Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2010

Spalte:

1195-1198

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Haarmann, Volker

Titel/Untertitel:

JHWH-Verehrer der Völker. Die Hinwendung von Nichtisraeliten zum Gott Israels in alttestamentlichen Überlieferungen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2008. 341 S. gr.8° = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 91. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-290-17492-7.

Rezensent:

Till Magnus Steiner

Die Studie (betreut von Erhard Blum) wurde im Wintersemester 2006/2007 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Der Vf. schöpft in ihr aus seinem Studium der Evangelischen Theologie und Judaistik, die er in der vorliegenden alttestamentlichen Studie zusammenfließen lässt, um eine Antwort auf die theologisch aktuelle Frage zu geben: »Ist JHWH der einzige Gott, und hat er als solcher nur Israel er­wählt, was ist dann mit den anderen Völkern?« (20)
In der alttestamentlichen Wissenschaft hat sich ein reges Interesse an der sozialen Stellung von Fremden (רג) und Ausländern (ירכנ), deren Stellung zum Volk Israel sowie deren Verhältnis zum Gott Israels entwickelt (vgl. z. B. die Monographien von Van Houten 1991, Bultmann 1992, Zehnder 2005, Donaldson 2008). Innerhalb dieses Forschungstrends und der genannten allgemeinen Fragestellung evaluiert der Vf. kritisch die Vorstellung der Hinwendung von Nicht-Israeliten zu JHWH als Proselytismus (vgl. auch Enger 2006), wobei er die dem Proselytismus-Konzept zugrunde liegende Einheit von Beziehung zu JHWH und Integration in die Religions- bzw. Volksgemeinschaft Israel mit Greenberg (vgl. den Aufsatz »A house of prayer for all peoples« 2001) zu Recht trennt. Diese Trennung ist der hermeneutische Schlüssel für die Arbeit, den der Vf. aus der Ableitung der rabbinischen Unterscheidung zwischen רג קדצ (Proselyt) und בשות רג (righteous gentile) gewinnt (26–42).
Der קדצ רג ist ein Proselyt im vollen Sinne: Er unterzieht sich einem Konversionsritus, vollzieht dadurch einen Identitätswechsel und integriert sich ethnisch in das Volk Israel (vgl. bJeb 47a–b; jBik 1,4,64a). Der בשות רג, biblisch der als Fremder in einem Land Wohnende (vgl. z. B. Lev 25,23.35.47), wird rabbinisch theologisch interpretiert als Zugehöriger einer Gruppe von JHWH-Verehrern der Völker (= JVV), die sich an die Noachidischen Gebote halten (bAZ 64b), trotzdem aber kultisch als unrein gelten (tZAB 2,1). Die rabbinischen Kategorien, die in der folgenden Exegese als Deutekate­gorien angenommen werden, verdeutlichen in der Rezeption, dass »die Zugehörigkeit zu Israel keine conditio sine qua non für eine echte JHWH-Verehrung ist« (41 f.) und somit eine rechte JHWH-Verehrung für Nicht-Israeliten ohne Proselytismus denkbar ist. Diese Denkrichtung wird auch von der rabbinisch schwierigen Kategorie יארי םימש bzw. םיהולא יארי (Gottesfürchtigen) betont, die die Studie nicht mit einbezieht (35 f., Anm. 82; vgl. bereits Guttmann 1927). Dies hätte sie auf einen anderen Weg geleitet – über die Apostelgeschichte (z. B. Apg 13,16.26.50) bis zur Frage, wer die Gottesfürchtigen (vgl. auch 2Kön 17,41; Sir 10,22) in den Psalmen waren/ sind (vgl. Midrash Tehillim zu Ps 22,24).
Das Entscheidende sind nicht die rabbinischen Kategorien, sondern die mögliche Trennung zwischen Zugehörigkeit zu Israel und rechter JHWH-Verehrung, die der Vf. auch in der Hebräischen Bibel aufzeigt. Hierzu werden die narrativen Texte Ex 18,1–12; Jos 2; 2Kön 5; Jona 1; Rut 1,15–18 sowie die diskursiven Texte 1Kön 8,41–43; Jes 56,1–8 in Verbindung mit Dtn 23,2–9; Ez 44,6–15 untersucht. Die Textauswahl richtet sich auf Texte, die eine vollzogene Hinwendung < /span>einzelner Nicht-Israeliten zu JHWH beschreiben; die eschatologische Hinwendung aller Völker zu JHWH in Jes 2,1–5/Mi 4,1–5 wird in einem Exkurs (247–254) behandelt.
