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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1203-1205

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Adam, Jens

Titel/Untertitel:

Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. X, 569 S. 8°. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2368-2.

Rezensent:

Mark A. Seifrid

Wie schon durch den Titel evident ist, vertritt Jens Adam in seiner Tübinger Dissertation (Hans-Joachim Eckstein) die Anschauung einer nicht zu überhörenden Minderheit: Paulus erwarte das Heil aller Menschen. Um Missverständnisse zu vermeiden, formuliert er seine These sehr präzise: Es geht ihm um den paulinischen Heilsuniversalismus, nach dem das Heil nur in Christus, und noch genauer, nur im Glauben an ihn zu finden ist. Die Hoffnung des Apostels liege in seiner »Christo-Logik«, nämlich in der Erwartung, dass Gott durch seine in Christus wirkende Allmacht bei der Parusie, dem ›Kommen des Erlösers aus Zion‹ (Röm 11,26), letztendlich alle Menschen, Juden und Heiden, zum Glauben bringen wird. Der springende Punkt des Arguments liegt in der Deutung von Röm 11,32: »Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme«. Nach A. spricht dieser Vers nicht kollektiv von Juden und Heiden, sondern individuell und universal. Die Arbeit liegt in der Gedankenlinie von Otfried Hofius. Ein Hauch von Karl Barth ist hier ebenso zu spüren.
A. orientiert sich am Römerbrief, in dem Paulus sein Evangelium in ausführlicher Weise expliziert, zieht aber auch die pauli­nischen Aussagen zu Gericht und Verwerfung in den anderen Briefen in Betracht. Dem gründlichen Forschungsüberblick und Klärungen der Terminologie folgt eine Behandlung des Abfassungs­zwecks, der Struktur und des Gedankengangs im Römerbrief, in der A. die von ihm genannte »Christo-Logik« des Apostels unterstreicht: Bei Paulus ist Soteriologie ganz und gar mit Christologie verbunden. In Christus ist die fundamentale Sünde der verfallenen Menschheit, der menschliche Unglaube, überwunden. Die apostolische Hoffnung der Versöhnung aller ist die konsequente Erwartung dieser christologisch determinierten Soteriologie. Nach Dis­kussionen der paulinischen »All-Aussagen« ( κόσμος, πᾶς, οἱ πολλοί, τὸ πλήρωμα), des Gerichts und der Verwerfung sowie der Bedingung des Glaubens für das Heil kehrt er zum Römerbrief zurück, wo er die einschlägigen Texte zum Heilsuniversalismus im Lichte der paulinischen »Christo-Logik« extensiv behandelt. Eine bündige Zusammenfassung schließt die Arbeit ab. Die (praktisch) dreitei­lige Behandlung des Römerbriefes ist vielleicht leicht abschre­-ckend, dient aber der logischen Klarheit der These.
Schon am Anfang der Arbeit beseitigt A. die üblichen Einwände gegen den Heilsuniversalismus, den er bei Paulus findet. Gottes Zorn und das letzte Gericht sind nicht beiseite gestoßen, sondern in Kreuz und Auferstehung Christi aufgenommen und überwunden. Ebenso bleibt der Glaube die Bedingung des Heils. Nur ist der Glaube das Werk des Schöpfers, »der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ruft, dass es sei« (Röm 4,17). Der Apostel denke »christo-logisch«, sehe Christus als den Schlüssel zum Heilsratschluss des Allmächtigen und erwarte demgemäß bei der Parusie Christi das Heil aller. Diese Hoffnung muss nicht unbedingt den Antrieb zur Evangelisation abschwächen. Für seine exegetische Arbeit legt A. so den Boden frei.
