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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1215-1217

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lorenzen, Stefanie

Titel/Untertitel:

Das paulinische Eikon-Konzept. Semantische Analysen zur Sapientia Salomonis, zu Philo und den Paulusbriefen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XIV, 304 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 250. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149650-9.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

In ihrer Einleitung (1–19) macht Stefanie Lorenzen deutlich, dass sie ihre Untersuchungen – ausgehend von der Position Hans Beltings – im Kontext aktueller Überlegungen zu einer theologisch reflektierten Bildanthropologie verortet. Vor diesem Hintergrund fragt sie nach der Spannung zwischen biblischem Bilderverbot und Gottebenbildlichkeit des Menschen, einer Spannung, die in den jüdisch-alexandrinischen (Sapientia, Philo) und paulinischen Konzeptionen vor allem hinsichtlich ihrer somatischen Konsequenzen unterschiedlich bearbeitet wird.
Diese Arbeit, die mit ihrem bildtheoretischen Interesse an der paulinischen Theologie einige Aktualität beanspruchen kann (vgl. z. B. die kürzlich erschienene umfangreiche Studie von George H. van Kooten, Paul’s Anthropology in Context. The Image of God, Assimilation to God, and Tripartite Man in Ancient Judaism, Ancient Philosophy and Early Christianity, WUNT 232, Tübingen 2008), wurde durch Peter Lampe/Heidelberg betreut und im Wintersemester 2006/07 als Dissertation angenommen. Sie ist in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil (21–137) umreißt L. Konturen des alexandrinischen Eikon-Konzeptes, wie es von der Sapientia Salomonis (25–67) und Philo (69–137) repräsentiert wird. Im zweiten Hauptteil (139–256) geht es anhand der einschlägigen Textpassagen um das paulinische Bildkonzept. In einem Schlussteil (257–266) werden die unterschiedlichen Bildtheologien systematisch verglichen und die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Ein An­hang mit einer Zusammenstellung der Begriffsfelder zu den un­-terschiedlichen Eikon-Konzepten, Literaturverzeichnis, Stellen-, Autoren- und Sachregister schließen die Arbeit ab.
Aus einem knappen forschungsgeschichtlichen Überblick (2–15) zieht L. die Konsequenz, ihre Untersuchungen auf wortfeldbezogene semantische Analysen zu konzentrieren und auf diese Weise nach zugrunde liegenden Begriffskonzeptionen zu fragen. Das führt einerseits zur Konzentration auf die Sapientia und Philo, weil in diesen zeitlich nahen Schriften (für SapSal plädiert L. für eine Datierung zwischen 30 v. Chr. und der Mitte des 1. Jh.s [22]) der Begriff Eikon einschließlich verwandter semantischer Umfelder intensiv reflektiert wird, andererseits zum Verzicht auf das Gesamt relevanter frühjüdischer Texte (16, Anm. 98). L. folgt einer ›konzeptographischen Analyse‹ (Jochen Bär), bei der es ausgehend von einem Basislexem (Eikon) darum geht, »vom konkreten Wortgebrauch auf ein ›dahinter‹ stehendes mentales ›Konzept‹ zu schließen, das durch die Interpretation von Begriffsfeldern ermittelt wird« (17). Dabei setzt L. voraus, dass das Stichwort »Be­griff« als »gemeinsames ›(semantisches) Konzept‹ partiell bedeutungsgleicher Wörter« (19) verstanden wird. Auf diese Weise können ›Be­griffsfelder‹ eruiert werden, an denen sich der semantische Rahmen der Verwendung des Basislexems ablesen lässt. Der regelmäßige Aufbau der Textanalysen folgt diesen Vorgaben.
In der Sapientia Salomonis ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen eng mit der Treue zur Tora, der Tugend und der Unsterblichkeit konnotiert und damit gleichsam um das zentrale Stichwort ›Gerechtigkeit‹ gruppiert. Geht es im ersten Teil des Weisheitsbuches um »die menschliche Seite der Gottebenbildlichkeit« (46), so im zweiten Teil »um die göttliche Weisheit als immanente Offenbarung Gottes, auf die der Mensch angewiesen ist, um den im ersten Teil an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen« (46). Sie ist es, die als Ebenbild Gottes dem Menschen dazu verhilft, im Tun der Gerechtigkeit selbst zum Ebenbild Gottes zu werden. Dem steht mit der Götzenbildpolemik im dritten Teil der Sapientia (13–15) die Warnung gegenüber, in der Verehrung der Trugbilder die Weisheit Gottes und damit die Bestimmung zu Gottebenbildlichkeit zu verfehlen. Die Bildkonzeption des Weisheitsbuches ist im Ganzen ethisch bestimmt.
