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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1214-1215

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kim-Rauchholz, Mihamm

Titel/Untertitel:

Umkehr bei Lukas. Zu Wesen und Bedeutung der Metanoia in der Theologie des dritten Evange­listen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. X, 222 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2328-6.

Rezensent:

Dietrich Rusam

»Kehrt um!« Sowohl für den Markus- als auch für den Matthäusevangelisten ist der Umkehrruf zentraler Bestandteil der Verkündigung Jesu (Mk 1,15; Mt 4,17). Bei Lukas stellt sich das erste öffentliche Auftreten Jesu (Lk 4,14–30) etwas anders dar. Hier findet sich kein ausdrücklicher Ruf zur Umkehr. Dabei taucht das Thema »Umkehr« im lukanischen Doppelwerk sowohl wörtlich als auch inhaltlich durchaus auf. Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit, darauf aufmerksam gemacht zu haben.
Die Dissertation besteht aus zwei Hauptteilen. Im ersten (8–37) untersucht K.-R. den Begriff »Metanoia« in der Profangräzität, im Alten Testament, im hellenistisch-jüdischen Schrifttum sowie in der Rabbinischen Literatur und den essenischen Qumran-Schriften. Ausgehend von ihren Beobachtungen am Alten Testament kann K.-R. zwei unterschiedliche Formen der Umkehr herausarbeiten. So ist nach ihrer Darstellung im Alten Testament die »kultisch-rituelle Form der Umkehr« vom »prophetischen Gedanken der Umkehr« zu unterscheiden. Die erstgenannte Form der Um­kehr gilt den Propheten eher als »Veräußerlichung«, da wichtige Elemente die Bußfeier und das Sündenbekenntnis sind (vgl. 1Kön 21; Joel 1–14). Anlass für einen solchen Aufruf zur Buße sind meist entweder die Gemeinschaft oder Einzelpersonen betreffende Katastrophen, Krankheiten oder Not (vgl. auch Jon 3,5–9). Beim prophe­tischen Verständnis von Umkehr geht es, so K.-R., zwar ebenfalls um den Aufruf zur Umkehr, doch ist dabei vor allem in Rechnung zu stellen, dass der zur Umkehr aufgerufene Mensch die Umkehr nicht von sich aus zu leisten vermag und Gottes Handeln darin besteht, »dass Gott die Umkehr als Voraussetzung für ein neues Dasein ermöglicht«, eben weil der Mensch sie von sich aus nicht vollziehen kann (18). Umkehr ist damit, wie K.-R. nachweist, nach Amos, Hosea Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Deuterojesaja Folge der Zuwendung Gottes zum Menschen – und nicht die Voraussetzung.
Nach Herausarbeitung dieser grundsätzlichen Alternative un­tersucht K.-R. im zweiten Hauptteil (38–189) die fraglichen Stellen im lk Doppelwerk. Hierfür nimmt sie nicht nur die Belege ins Visier, die wörtlich den Begriff aufnehmen (Lk 3,3.8; 10,13–15; 11,31f.; 13,1–5; 16,19–31), sondern vor allem auch die Perikopen, in denen thematisch das Motiv der Umkehr behandelt wird (z. B. Lk 4,16–30 oder Lk 15,11–32). K.-R. arbeitet in diesem Hauptteil heraus, dass die geforderte Umkehr nach Lukas »keine Leistung des Menschen« ist – also nicht etwas, womit er sich sein Heil verdienen oder zu ihm beitragen könnte. Statt dessen wird deutlich, dass Gott in Jesus die Umkehr zur Wirklichkeit werden lässt« (161). Den Ab­schluss des zweiten Hauptteils der Untersuchung bildet der Blick auf einzelne Stellen in der Apostelgeschichte (Apg 9,1–9 und 10,1–11,18). Auch hier macht K.-R. deutlich, »dass Lukas auf jeden Fall von einer Umkehr des Menschen weiß, die nichts mit menschlicher Leistung und einer Eigenständigkeit menschlichen Willens zu tun hat« (177). Insofern ist für Lukas der Ruf zur Buße »ein Angebot des Heils« (188).
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse (190–201) rundet die Arbeit ab. Generell sind die vielen Ergebniszusammenfassungen, die die gesamte Arbeit durchziehen, sehr zu begrüßen. Sie erleichtern die Lektüre sehr. Leider fehlen zur weiteren zügigen Erschließung der Arbeit jedoch die Register (Bibelstellenregister, Namenregister). Zu kritisieren ist auch eine zuweilen auftretende Historisierung, insofern der Buchtitel »Metanoia bei Lukas« zu Recht festhält, dass es in dieser Arbeit um die Theologie des Lukas geht. Hin und wieder suggeriert die Wortwahl jedoch, K.-R. habe das Phänomen der Metanoia bei Jesus untersuchen wollen. Möglicherweise geht diese ab und zu auftretende historisierende Unschärfe auch auf die breite Verwendung der Veröffentlichungen von Adolf Schlatter zurück.
Aufs Ganze gesehen lassen sich neben dem Hauptergebnis, dass nach Lukas der Ruf Jesu zur Umkehr keine Eigenständigkeit des menschlichen Willens voraussetzt, sondern dass Gott es ist, der die Umkehr und damit auch das Heil des Menschen Wirklichkeit werden lässt, noch weitere wichtige Aspekte als Ergebnis benennen: Nach K.-R. baut das lk Doppelwerk in Blick auf das Verständnis von Umkehr auf das Alte Testament auf. Zugleich wird bei der Lektüre der Arbeit immer wieder deutlich, wie nahe sich Lukas und Paulus in ihrem Verständnis von Metanoia sind (z. B. 130). Von daher ist es bedauerlich, dass K.-R. den Lukaskommentar von Michael Wolter, der ebenfalls 2008 erschienen ist, offenbar nicht mehr berücksichtigen konnte. Auf jeden Fall passt die Darstellung der Metanoia bei Lukas sehr gut zu der Vermutung Wolters, Paulus und Lukas hätten einander tatsächlich auch persönlich gekannt.