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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1175-1178

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Hermes, Christian

Titel/Untertitel:

Konkordate im vereinigten Deutschland.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2009. XVI, 693 S. m. Tab. gr.8°. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-7867-2763-7.

Rezensent:

Matthias Pulte

Die Monographie von Christian Hermes wurde als Dissertation am Lehrstuhl für Kirchenrecht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen (Richard Puza) im Jahr 2008 zugelassen. H. hat sich einem aktuellen Thema des Staatskirchenrechts zugewandt, das auf diese Weise, d. h. mit einem starken rechtstheologischen Akzent versehen, noch nicht bearbeitet worden ist. Überhaupt liegt bisher noch keine monographische Bearbeitung der konkordatsrechtlichen Entwicklung seit der deutschen Wiedervereinigung vor. Dennoch befindet sich H. nicht auf völlig unbear­beitetem Gebiet. Sowohl in kleineren Beiträgen und Aufsätzen in Sammelbänden als auch in den einschlägigen Lehrbüchern zum Staatskirchenrecht finden sich Abschnitte, die sich ausdrücklich mit dieser Rechtsentwicklung befassen. Dies geschieht aber nicht in der Ausführlichkeit und Gründlichkeit, mit der sich der frühere persönliche Referent zweier Bischöfe von Rottenburg-Stuttgart diesem Thema auf 642 Seiten widmet. Der Umfang des Werkes weist schon darauf hin, und H. sagt dies auch ausdrücklich (20), dass der Ertrag seiner staatskirchenrechtlichen Forschung eher ein Handbuch hervorgebracht hat, als dass diese Studie einer fortlaufenden Lektüre diene. Gleichwohl überzeugt er schon bei der ersten Durchsicht mit seinem flüssigen und gut lesbaren, auch den Fachfremden nicht ermüdenden Stil.
Der Arbeit voran stehen ein Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis mit bibliographischen Hinweisen und das obligatorische Vorwort. Die Gliederung der Arbeit unterscheidet zwei Hauptteile: I. Die Konkordate des Heiligen Stuhls in Deutschland und II. Die Ma­terien der neueren Konkordate im Kontext kirchlicher und staatlicher Ordnung. Diese beiden Hauptteile sind von ihrem Um­fang her in etwa gleich verteilt. Die Aufteilung ist sinnvoll, weil nach der Schilderung der Genese der Konkordate eine jeweils einzelne Be­handlung der Regelungen wenig ertragreich wäre. Viel interessanter ist es, und so ist H. vorgegangen, die einzelnen Regelungsmaterien vergleichend zu betrachten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuweisen und Beziehungen zu den schon bestehenden und im Kern auch bindenden früheren Konkordaten zu knüpfen. Diese Struktur wird bereits bei der Durchsicht des stringenten Inhaltsverzeichnisses erkennbar und lässt eine interessante Lektüre erwarten.
Der erste Hauptteil der Arbeit beginnt mit den Grundlagen des Konkordatsrechts. Hier beschreibt H. die spezifisch deutsche Situation als »Konkordatsland«. Dass er bei seinem konkordatsrechtsgeschichtlichen Überblick bei den neuzeitlichen Konkordaten des 19. und 20. Jh.s ansetzt, erscheint hier vertretbar. Es wäre bei dem Umfang des Werkes aber auch nicht auf ein paar Seiten mehr angekommen. Man hätte rechtshistorisch durchaus beim Wormser Konkordat (1122), dem ersten auf deutschem Boden, den Konstanzer Konzilskonkordaten (1418) und den Frankfurter Fürstenkonkordaten (1447) ansetzen dürfen, um zu zeigen, dass Vereinbarungen von Staat und Kirche nicht erst eine Frucht