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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1205-1206

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Aletti, Jean-Noël

Titel/Untertitel:

Essai sur l’ecclésiologie des lettres de Saint-Paul.

Verlag:

Pendé: Gabalda 2009. VI, 218 S. gr.8° = Études Bibliques. Nouvelle série, 60. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-2-85021-194-1.

Rezensent:

Walter Klaiber

Das erste Wort im Titel der Studie, die Jean-Noël Aletti, Professor am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom, hier vorlegt, könnte man statt mit Essay auch mit Versuch übersetzen, denn die Ausführungen A.s zeichnen sich durch ein Haltung des Suchens und Fragens aus und werden nicht mit der Attitüde endgültiger Ergebnisse vorgetragen.
Zunächst stellt A. knapp die Probleme einer paulinischen Ekklesiologie vor und erläutert sein eigenes Vorgehen. Er unterscheidet im Corpus Paulinum zwischen protopaulinischen (Röm; 1.2Kor; Gal; Phil; 1Thess; Phlm), deuteropaulinischen (Kol; Eph [2Thess]) und tritopaulinischen Schriften (Pastoralbriefe). Hier behandelt er die ersten beiden Gruppen und möchte seine Argumentation so gestalten, dass sie sowohl die Vertreter einer paulinischen als auch einer nachpaulinischen Verfasserschaft der Deuteropaulinen an­spricht. Er bemüht sich im Folgenden, sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen beiden Briefgruppen aufzuzeigen; und obwohl er letztlich mit einer nachapostolischen Herkunft rechnet, spricht er auch beim Eph häufig von Paulus oder dem Paulus des Eph.
In einem ersten Kapitel untersucht A. Bedeutung und Herkunft des Begriffes ἐκκλησία. Wo dieser Begriff die Versammlung der Christen an einem Ort beschreibt, ist der Gebrauch des Wortes im Griechischen prägend, wo damit stärker die Gemeinschaft der Chris­ten im Blick ist, dominiert der Einfluss der LXX und des bib­-lischen Verständnisses von להק. Nur einmal, in 1Kor 12,28, bezeichnet ἐκκλησία in den Protopaulinen die Gesamtkirche.
Dann untersucht A. alle Stellen in den Briefen, in denen nach seinem Urteil ekklesiologische Aussagen gemacht werden. Damit verankert er seine Aussagen in den Texten selbst, die er sehr genau und ergebnisoffen bespricht. Allerdings fehlt es der Arbeit dadurch ein wenig an einer Gesamtperspektive, in der die paulinischen Briefe insgesamt als ekklesiologische Dokumente gewürdigt werden.
Das erste Kapitel ist ganz dem 1Kor gewidmet. A. stellt fest, dass in 1,13 und verwandten Stellen keine Gleichsetzung von Christus und Kirche intendiert ist. Deshalb bleibt für ihn die Vorstellung vom Leib Christi eine Metapher, die zunächst nur auf die örtliche Gemeinde angewandt wird und die auf die bekannte Fabel vom Staat als Organismus zurückgeht, aber auch vom Motiv der Gegenwart des Leibes Christi im Herrenmahl beeinflusst ist. Im zweiten Kapitel untersucht A. ausgewählte Stellen aus 2Kor, Röm und Gal und behandelt dann grundsätzliche Fragen paulinischer Ekklesiologie. Gegen W. Kraus hält er fest, dass für Paulus Volk Gottes nicht Leitbegriff seiner Ekklesiologie ist, und zeigt, dass Paulus keine Substitution Israels durch die Kirche kennt.
Die nächsten beiden Kapitel sind den Deuteropaulinen gewidmet, wobei Kol relativ ausführlich behandelt wird. A. bietet eine neue, hilfreiche Interpretation von Kol 1,24 und zeigt, dass die veränderte Fassung des Bildes von Christus als dem Haupt seines Leibes nicht die Vorstellung einer Abhängigkeit Christi von der Kirche impliziert. Das gilt auch für den Eph, der im nächsten Kapitel behandelt wird. A. analysiert u. a. sehr genau die christologischen und ekklesiologischen Implikationen von Eph 5,22–33, wo sich das Bild der Beziehung Haupt – Leib mit der von Mann und Frau überlagert. Das hindert ihn nicht, Sachkritik an den verhängnisvollen Auswirkungen dieser Konzeption für die Stellung der Frau zu üben. Nicht einleuchtend fand ich die These A.s, dass der »Paulus des Eph« den Begriff μυστήριον dazu verwende, um Bilder für die Kirche zu autorisieren, die nicht im Alten Testament zu finden sind. Dafür geben die Texte keinen Anhalt.
Außerordentlich ansprechend ist dagegen die Grundthese der Arbeit, dass die paulinische Ekklesiologie in der theologia crucis des Apostels wurzelt und dass dies im Eph durch die »christologisation« der Ekklesiologie fortgesetzt wird. Von daher ist es konsequent, dass A. auch auf die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Ekklesiologie des Paulus zu sprechen kommt (109; 193). Hierzu hätte ihm ein Blick in Arbeiten des Rezensenten zum Thema noch weitere Anregungen geben können (vgl. W. Klaiber, Rechtfertigung und Gemeinde, FRLANT 127,1982; ders., Rechtfertigung und Kirche, KuD 42, 1996, 285–317).
Obwohl (oder gerade weil) A. streng exegetisch argumentiert, hat seine Arbeit ökumenische Bedeutung. Man wird über Einzelheiten diskutieren müssen; so z. B. darüber, wie sich die Einheit der Kirche in der Diskontinuität der Darstellung in Proto- und Deuteropaulinen darstellt. Was heißt in diesem Zusammenhang: »la structure doit être la même« (189)? Aber als Ganzes ist das Buch eine gute exegetische Grundlage für weitere Gespräche über das Wesen der Kirche.