerwerb und -ausbau im schlesischen Fürstentum Troppau und der Herrschaften Freudenthal und Eulenberg in der Markgrafschaft Mähren konnte der deutsche Orden hier Fuß fassen. D. referiert ausführlich die Geschichte dieser Besitztümer, die kirchenrechtliche und -politische Situation des Ordens in Mähren, die Auswirkungen der Schlesischen Kriege sowie des Siebenjährigen Krieges auf die regionale Ordensgeschichte und die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Josephinischen Kirchenpolitik bis hin zur Neuorganisation der Ballei Österreich im 19. Jh .– Der folgende Beitrag »Zur Geschichte des Piaristen- und späteren Staatsrealgymnasiums in Freudenthal (1730–1945)« (472–537) schließt an das vorangegangene Thema unmittelbar an und nimmt einen Aspekt der schlesisch-mährischen Ordensgeschichte auf, der mit der Gründung des Piaristenkollegs in Freudenthal 1730 sowohl den Bereich der Stiftungstätigkeit als auch der Bildungspolitik des Ordens berührt.
Biographie- und wirkungsgeschichtlich ist der Aufsatz über den »Hoch- und Deutschmeister Leopold Wilhelm von Österreich (1641–1662)« (538–603) ausgerichtet, in dem D. eine umfängliche Darstellung des Lebens des jüngsten Sohnes Kaiser Ferdinand II., kaiserlichen Oberbefehlshabers, Gubernators in den Spanischen Niederlanden und laut Hubert Jedin »größten Pfründenbesitzers der deutschen Kirchengeschichte« (541) bietet. 1642 wurde Leopold Wilhelm als Hoch- und Deutschmeister vereidigt und brachte während der 20-jährigen Tätigkeit in dieses Amt seine Verbindungen mit dem habsburgischen Erzhaus ein, ein Umstand, der dem Orden in manchen Situationen Vorteile erbrachte. So vermutet D. beispielweise, dass die von Leopold Wilhelm »über den kaiserlichen Bruder schnell erwirkten Reduktionen an Reichs- und Kreisleistungen« in Folge des 30-Jährigen Krieges unter einem nichthabsburgischen Hochmeister und Kaiser aus dem Erzhaus wohl eher nicht erfolgt wären (562). Aber es wird in D.s Untersuchung auch deutlich, wie attraktiv die Position des Hoch- und Deutschmeisters des Ordens für Mitglieder des Erzhauses war.
Im letzten Beitrag des Sammelbandes »Die Reichstagsgesandten des Deutschen Ordens von 1495 bis Ende 1805« (604–656) werden die Ordensvertreter seit dem Wormser Reichstag 1495 bis Ende 1805 vorgestellt. Mehrheitlich, so D., handelte es sich um »Laien ohne Profeß, [die] aber im Ordensdienst waren und gleichzeitig andere Reichstagsstimmen führten« (604). Bei seiner Darstellung folgt D. bis zur Einführung des »Immerwährenden Reichstages zu Regensburg« 1662/63 der chronologischen Abfolge der Reichstage, später der personellen Besetzung. Am Schluss erfolgt die Aufzählung einiger namentlich ermittelter Legationssekretäre des Ordens. – Ein von Friedrich Vogel erstelltes Personen- und Ortsverzeichnis (666–725) sowie einige Illustrationen runden den Sammelband ab, dessen Fülle und Dichte der durch den Kenner des Metiers mitgeteilten Fakten immens ist.
Allerdings wäre dem Kompendium eine liebevollere redaktionelle Betreuung zu wünschen gewesen. Allein die unterschiedslose Verwendung von Binde- und Gedankenstrichen, von denen D. in den mitunter langen und von Komprimierung der Informationen gekennzeichneten Sätzen reichhaltig Gebrauch macht, stört auf Dauer den Lesegenuss empfindlich und führt teilweise zu Verständnisschwierigkeiten. Kürzel variieren in den einzelnen Beiträgen und die Anmerkungsapparate sind nicht einheitlich aufeinander abgestimmt. Das Kurztitelverzeichnis der Sekundärliteratur am Schluss des Aufsatzes »Bausteine« hätte am Ende des Bandes stehen und in allen Beiträgen zur Anwendung kommen müssen. Unschön ist die Blocksatzgestaltung ohne Silbentrennung in den ersten drei Beiträgen.
Ungeachtet dieser formalen Desiderata aber bietet der Sammelband eine Grundlage weiterer Forschung – sowohl zur Or­densgeschichte als auch zu Einzelaspekten der europäischen und deutschen Historie vom Mittelalter bis zur Neuzeit, denn nicht nur hinsichtlich der Geschichte des Deutschen Ordens stellt der Sammelband einen Fundus an bisher vernachlässigten Detailinformationen dar – auch die jeweiligen Regionalgeschichten dürften von diesem Werk profitieren. Die von D. benannten Forschungslücken (268–271.285–288), zu denen er die historiographischen Darstellungen des Ordens in einzelnen Reichskreisen bzw. die Geschichte einzelner Kommenden zählt, die Pflege des Totengedächtnisses innerhalb des Ordens sowie die Beteiligung von Ordensmitgliedern so­ wohl an den Hexenverfolgungen als auch dem Freimaurertum, sind geeignet, weitere Detailuntersuchungen anzuregen. Nicht zu­letzt verweisen die Beiträge fundiert und ausführlich auf die Akten- und Literaturlage zu Einzelfragen, so dass sie als Quellen- und Forschungsüberblicke einen eigenen Wert besitzen.