des Dialogs der autonomen Nationalstaaten und der Kirche geworden sind. Außerordentlich hilfreich und auf diese Weise neu ist die theologische Begründung des Staatskirchenrechts, die H. in Anknüpfung an die theologische Begründung des Kirchenrechts hier vorlegt. H.s An­satz reflektiert hier aber ausschließlich jenen Versuch einer theo­logischen Begründung des kanonischen Rechts, den zu Anfang der 1960er Jahre der Münchener Kanonist Klaus Mörsdorf vorgelegt hat. Seither ist die Entwicklung vorangeschritten. Darüber spricht H. nicht, auch wenn es durchaus vertretbar erscheint, auch heute noch dem Ansatz von Mörsdorf zu folgen. H. befasst sich in der Folge auch mit der Stärkung des Bischofsamtes, die das 2. Vatikanische Konzil vorgenommen hat. Er weist darauf hin, dass dies für den Bereich des kanonischen Rechts Bedeutung erlangt hat. Jedoch bemerkt er zu Recht, dass weitergehende Kompetenzen der betroffenen Diözesanbischöfe auf der Ebene des Konkordatsrechts, sei es bei der Beteiligung an den Verhandlungen oder gar beim Ab­schluss, nicht zu erkennen sind. Sein Desiderat lautet, dass die Ortskirchen hier weiter beteiligt werden sollten, weil die Bischöfe idem cives et episcopi sind. Dem wird man zustimmen dürfen, soweit sich dies auf die Beteiligung bei den Verhandlungen bezieht. Ohne den völkerrechtlichen Charakter der Verträge selbst anzutas­ten, könnte hier auch eine Institutionalisierung ortskirchlicher Beteiligung an den Verhandlungen von Staat und Kirche über diese Verträge auf rein kanonistischer Ebene erfolgen. Die weiteren Abschnitte, die in der Stofffülle den überwiegenden Anteil des ersten Hauptteils ausmachen, wenden sich den Regelungsinhalten der in Deutschland geltenden Konkordate zu. H. erschließt hier, nach einem kurzen Blick auf deren Zustandekommen, die Texte der Konkordate in Paraphrase und handelt in den Anmerkungen die weiteren ausführenden Gesetze zu den jeweiligen Artikeln der Konkordate ab. Hier zeigt sich die Akribie von H. als besonders verdienstvoll, erschließt er so doch einem breiteren Publikum nicht nur Belegstellen ausführender Gesetze, sondern auch deren Inhalt. In seiner Schilderung geht H. chronologisch vor. Wichtig erscheint in diesem Abschnitt der Exkurs H.s über die Rechtsverhältnisse in den neuen Bundesländern in der Zeit vor Abschluss der neuen Länderkonkordate. Durch den an dieser Stelle aufgezeigten Kontrast zu den staatskirchenrechtlichen Verhältnissen in Ost und West wird richtig deutlich, wie wichtig die neuen Länderkonkordate – bei allem Föderalismus – vor dem Hintergrund der Rechtseinheit für das gedeih­-liche und gegenseitig verlässliche Verhältnis von Kirche und Staat sind. Zum Entstehen der neuen Länderkonkordate gibt H. einen eher kurzen Überblick. Er setzt bei jedem neuen Konkordat mit Ausschnitten aus den Ansprachen des Apostolischen Nuntius an, die einen schlaglichtartigen Blick auf die jeweils spezifische landespolitische und landesrechtliche Lage erlauben, die beim Kon­kordatsabschluss vorgelegen hat. Wie das Ringen um den Abschluss der Konkordate ablief, bleibt verborgen, wäre aber vielleicht von H., der in dieser Zeit persönlicher Referent zweier Bischöfe von Rottenburg-Stuttgart gewesen ist und gegebenenfalls den ein oder anderen Insight view gehabt haben mag, zu erhoffen gewesen. Nichtsdestotrotz eröffnet der originelle Zugang H.s zu den Konkordaten, aus einer pointiert kirchlichen Perspektive, dem Leser einen speziellen und zugleich objektiven Zugang zur Vertragsmaterie.
