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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

147–149

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Röhser, Günter

Titel/Untertitel:

Prädestination und Verstockung. Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und johanneischen Theologie.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1994. XIII, 279 S. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 14. Kart. DM 86,­. ISBN 3-7720-1865-3.

Rezensent:

Jörg Frey

Die von K. Berger betreute Heidelberger Habil.Schrift untersucht die biblischen Aussagen zum Vorstellungskomplex der göttlichen Vorherbestimmung des Menschen zu Heil und Unheil. Nach einer Grundlegung zur Vorstellungsstruktur der "Vorherbestimmung" (9-39), zur Rede von Verstockung und Prädestination im AT (40-62) und im Frühjudentum (63-85) analysiert R. hauptsächlich die einschlägigen paulinischen (93-178) und johanneischen (179-243) Passagen. Als Vorherbestimmung faßt R. die "zeitlich vorgängige, endgültige Festlegung" von Menschen, Ereignissen oder Sachverhalten "durch (jetzt oder später) wirksames Handeln von seiten Gottes", als Prädestination die "individuelle Festlegung von MenschenŠ durch Gott auf Heilsteilhabe bzw. Heilsverschlossenheit hin" (9 f.).

Methodisch will die Arbeit einen Beitrag zur Erforschung "religiöser ’Vorstellungs-’ bzw. ’Deutungsstrukturen’" (86) liefern und im Blick auf das Zusammenwirken von Gott und Mensch nach anschaulichen Konzepten religiöser Wirklichkeitsdeutung fragen. R. will sich in der Interpretation der Aussagen über göttliche Vorherbestimmung und menschliche Freiheit nicht in eine bloße Aporetik zurückziehen und die bibl. Aussagen über Prädestination und Verstockung auch nicht bloß funktional (z. B. als Mittel zum Ausdruck der Unverfügbarkeit des Glaubens) verstehen, sondern "so weit wie möglich der immanenten Logik der antiken Aussagen selbst" folgen (4) und diese bis zum Erweis des Gegenteils als sinnvolles Ganzes ernstnehmen. Dies versucht R. mittels räumlicher Metaphern, v. a. des "In-Wirkens". Seine Grundthese lautet daher, menschliches Handeln sei im Rahmen des in den biblischen Texten vorausgesetzten Weltbildes verstanden als "umschlossen" bzw. "überwölbt" vom "Raum göttlichen Wirkens" (88), so daß zwischen Freiheit und Prädestination kein strikter Gegensatz bestehe. Das Verhältnis beider werde erst in der altkirchlichen Theologie unter pagan-philosophischem Einfluß "zum Gegenstand einer grundsätzlichen Aussage oder einer diskursiven Erörterung" (39). In den biblischen Texten hingegen sei die scheinbare semantische Konkurrenz von göttlichem und menschlichem Wirken Ausdruck einer komplexen religiösen Wirklichkeitsdeutung, in der das göttliche Handeln die menschliche Verantwortung nie aus-, sondern immer einschließt.

Bereits im AT will R. zwei Grundkonzeptionen von Verstockung unterscheiden: Die Vorstellung der vorgängigen Verstockung, die R. in Ex 3-15 (ganz auf der Basis der redaktionellen Endgestalt) herausarbeitet, läßt sich nach dem Konzept des ’In-Wirkens’ nur so verstehen, daß sie die Verantwortlichkeit menschlichen Handelns nicht ausschließt. Von diesem Konzept grundsätzlich zu unterscheiden sei die nachgängige Verstockung, wie sie im jesajanischen Verstockungsauftrag Jes 6,9-11 vorliege. Sie sei nur eine Reaktion Gottes auf menschlichen Ungehorsam und setze daher eine hinreichend lange Phase der Umkehrmöglichkeit und sittlichen Bewährung voraus. Die Intention von Jes 6,9-11 sei es, die Adressaten vor der Wiederholung einer solchen Katastrophe zu warnen und damit zur Umkehr zu rufen. Die Rede von Gottes verstockendem Handeln appelliere somit gerade an die menschliche Entscheidung.

Auch für Paulus ist nach R. alles menschliche Handeln von Gottes Wirken umgriffen. So läßt sich auch hier das Konzept des ’In-Wirkens’ zur Geltung bringen, demzufolge auch Prädestinationsaussagen wie Phil 2,13 und Röm 8,28-30 ein eigenverantwortliches Handeln des Menschen zum Heil nicht aus-, sondern einschließen. Für die paränetisch zugespitzte paradoxe Formulierung Phil 2,12b-13 kann ich dem folgen, in Röm 8,28 scheint mir R. jedoch das syn in synergie bei weitem überzubewerten. Von einem irgendwie relevanten Eigenwirken des Menschen ist in diesen Versen gerade nicht die Rede. In Röm 9-11 sieht R. beide atl. Grundkonzeptionen von Verstockung nebeneinander verwendet, die vorgängige in 9,17 f.22 und die nachgängige in 11,8. In Anbetracht der konzeptionellen Differenzen zwischen c. 9 (Rettung eines Restes) und c. 11 (Rettung ganz Israels) nimmt er für 9-11 eine Entwicklung an, in der sich Paulus erst allmählich zu der Sicht von c. 11 durchringt (112). Dies ist jedoch kaum glaubhaft. Sollte ein so sorgfältig argumentierender Autor wie Paulus nicht schon zu Beginn seiner Israel-Argumentation in Röm 9,1-5 deren Ziel im Blick haben? Oder sollte ihm das mysterion (11,25) erst im Verlauf der Abfassung ’eingefallen’ sein? Wenn Röm 9-11 aber von Beginn an auf seine Klimax hin angelegt ist, dann lassen sich auch die kompositionellen Differenzen in c. 9 und c. 11 nicht gegeneinander stellen. Es ist dann auch fraglich, ob man für Paulus zwischen der Vorstellung einer vorgängigen Verstockung in Röm 9,17 ff. und der nachgängigen in 11,8-10 unterscheiden darf. Eher dürfte von 11,7 her auch 11,8-10 (trotz des Anklangs an Jes 29,10), im Sinne einer vorgängigen bzw. im Akt des Hörens wirksamen Verstockung zu verstehen sein.

