Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1200-1201

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Irsigler, Hubert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Identität Israels. Entwicklungen und Kontroversen in alttestamentlicher Zeit.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2009. IX, 175 S. gr.8° = Herders Biblische Studien, 56. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-30115-5.

Rezensent:

Beate Ego

Der Band versammelt die Beitrage einer Vortragsreihe, die im Rahmen des 30. Orientalistentags vom 24.–28. September 2007 in Freiburg im Br. abgehalten wurde. Im Zentrum steht die Frage nach der Eigenwahrnehmung und dem Selbstverständnis Israels bzw. israelitischer Gruppen in unterschiedlichen Literaturwerken und Epochen der Geschichte Israels.
In seinem Beitrag Konflikt und Konfliktlösung. Innere Kontroversen und Spannungen als Orte der Eigenwahrnehmung Israels in den Patriarchentraditionen der Genesis (1–38) untersucht Theodor Seidl (Würzburg) zunächst verschiedene Konflikterzählungen von den Stammvätern Israels (so Gen 13, 5–13, Gen 32,4–22; 33,1–17 und Gen 50,15–21). Seidl spricht sich dabei für eine kollektive Interpretation der Texte aus, die diese transparent für Israels Umgang mit seinen Nachbarn bzw. inneren Konfliktpartnern macht. Die Texte liefern dabei Modelle für ein konstruktives Miteinander mit Israels Nachbarvölkern sowie für einen Ausgleich bei internen Konflikten.
Rainer Albertz (Münster) fragt in seinem Aufsatz Israel in der offiziellen Religion der Königszeit (39–57) nach dem Einfluss der offiziellen Religion der Königszeit auf das Selbstverständnis Israels bzw. Judas. Trotz der gerade für das Nordreich eingeschränkten Quellenlage kann er deutliche Unterschiede zwischen Nord- und Südreich herausarbeiten. Während im Südreich die Dominanz der Vorstellungen von Königtum, Tempel und Königtum JHWHs ein spezifisches Israel-Bewusstsein in den Hintergrund treten lassen, spielen im Nordreich die Exodus- und die Landnahmetradition eine herausragende Rolle, für die eine personale Beziehung zwischen JHWH und Israel bezeichnend ist. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext die Volksklage Ps 80, da sie der »einzige Text aus dem Umkreis der staatlichen Religion« ist. JHWH ist hier nicht der universale Völkerkönig, sondern der König Israels, für den die Hirtenmetaphorik benutzt wird. Eine Synthese findet dann, so Albertz, in der Hiskijazeit statt (s. 1Sam 9–1Kön 2* und Ex 1,1–8). Nun trat auch in der offiziellen Theo­logie des Südreiches Israel die personale Beziehung zwischen JHWH und Israel in den Vordergrund des religiösen Symbolsystems.
Hubert Irsigler (Freiburg im Br.), Der Streit um die Identität Israels in der vorexilischen Prophetie. Besonders am Beispiel von Hosea 12 (59–86), zeigt am, wie in der vorexilischen Prophetie mit der Frage nach dem wahren und idealen Israel gerungen wird. Der Beitrag von Walter Dietrich (Bern) Israel in der Perspektive des deuteronomisch-deuteronomistischen Literaturkreises (87–99) wie­derum differenziert zwischen dem moralischen und historischen (Dtn und 2Sam), dem kriegerischen und dem theologischen (Ri) sowie dem beschuldigten und dem begnadigten Israel (Vierprophetenbuch): In diesem Zusammenhang wird auch die messianische Komponente der alt­-tes­tamentlichen Israel-Konzeption sichtbar.
John W. Rogerson (Sheffield) demonstriert in seinem Aufsatz Die Neubesinnung auf die Identität Israels in der exilischen Epoche (101–109) auf der Basis von den Textbereichen Jes 41–48 sowie anhand der priesterlichen und nicht-pries­terlichen Jakobserzählung, wie nach der Erfahrung des staatlichen Untergangs eine Neubesinnung auf Israels Identität erfolgte. Jakob erscheint in all diesen Textbereichen als eine Segensgestalt und Empfänger der göttlichen Gnade. Bei diesem Prozess einer Neukonzeptionierung der Jakobsgestalt scheint Bet-El insofern eine wichtige Funktion zugekommen zu sein, da vermutet werden kann, dass dieser Ort nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels »als Ersatz für Jerusalem« (107) fungierte. Auch Ralf Rothenbusch (Freiburg im Br.) behandelt in seinem Beitrag Die Auseinandersetzung um die Identität Israels im Esra- und Nehemiabuch (111–144) Fragen der Identitätsbildung im nachexilischen Israel. Dabei wird deutlich, dass seit der Mitte des 5. Jh.s die ethnisch-religiöse Identität durch Nehemia und Esra von der babylonischen Diaspora aus bestimmt wurde. Nun fungiert die Tora als eine bestimmende Größe, deren Befolgung auch nicht-judäischen Kreisen einen Anschluss an Israel ermöglichte.
Hans Peter Mathys macht in seinem Beitrag Israel und die Völker in der Achämenidenzeit: Bekanntes und weniger Bekanntes (145–156) deutlich, wie Israel nach der Eingliederung in das Achämenidenreich sich in Relation zu der Völkerwelt definiert. Züge der persischen Königsideologie und Charakteristika des persischen Großkönigtums werden dabei auf JHWH übertragen. Israel ist so Teil der Völkerwelt und dieser dennoch überlegen. Neben dem Anspruch auf die königliche Weltherrschaft ist es Israels Besitz der Tora, der es in seiner Besonderheit auszeichnet (Dtn 4,5–9).
Die Sammlung schließt mit Ausführungen von Eberhard Bons (Straßburg) zur Thematik Das Gesetz als Maßstab für Israel und seine Bedeutung für die Völker bei Flavius Josephus (157–170). Auch hier wird deutlich, wie die Tora in der späteren Zeit immer mehr zu einem identitätsbildenden Faktor wird. Das Gesetz begründet aber nicht nur die Andersartigkeit des Judentums, sondern eröffnet Israel auch den Zugang zur Gemeinschaft mit den anderen Völkern. Ein Stellenregister beschließt den Band (171–175).
Der Band bietet eine Zusammenstellung interessanter und niveauvoller Beiträge. Da die einzelnen Arbeiten sich chronologisch an­ordnen lassen, ergänzen und beleuchten sie sich gegenseitig. Des Weiteren kristallisieren sich in dieser Sammlung auch übergreifende Motivfelder heraus, die für die Themenstellung »Identitätskonstruktion« und »Identitätsstabilisierung« von großer Bedeutung sind. Insbesondere ist dabei auf die zentrale Bedeutung von Einzelgestalten für die Konzeption kollektiver Identitäten zu ver­weisen sowie auf die identitätsbildende Kraft der Tora.