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Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1198-1200

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Halpern, Baruch

Titel/Untertitel:

From Gods to God. The Dynamics of Iron Age Cosmologies. Ed. by M. J. Adams.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XIV, 556 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 63. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-149902-9.

Rezensent:

Martin Leuenberger

In diesem Werk zeichnet Baruch Halpern gewichtige theologische Themen und Texte des Alten Israel sorgfältig und kenntnisreich in ihre historischen Kontexte ein. Die Leitlinie bildet dabei die – dynamische – Verhältnisbestimmung zu vorgegebenen Traditionen aus Israel sowie aus Mesopotamien, die in den vier Buchteilen bearbeitet wird: Ablehnungen (Teil 1 und 3), Transformationen (Teil 2), Entwicklungen (Teil 4).
Im Einzelnen handelt es sich um eine thematische Auswahl und Zusammenstellung von zwölf Aufsätzen aus dem umfangreichen Œuvre des Vf.s, die aus knapp drei Jahrzehnten (1981–2007) stammen. Der renommierte Vf., Professor für Jewish Studies, Ancient History, Classics and Ancient Mediterranean Studies and Religious Studies an der Pennsylvania State University, stellt der Sammlung neu eine Einleitung voran und führt jeweils mit kurzen forschungsgeschichtlichen Aktualisierungen in die einzelnen (unverändert abgedruckten) Artikel ein.
Die Einleitung (1–10) gibt, für europäische Leser aufschlussreich, anhand von ausgewählten Beispielen aus der älteren und jüngeren Geschichte allgemeine Einblicke in Aspekte der Traditionsbildung und -weitergabe sowie in die Rolle, die die »canon elites« (2) dabei spielen (können). Für das alte Israel greift der Vf. dabei auf die von Karl Jaspers sog. Achsenzeit zurück, die er im 8. Jh. beginnen lässt und als erste Reformation umschreibt (3 ff.); in diesem Kontext situiert er die Transformationen hin zu Monotheismus, Individualisierung und Literarizität.
Etwas genauer vorgestellt sei der erste Teil, »The Rejection of Tradition« (11–141), der im Blick auf die Entstehungszeit der Beiträge die größte Spannbreite aufweist und exemplarisch für das Buch stehen mag. Er umfasst vier Studien, die insbes. sozialgeschichtliche und politische Aspekte der Entstehung des Monotheismus (bzw. seiner Vorformen im 8./7. Jh.) in den Blick nehmen.
1. »›Brisker Pipes than Poetry‹: The Development of Israelite Monotheism« (1987) skizziert gegenüber den Revolutions-, Jhwh-allein- und Exilsparadigmen die Entwicklung (evolution) des israelitischen ›Monotheismus‹ während der Staatszeit im Gefolge Yehezkel Kaufmanns; dabei erfolgt – typisch für die Arbeitsweise des Vf.s – eine Einbettung in die soziopolitischen Gegebenheiten und es werden biblische wie außerbiblische Quellen herangezogen.
2. In »The Baal (and the Ashera) in Seventh-Century Judah: Yhwh’s Retainers Retired« (1993) stellt der Vf. den titulären Charakter von ›Baal‹ und ›Ascherah‹ heraus, die so von Jhwh abgehoben werden; er situiert diesen Befund in den religionsinternen Auseinandersetzungen (internal polemic) der späteren Königszeit, worauf methodisch besonders M. Weippert aufmerksam gemacht hat.
3. »Yhwh the Revolutionary: Reflections on the Rhetoric of Re­-distribution in the Social Context of Dawning Monotheism« (2000) greift die (meist ziemlich stereotyp geführte) Diskussion um die revolutionäre Sprache und Rhetorik des Monotheismus auf, überwindet aber das platte Verständnis als bloße Ideologie durch den differenzierten Versuch, punktuell soziopolitische Auseinandersetzungen als historische Hintergründe festzumachen.