Für Johannes will R. einen theologischen Prädestinatianismus generell bestreiten (244) und (v. a. aufgrund von Joh 3,19-21) die grundsätzliche sachliche Vorgängigkeit der Werke vor dem Glauben behaupten. Die "in Gott" getanen Werke seien die vor- oder außerchristlich in freier Entscheidung möglichen Werke ­ aus einer ethisch-moralischen Grundhaltung heraus. Wer sich aktiv dem Guten zugewandt habe, der komme nach Joh von selbst zum Licht, zum Glauben an Jesus und damit zum Heil, das sich so an den Werken entscheidet. Joh 12,40 halte die nachgängige Verstockung derer fest, die die gebotene Umkehrmöglichkeit verstreichen ließen. So entspreche die joh. Konzeption von Verstockung der jesajanischen, wie es schon die Tatsache nahelege, daß das Zitat von Jes 6,10 in Joh 12,40 dem MT näherstehe als der LXX und anderen zeitgenössischen Parallelen (194). Mit dieser These unterläuft R. freilich ein gravierender methodischer Fehler: Von der in Zitaten begegnenden Textform läßt sich keinesfalls auf die im Text zugrundeliegende theologische Konzeption schließen.

Durchgehend versucht R., in Joh 3-12 den ’Werkcharakter’ des Glaubens zu erweisen. Das Geben bzw. Ziehen des Vaters in Joh 6,36 ff.44 ff. und Joh 17 sei nicht vorgängig, sondern ’simultan’, ja erst die menschliche Bereitschaft zu hören löse beim Vater die Aktivität des ’Zu-Jesus-Ziehens’ aus (221). Daß Joh gerade vom göttlichen ’Geben’ auffällig häufig im resultativen Perfekt spricht, kann R. ebensowenig würdigen wie den Sachverhalt, daß die Verkündigung des Christusgeschehens 3,14-17 der Frage nach der Reaktion der Menschen V. 18-21 vorausgeht. R. macht hingegen Joh 3,19-21 zum semantischen Schlüssel für Joh 3, ja für das ganze Evangelium. V. a. übersieht R., daß Joh 3-12 kein simpler Bericht über die den Juden z. Zt. des Wirkens Jesu gegebene Heilsmöglichkeit ist, sondern ein im Rückblick und auf dem Hintergrund negativer Verkündigungserfahrung komponiertes Werk, dessen Adressaten primär Glaubende sind. Das Resümee über Jesu Wirksamkeit in Joh 12,37ff. gebraucht die Vorstellung der Verstockung damit als nachgängige Erklärung des faktischen Unglaubens der Mehrheit ’der Juden’, aber das göttliche Handeln (das ’Geben’ und ’Ziehen’ ebenso wie das ’Verblenden’) ist trotz des Zitats Jes 6 als vorgängig und damit für Glauben und Unglauben, Heil und Unheil entscheidend verstanden. Hier besteht zwischen Paulus und dem 4. Evangelisten gerade kein grundlegender Dissens, sondern eine sachliche Übereinstimmung.

R. beteuert, daß er bei Joh keine verkappte tridentinische Rechtfertigungslehre und keinen ’mythologisch verbrämten Moralismus’ finden will (253), aber es ist zu fragen, ob nicht eben dies geschieht ­ in krasser Verkennung des in den joh. Texten vorliegenden Glaubens- und Heilsverständnisses. In R.s Versuch, die Frage nach Prädestination und Verstockung nicht-aporetisch und ggf. anders als die dogmatische und exegetische Tradition zu lösen, zeigt sich allzu deutlich das systematische Interesse, die Tragweite der prädestinatianischen Aussagen einzuschränken und die menschliche Freiheit der Entscheidung und des Wirkens zum Heil möglichst uneingeschränkt festzuhalten. Wie R.s Argumentation zeigt, ist dies zuweilen nur gegen die in den pln. und joh. Texten gesetzten Akzente zu erreichen. Sein Versuch einer Neuinterpretation der biblischen Prädestinationsaussagen bleibt in der systematischen Reflexion wie auch in der exegetischen Textwahrnehmung leider weit hinter vielen der von ihm forsch kritisierten älteren Diskussionsbeiträge zurück.