Das gesamte Argument ist vor allem kohärent und konsequent durchgeführt. Die Exegese ist durchaus besonnen, sehr oft einleuchtend, immer diskutierbar. Vor allem ist die Exegese von Röm 4,1–25 sowie die von Röm 5,12–21 zu schätzen. Hier zeigt er klar und überzeugend, dass der Glaube nicht nur die Ermöglichung der Rechtfertigung ist, sondern deren Verwirklichung. Abrahams Glaube (und mit ihm unserer) ist in der rechtfertigenden Verheißung Gottes – der das Nichtseiende ins Dasein ruft – eingeschlossen. In dieser macht er geltend – was allerdings in sich schon klar ist –, dass der Vergleich zwischen Adam und Christus bei Paulus so formuliert ist, dass man der universalen Breite des von Gott in Christus gewirkten Heils kaum ausweichen kann, auch wenn die Kommentatoren es oft versuchen.
Die Arbeit bringt zum Nachdenken, auch wenn sie nicht ganz überzeugt. Lücken und Probleme erfordern einen Vorbehalt. Einige Fragen dürfen hier erwähnt werden. In seinem Argument gegen eine partikularistische Soteriologie in Röm 1,18–3,20 übersieht A. den Rechtsstreit zwischen »dem ungehorsamen Beschnittenen« und »dem Unbeschnittenen«, der an der nova oboedientia des Geistes teilhat (Röm 2,25–29). Der rhetorischen Frage des Apostels nach wird dieser gehorsame Unbeschnittene zum Richter des Beschnittenen, und empfängt – implizit im Eschaton – sein Lob von Gott. Kann man dann behaupten, dass Paulus vom Gericht nur remoto Christo spricht? Hört man nicht vielmehr hier vom doppelten Ausgang des letzten Gerichts? Nach Paulus müssen wir alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden (2Kor 5,10). Darf man hier vom Gericht remoto Christo sprechen, auch wenn es um den Glauben an sein Heilswerk geht? Die gleiche Frage gilt für 1Kor 11,32, wo Paulus in Beziehung auf das Herrenmahl zwischen der Gemeinde und »der Welt« in der Frage des Heils klar unterscheidet. Hat die herzergreifende Klage des Apostels im Römerbrief über den Un­glauben seines Volkes irgendeinen Sinn (Röm 9,1–5), ist sie überhaupt ernst zu nehmen, wenn doch alle Juden aller Zeiten erlöst werden? Die auf das eschatologische Heil Israels gerichtete Erwartung des Apostels ist nicht zu bestreiten (Röm 11,25–27). Wenn aber alle errettet werden, warum äußert Paulus die Hoffnung, dass durch seinen apostolischen Dienst, »einige von ihnen« errettet werden könnten (Röm 11,14)? M. E. bleibt es noch sinnvoll, Röm 11,26 eschatologisch und nicht diachronisch zu lesen. Wenn dies so ist, kommt auch die Behauptung des Heils jedes einzelnen Heiden ins Wanken.
»Die Fülle der Heiden« muss nicht unbedingt so gedeutet werden (Röm 11,26), auch wenn die Wendung im Lichte von Röm 11,32 verstanden wird. Diese Schlüsselstelle kann als Angabe der göttlichen Absicht in Christo gelesen werden, ohne das paulinische Verständnis der göttlichen Allmacht einzuschränken.
Freilich muss man dann in Kauf nehmen, dass Paulus kein Systematiker ist. Er spricht christologisch sowohl von der Hoffnung auf die Versöhnung aller als auch von einem doppelten Ausgang des letzten Gerichts. Dies muss nicht be­deuten, wie A. es (mit anderen) meint, dass der Apostel inkohärent oder inkonsequent redet. Es heißt nur, dass Paulus den logischen Kreis nicht schließt, sondern zum Eschaton hin offen lässt. Er versteht sich also doch nicht als Logiker, auch nicht als »Christo-Logiker«, sondern nur als Apostel, als Abgesandter Gottes. Wenn wir Paulus so lesen, als noch auf das lumen gloriae wartend, wären wir nicht die Ersten, die dies so tun.