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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1178-1179

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Landau, Peter

Titel/Untertitel:

Grundlagen und Geschichte des evange­-lischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. VIII, 476 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 92. Lw. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149455-0.

Rezensent:

Norbert Janz

Von einem der einflussreichsten deutschen Kanoniker liegt nun ein Kompendium wichtiger Schriften vor: Peter Landau, seit sieben Jahren Emeritus für Deutsche Rechtsgeschichte, neuere Privatrechtsgeschichte, Kirchenrecht, Bürgerliches Recht, Rechts- und Staatsphilosophie an der Münchener Ludwig-Maximilians-Uni­versität, fasst 22 seiner zwischen 1981 und 2006 verfassten Aufsätze zusammen. Dabei wird der Bogen thematisch weit über den kir­chenrechtlichen Bereich hinaus zu rechtsphilosophischen, rechtshistorischen und rechtstheologischen Ufern gespannt. Zudem stellt L. die maßgebenden Kirchenrechtler aus der 500-jährigen protestantischen Geschichte vor. Es handelt sich – wie der Veröffentlichungsnachweis zeigt – überwiegend um Publikationen, die kaum mehr greifbar sind.
Die einzelnen Beiträge sind vier Kapiteln zugeordnet. Im ersten Abschnitt finden sich eher theoretisch ausgerichtete Aufsätze zu den Grundlagen des Kirchenrechts. Die erste, aus dem Jahr 1997 stammende Schrift erläutert den Rechtsbegriff des Kirchenrechts in philosophisch-historischer Sicht. Im Ergebnis bestehe eine gemeinsame Rechtsgrundlage der Kirchen seit ihrem Ursprung mit der Folge, dass sich daraus auch ökumenische Rechtsgrundsätze ergäben: So müsse die Taufe eben auch als Rechtsakt verstanden werden. Daneben finden sich Abhandlungen zum juristischen Begriff der Kirche auf dem Weg zur Ökumene, zur Theorie des kirchlichen Gewohnheitsrechts sowie zum epikletischen und transzendentalen Kirchenrecht bei Hans Dombois.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem evangelischen Kirchenrecht in der frühen Neuzeit. Im Fokus stehen die Kanoniker Benedict Carpzov, Justus Henning Böhmer und Johann Lorenz von Mosheim. Sie werden von L. durchaus feinspürig betrachtet und ihrer gesellschaftlichen Umhegung zugeordnet. Ferner wird die Dreieinigkeitskirche in Regensburg als Hort der Toleranz und Parität vorgestellt. L. hielt diesen Vortrag 1981 anlässlich der 350-Jahr-Feier der Kirche in seiner damaligen Eigenschaft als Dekan der Regensburger rechtswissenschaftlichen Fakultät. Bemerkenswerterweise wurde der Bau schon 89 Jahre nach Einführung der Reformation in der Stadt vollendet. Unbestritten komme diesem sehr frühen protestantischen Sakralbau stadtgeschichtlich wie kunsthistorisch eine große Bedeutung zu. Gleichermaßen anschaulich wie detailliert deckt L. die Bedeutung der Kirche für ein friedliches Miteinander von Katholiken und Protestanten in der Reichsstadt Regensburg auf. Auch wenn das Verhältnis über die Jahrhunderte hinweg nicht immer spannungsfrei gewesen sei, habe diese Stadt hinsichtlich der religiösen Koexistenz in Deutschland eine Vorreiterrolle gespielt. Die Dreieinigkeitskirche stehe daher – zumindest gedanklich – Pate für den heutigen Rechtsbegriff der Parität.
Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit dem Kirchenrecht und der Kirchenrechtswissenschaft im 19. und 20. Jh. Es finden sich Ausführungen zu Johann Wilhelm Bickel, Aemilius Ludwig Richter und Rudolph Solm sowie ein Nachruf auf Hans Dombois, dessen Gedankenwelt L. mitgeprägt hat und dem im Übrigen der anzuzeigende Sammelband gewidmet ist. Lesenswert ist auch »Das Kirchenrecht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten im 19. Jahrhundert«. Stattliche 1232 Paragraphen – das sind immerhin 7 % des Allgemeinen Landrechts von 1794 – seien dem Kirchenrecht gewidmet, wobei insbesondere das Vermögensrecht und der Klerus im Mittelpunkt stünden. Ein Ruhmestitel des Allgemeinen Landrechts sei, dass es sich eindeutig zur Glaubens- und Gewissensfreiheit bekannt habe. Pate für das Allgemeine Landrecht insgesamt habe die protestantische Kirchenrechtswissenschaft ge­standen. Kenntnisreich skizziert L. Reichweite und Wirksamkeit der kirchenrechtlichen Regelungen und bettet dies auch in einen historischen Kontext ein. Instruktiv wird der durch die preußische Verfassung von 1850 herbeigeführte Entwicklungsbruch aufgedeckt.
Im letzten Teil sind Beiträge zu Staat und Kirche in Geschichte und Gegenwart versammelt. Auch hier rückt L. wieder besonders wichtige Personen wie Luther, Kreittmayr, Kaiser Joseph II. und Friedrich Wilhelm IV. in den Fokus. Lehrreich ist hier besonders die Abhandlung über die Verfassungskonflikte im Streit um die staatliche Kirchenhoheit 1871 bis 1880. Auf nur 20 Seiten unternimmt L. den (erfolgreichen!) Versuch, den Kulturkampf in die Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts einzuordnen. Ausgangspunkt sei das weitgehende Fehlen reichsweiter Vorschriften; nur die Einzelstaaten kannten entsprechende Regelwerke, deren Inhalt indes höchst heterogen war. Das gemeindeutsche Staatskirchenrecht, wie wir es heute kennen, sei erst zum Ende des 19. Jh.s entstanden. Der Kulturkampf habe nur in Preußen, Baden, Bayern und Hessen stattgefunden – und einzig in Preußen habe es sich um einen Verfassungskonflikt im eigentlichen Sinne gehandelt. Trotz einer rigorosen Gesetzgebung und der Beseitigung aller Verfassungsgarantien habe der Staat letztlich gegenüber der Kirche eingelenkt und seine Kampfgesetze revidiert. Dieses Bis­- marcksche Werk habe schließlich die wesentliche Vorarbeit für die stabile Struktur des deutschen Staatskirchenrechts seit 1919 geleistet.
Es ist ein großes Verdienst des Verlages, kleinere (staats-)kirchenrechtliche Veröffentlichungen L.s gebündelt und in einem Sammelband in einer zudem renommierten Reihe neu aufgelegt zu haben. Dies gilt umso mehr, als zu vermuten ist, dass die Verkaufszahlen bescheiden ausfallen werden.
Dem interessierten Leser bietet sich ein spannender Einblick in das überaus breite Werk eines Großen des evangelischen Kirchenrechts, der sich auch und gerade als Rechtshistoriker versteht. Viele Beiträge lassen sich heute noch mit Gewinn lesen, da sie »über den Tag hinaus« geschrieben wurden. Dabei wird ein umfassendes (staats-)kirchenrechtliches Panorama mit seinen geschichtlichen Wurzeln entworfen. Es ist L. vorbehaltlos zuzustimmen, wenn er die Besonderheiten des deutschen Staatskirchenrechts nur auf der Grundlage einer Kenntnis der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirchen seit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erfassen möchte. Der Band trägt das Seine dazu bei.