Auch für Philo gilt die Gottebenbildlichkeit nicht nur dem Menschen, sondern auch der Präsenz Gottes in der Welt, sei es als Logos, Geist oder Weisheit als »göttlich-geistigem Immanenzprinzip« (136 und passim) – und auch für ihn geht es um die letztlich ethische Forderung der Entsprechung, in der die anthropologische Bestimmung der Gottebenbildlichkeit zum Ziel kommt. Die Verstandeskraft des Menschen ist bei Philo in Entsprechung zum göttlichen Logos geschaffen. Es geht folglich um geistige Partizipation bzw. Übereinstimmung und damit, ähnlich wie in der Sapientia, zugleich um eine Entgegensetzung zur Körperlichkeit des Menschen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein spannender Blick auf den Paulusteil, der programmatisch mit dem Stichwort »somatische Identität« überschrieben ist. L. arbeitet hier einerseits Analogien zum alexandrinischen Konzept, andererseits aber die körperbezogene Komponente der paulinischen Konzeption heraus (ein instruktiver Überblick über die exegetische Diskussion des paulinischen Soma-Begriffs seit Rudolf Bultmann findet sich 174–177).
Nacheinander werden 1Kor 15,49 (hinsichtlich der Gleichheit des Menschen mit Adam) und Röm 1,23 in ihren Kontexten interpretiert, um die »somatische Identität der ersten Schöpfung« (so die Überschrift über das entsprechende Kapitel II/1) herauszustellen und die paulinische Auffassung vom Menschen als »Bildkörper Adams« nachzuzeichnen. Sodann geht es um 1Kor 15,49 (hinsichtlich der erwarteten Gleichheit mit dem Auferstehungskörper Chris­ti), Röm 8,29 und 2Kor 3,18; 4,4. Die zu dieser Unterteilung quer liegende Stelle 1Kor 11,7 wird lediglich auf einer halben Seite (255, petit) besprochen, nicht aber in ihrer Bedeutung für die paulinische Konzeption reflektiert. Sie ist mehr als eine nicht weiter zu beachtende »Ausnahme« (256.259), sondern zeigt eine Problematik der gewählten begriffsorientierten Methodik an, der hier nicht weiter nachzugehen ist (zur Diskussion vgl. die Bemerkungen von L. auf 71, Anm. 5.6), die aber zugleich zur Ausblendung der übrigen zwischentestamentlichen (in noch höherem Maße missverständlich ist die Bezeichnung »zwischentestamentarisch«) Literatur führt (s. o.).
Der abschließende Vergleich zwischen paulinischer und alexandrinischer Eikon-Konzeption begreift als übereinstimmend die Gottebenbildlichkeit als »eine Größe, die sowohl den Menschen als auch eine Mittlerfigur, also die göttliche Weisheit, den Logos oder auch Christus, betrifft. Die menschliche Gottebenbildlichkeit ist daher prinzipiell eine vermittelte Gottebenbildlichkeit, die durch Partizipation an dieser Mittlerfigur verwirklicht werden kann.« Bei aller Unterschiedlichkeit ist dies die grundlegende Voraussetzung des alexandrinischen wie des paulinischen Konzeptes (257). L. fächert die zusammenfassenden vier Vergleiche ([1] zur Bedeutung der Partizipation an einer gottebenbildlichen Mittlerfigur für die Gottebenbildlichkeit des Menschen, zur [2] soteriologischen, [3] anthropologischen und [4] ethischen Bedeutung der Gottebenbildlichkeit des Menschen) jeweils in thematische Resumees zur Sapientia, zu Philo und zu Paulus auf und arbeitet so einer Nivellierung der Unterschiede der beiden ›alexandrinischen‹ Quellen entgegen. Zu den Hauptergebnissen dieser Arbeit darf hinsichtlich der paulinischen Theologie ein neues Verständnis der Gottebenbildlichkeit zählen, das auf einer neuen, christologisch begründeten Bewertung des Soma beruht. Diese Umakzentuierung führt zu einer »Bedeutungsverschiebung« (263 und passim) im Verständnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen, der weiter nachzugehen ist.
Die Arbeit stellt mit ihren gediegenen semantischen Analysen einen wichtigen Beitrag zu einer bildtheoretischen theologischen Diskussion dar, die im Bereich der neutestamentlichen Wissenschaft noch kaum geführt wird.