4. »The False Torah of Jeremiah 8 in the Context of Seventh Century BCE Pseudepigraphy: The First Documented Rejection of Tradition« (2007) widmet sich dem religionsgeschichtlichen Hintergrund von Jer 8 und Ez 20; der Vf. meint hier – trotz der differenzierten jüngsten Interpretationsansätze –, auf die Praxis von Kin­deropfern rekurrieren zu können, erliegt dabei aber doch wohl der literarischen Fiktion der polemischen Bibeltexte. Und selbst auf der Ebene der erzählten Welt handelt es sich schwerlich um die äl-teste Ablehnung von Tradition im Alten Testament überhaupt.
Der zweite Teil, »Cultural Transformations and Composition« (143–335), besteht aus fünf vor allem textbezogenen Aufsätzen zur biblischen Geschichtsschreibung zwischen historischer Quelle und biblischer Geschichte (s. # 6: »Doctrine by Misadventure: Between the Israelite Source and the Biblical Historian«). Zentrale Text(corpora), die ausführlicher analysiert und interpretiert werden, sind Ri 4 f. (# 5 f.), Chronik (# 7.9) und Könige (# 8 f.). Wenn etwa # 7 u. a. mit einer hiskijanischen Transformationsstufe rechnen, so zeigt sich, ebenfalls repräsentativ, der literargeschichtlich konservative Grundzug des Vf.s, der zumal im europäischen Kontext Widerspruch finden dürfte.
Der dritte Teil, »The State’s Rejection of Religion: Revolution and Reformation« (337–424), enthält die umfangreiche Arbeit zum Übergang von kollektiver zu individueller Schuldbestrafung, wie er vor allem in Jer (31,29) und Ez (18,1 ff.) zu erheben ist. Der Vf. unternimmt es, diesen Vorgang in den ausführlich beschriebenen gesellschaftspolitischen Veränderungen in Juda/Jerusalem seit der neuassyrischen Zeit zu verorten. Insofern bildet der Beitrag in der Tat das »centerpiece« des Buches, wie der Editor Matthew J. Adams bemerkt (VII), auch wenn hier abermals methodische und inhaltliche Rückfragen nach der Reichweite und Detailliertheit derartiger Folgerungen aufbrechen.
Der vierte Teil, »The Dynamics of Cosmological Thought in Iron Age Societies« (425–480), umfasst zwei neuere Aufsätze zum Weltbild, genauer zur Astronomie; gegenüber der divinatorischen Auswertung der Himmelskonstellationen in Mesopotamien erhebt der Vf. anhand von Gen 1 und Ez 1 im interkulturellen Vergleich mit vorklassischen griechischen Konzepten ein »denial of astral signification in Israel and Greece« (476).
Ausführliche Register und Indizes komplettieren den Band. Sie enthalten eine Gesamtbibliographie, ein Bibel- und Koranstellenregister (aber keines der Primärquellen), ein Autorenregister sowie ein detailliertes Sachregister (dessen Lemmata allerdings zum Teil unvollständig indiziert sind), was den fachwissenschaftlich interessierten Lesern zusätzliche Erschließungswege eröffnet.
Der gewichtige Sammelband ordnet sich in die breite Monotheismus-Debatte der vergangenen Jahre ein, widersteht jedoch dem Sog dieses nicht unproblematischen Begriffs und fokussiert auf die im Titel formulierte Bewegung ›von den Göttern zu (dem einen) Gott‹, die die zentrale Thematik der israelitischen Religions- und Theologiegeschichte darstellt.
So sehr diese Rekonstruktion dynamischer Prozesse zu begrüßen ist, so sehr hätte man sich eine intensivere Bearbeitung der exilisch-nachexilischen Epochen, die eher punktuell in den Blick kommen (s. # 7–9.11 f.), gewünscht; hier bedarf es noch vertiefter und differenzierter Bemühungen. Im Blick auf die staatszeitlichen Entwicklungen ist sodann – aus europäischer Perspektive – eine konservative Grundhaltung im Blick auf die literargeschichtlichen Rahmenvorstellungen zu konstatieren, die sich weithin am Forschungsstand vor den Aufbrüchen seit den 1970er und 1980er Jahren orientieren (Neuere Urkundenhypothese usw. als Leitparadigmen). Dies wirkt sich naturgemäß auf die religions- und theologiegeschichtlichen Rekonstruktionen aus, die im Spiegel der neuesten Forschungstendenzen vielfach gebrochen erscheinen, aber dennoch empfehlenswerte Ausgangspositionen markieren. So möge der Band nicht zu­letzt den interkontinentalen Diskurs nachhaltig befördern.