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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1217-1219

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kolosser-Studien. M. Beiträgen v. L. Bormann, Z. Geréb, B. Heininger, D. Hellholm, P. Müller, G. Röhser, J. Sánchez Bosch, G. Sellin u. A. Standhartinger.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. VIII, 197 S. 8° = Biblisch-Theologische Studien, 103. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2367-5.

Rezensent:

Petr Pokorný

Der Band, der Beiträge aus dem Kolosser-Seminar der Society of New Testament Studies (SNTS) enthält und durch die Initiative des verstorbenen W. Popkes entstand, spiegelt das neue Interesse am Kolosserbrief wider, das laut Herausgeber mehrere Gründe hat: Es handelt sich um den ältesten deuteropaulinischen Brief, seine nachpaulinische Herkunft wird nicht allgemein anerkannt, die Gegner sind religionsgeschichtlich schwer zu verorten, es handelt sich um den ersten Beleg der Haustafeln im christlichen Schrifttum, um die Entfaltung des räumlichen Denkens, und einige Passagen (z. B. Kol 1,15–20) verweigern sich einer allgemein akzeptierten Auslegung. Dadurch ist auch der Problemkreis der einzelnen Beiträge charakterisiert, von denen ich nur über diejenigen berichten will, die deutlich einen Forschungsfortschritt markieren oder ein viel diskutiertes Thema betreffen. Doch weil der Band insgesamt nur neun Beiträge enthält, halte ich es für nützlich, alle mindestens zu erwähnen.
A. Standhartinger befasst sich mit dem Konzept der Hoffnung (elpis), das in Kol 1,5 vorausgesetzt wird. Allgemein anerkannt ist, dass es sich hier um ein »Hoffnungsgut« (spes quae speratur) handelt. Oft wird es mithilfe der apokalyptischen Vorstellungen über die im Himmel schon vorbereitete Vollendung der Gerechtigkeit Gottes interpretiert, die sich nach der kosmischen Umwandlung und dem Gericht Gottes offenbaren soll. Das Motiv des eschatologischen Umbruchs fehlt jedoch im Kolosserbrief, und in den apokalyptischen Texten tritt der Begriff »Hoffnung« nicht in den Vordergrund. Es muss sich also um eine überwiegend räumliche Verankerung und Garantie der Hoffnung handeln, wie sie in Kol 1, 26 f. ausgedrückt ist. Das hat schon G. Bornkamm im Jahr 1961 behauptet. Als Inspiration für dieses Bild der »oben« verankerten Hoffnung konnte nach S. die römische imperiale Sprache und Vorstellungswelt dienen, wie sie an zeitgenössischen Münzen (Ab­-bildung des Kaisers mit Inschrift elpis sebastē) oder Inschriften (Inschrift aus Priene) dargestellt ist. Vor der direkten Übernahme der imperialen Ideologien schützte den Kolosserbrief die »meditative Vertiefung«: Die Gemeinde forderte, »nach dem spezifischen Inhalt der im Himmel verborgenen Hoffnung zu fragen«. – J. Sánchez Bosch beschäftigt sich mit dem Hymnus Kol 1,15–20. Er rekonstruiert seinen Text, wie ihn der Verfasser des Briefes übernahm, und untersucht, wie er ihn ergänzte (er hat z. B. das Wort von der Kirche [ekklēsia] hinzugefügt). Sein Vorbild sucht er in dem Lob der Weisheit aus Sir 24,1–6. Der Hymnus soll dem Leser helfen, die Überlegenheit Christi über das Sichtbare und das Unsichtbare zu erkennen. Die Anspielungen auf den Hymnus in dem übrigen Text des Briefes dienen den Adressaten zur Überwindung des schicksalhaften Weltverständnisses. In groben Umrissen korrespondiert das mit dem z. B. durch E. Käsemann repräsentierten Grundstrom der deutschen Forschung. – Z. Gereb schreibt über die Vorstellung des Apostels in Kol 1,21–2,5. – Die soziale und politische Metaphorik im Kolosserbrief wird von B. Heininger untersucht. – L. Bormann schreibt über das Weltbild und die gruppenspezifische Raumkonfiguration des Kolosserbriefes. Die Namen der Ethnika in Kol 3,11 deutet er (an J. A. Bengel anknüpfend) geographisch auf die vier Weltrichtungen, was die Universalisierung der christlichen Verkündigung unterstreicht. – Die Gattung der Haustafel im Kolosser- und Epheserbrief charakterisiert D. Hellholm. Sie geht offensichtlich auf die hellenistische Gnomik zurück und soll die konkreten, von Hellholm sorgfältig belegten Schattenseiten des Familien- und sozialen Lebens in den »Häusern« jener Zeit überwinden. – G. Röhser be­schäftigt sich mit der Adresse und den persönlichen Notizen und Grüßen im Kolosserbrief. – G. Sellin konzentriert sich auf die Entwicklung im Deuteropaulinismus zwischen dem Kolosser- und dem Epheserbrief. – P. Müller befasst sich mit der Paulusschule, den Anhängern von Paulus, die die Nachahmung Christi, die sie von Paulus gelernt haben, weitertreiben. Eine solche Mimesis war für die Philosophen und ihre Schüler bezeichnend. Paulus mit seinem apostolischen Bewusstsein und der Verantwortung vor Gott, die er auch von seinen Mitarbeitern erwartet hatte, konnte sich jedoch nicht als Schulgründer im vollen Sinne des Wortes verstanden haben.
Der oder die Sachkundige wird aus diesem Bericht wohl erkennen, welche Beiträge wirklich etwas Neues bringen und welche durch neue Beobachtungen und neue Argumente die schon formulierten Positionen unterstützen. Schwache Beiträge gibt es nicht, und so ist der Band ein Zeugnis für die gute Arbeit des Kolosser-Seminars.