Die Exegese der ausgewählten Texte (59–274) ist durch ein sehr gelungenes diachrones und synchrones Ernstnehmen der Texte geprägt: von der Textkritik über die Struktur der Texte, ihre Stellung im jeweiligen Kontext, der genauen Aufarbeitung der jeweiligen Forschungsgeschichte mit ihren verschiedenen Deutungsvorschlägen, einer diachronen Verortung, einer eigenen Interpretation bis hin zu sehr erquicklichen Darstellungen der Rezeption jedes einzelnen Textes in der rabbinischen Auslegung.
Die sehr leserfreundliche Exegese führt in der persischen Zeit zur Annahme der Kategorie der JVV, zeitgleich und entgegen dem Beispiel Ruts, die durch ihre verwandtschaftliche Integration in das Volk Israel als »Vorläuferin eines späteren Proselytismus gelten [kann]« (276); zu betrachten wäre noch Jdt 14,10. Die Zu­sammenfassung der Exegeseerkenntnisse führt den Vf. zu folgender Charakterisierung dieser »Gruppe« (257–288): 1. Bei Israeliten wie Nicht-Israeliten folgt die Gotteserkenntnis aus JHWHs Handeln (277 f.), das immer ein Handeln JHWHs an Israel ist. Insofern »kann man von einer Israelbezogenheit der JHWH-Er­kenntnis unter den Völkern sprechen« (279). 2. JVV erkennen die einzigartige Macht JHWHs an (278 f.), was zu einer Verehrung JHWHs an der Seite Israels – nicht als oder anstatt Israel – führt (280). 3. Es er­gibt sich im Anbetracht des Monotheismus die Vision einer friedlichen Nachbarschaft der Völker (280). Die Erwählung Israels bedeutet keine Exklusivität der JHWH-Beziehung (282). Diese Charakte­risierung ist nach Meinung des Vf.s nachexilisch eine »narrative Theologie« (285), die aus dem engen Zusammenleben von Israeliten und Nicht-Israeliten im Persischen Reich resultiert und bemüht ist, die Grenze des Volkes Israel im Angesicht von JVV positiv zu definieren. Die strikte zeit­-liche Einordnung ist hierbei zu hinterfragen.
Richtig ist, dass die Erwählungstradition (vgl. Dtn 7,8 f.; 10,14 f.) nachexilisch in den Vordergrund tritt (18–20), die Frage nach Nicht-Israeliten und ihrer Verehrung JHWHs kann aber auch schon vorexilisch bedacht worden sein – z. B. in der Frage, wer Zugang zum Vorhof des Salomonischen Tempels hatte (vgl. auch die Rolle der Gibeoniter). Weiterhin gewinnt die Frage nach der Möglichkeit von JHWH-Verehrern unter den Völkern im Angesicht des Monotheismus Brisanz; sie führt aber in den behandelten Texten immer – auch bei Naaman – zu Bekenntnissen zu JHWH innerhalb des Polytheismus. Hierbei ist noch einmal ausführlicher, als der Vf. dies tut, die literarische Bedeutung der JVV für die primäre israelitische Leserschaft zu beachten: So ist z. B. Naaman als JHWH-Verehrer par excellence eine Symbolfigur für eine überlegene auslän­dische politische und militärische Macht, die mit ihrem israelexternen Zeugnis im nachexilischen Kontext (Diaspora-Yehud) das Land Israel selbst sowie den Gott dieses Landes, JHWH, in ihrer Besonderheit preist. Die Stellungnahmen Jitros, Rahabs und Naamans müssen auch unter dem Aspekt der Konsolidierung des Selbstwertgefühls des nachexilischen Israels gelesen werden, als Theologie(n) der Vergewisserung (vgl. die Rollen von Gehasi, dem Diener des Elischa und Jona).
Es ist ein Verdienst der Arbeit, den Ge­brauch des Begriffs »Proselytismus« in Bezug auf die Hebräische Bi­bel differenziert und die Denkkategorie JVV hervorgehoben zu haben. Hierbei hat der Vf. die Judaistik und die Wissenschaft des Alten Testaments in einen fruchtbaren Dialog gebracht, der sich im Epilog als ein wertvoller Anstoß für den jüdisch-christlichen Dialog erweist: »Dass sich die Kirche in großer Nähe zu den alttestamentlichen JHWH-Verehrern der Völker sehen kann, leistet m. E. einen wichtigen Beitrag zu einem veränderten Selbstverständnis der Kirche, die JHWH aus dem Raum der Völkerwelt heraus verehrt und sich mit seinem Volk Israel freut.« (291) Der Studie ist eine anregende und kontroverse Aufnahme in den theologischen Diskurs zu wünschen.