Vom Umfang her steht der zweite Hauptteil des Buches dem ersten nicht nach. Allerdings ist es nicht erforderlich, bei der Besprechung allzu sehr ins Detail zu gehen. H. handelt in vier größeren Abschnitten die zentralen Rechtsmaterien ab, die in beiderseitigem Interesse von Kirche und Staat liegen. Das ist per se nicht neu, in diesem Zusammenhang aber von besonderem Interesse, weil so die durchaus unterschiedlichen Gewichtungen der einzelnen neuen Konkordate zu althergebrachten Rechtspositionen Ge­stalt gewinnen. Der erste Abschnitt wendet sich den Prinzipien des Staat-Kirche-Verhältnisses zu, wie sie sowohl durch das Grundgesetz als auch die überkommenen Konkordate schon geregelt sind. Der zweite Abschnitt stellt die Verfassungsstruktur der katholischen Kirche dar. Hier zeigt H. auf, wie staatskirchenrechtliche Vereinbarungen das geltende kanonische Recht auf der säkularen Seite flankieren und so einen Beitrag zur Kirchenfreiheit leis­ten. Der nächste Ab­schnitt über die gesellschaftliche Sendung der katholischen Kirche schließt sich folgerichtig an. Hier geht es vor allem um die Fragen der Institutionalisierung von Theologie und religiöser Bildung in Schule und Erwachsenenbereich sowie das Hineinwirken der Kirche in andere öffentliche Bereiche des Sozialen, der Kommunikation und vieles mehr. Der Kreis schließt sich für H. mit der Bearbeitung des wichtigen Themas Kirchenvermögen, das letztlich die wirtschaftliche Grundlage des sozialen und apostolischen Handelns der Institution Kirche in der säkularen Gesellschaft ist. H. reflektiert in den vier Abschnitten die überkommenen staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen. Er zeigt de­ren Bedeutung für das Wirken der Kirche in der Gesellschaft auf. Verdienstvoll ist in diesem Hauptteil, dass H. die Bestimmungen der neuen Konkordate in ihren Übereinstimmungen und jewei­-ligen Abweichungen zum bisherigen Vertragsstaatskirchenrecht deutlich macht. Diese synoptische Betrachtung der komplexen Regelungsmaterie weist das Buch tatsächlich als das aus, was es nach der Intention H.s ist, ein Handbuch des geltenden Vertragsstaatskirchenrechts mit der katholischen Kirche. Die wichtigste auch aktuelle Literatur zum Staatskirchenrecht hat H. in seiner Arbeit berücksichtigt. Dass in dem umfangreichen Literaturverzeichnis manche Dokumente aus dem Internet zitiert sind, mag der modernen Zeit geschuldet sein, erscheint jedoch für eine Dissertation befremdend.
Sicher ist es richtig, wenn der Verlag schreibt, dass H. hier ein umfassendes Handbuch des Konkordatsrechts vorlegt. Ob allerdings das hier hervorgehobene Alleinstellungsmerkmal des Bandes zutrifft, mag man infrage stellen, zumal Stefan Mückl (Hrsg.) erst im Jahr 2007 ein Werk vorgelegt hat, dem lediglich das Konkordat mit Schleswig-Holstein (2009) fehlt und das in den Beiträgen verschiedener Autoren die wesentlichen – auch von H. angesprochenen – Rechtsprobleme reflektiert, allerdings ohne Artikel für Artikel jedes Konkordat zu besprechen.
Insgesamt liegt mit dem Band »Konkordate im vereinigten Deutschland« eine Monographie vor, die das Genre der staatskirchenrechtlichen Literatur auf eigenständige Weise bereichert und daher in keiner staatskirchenrechtlichen Bibliothek fehlen darf. Das Buch ist auch aufgrund des sehr ansprechenden Stils H.s geeignet, nicht nur Experten, sondern allen, die sich mit staatskirchenrechtlichen Fragen beschäftigen, einen Zugang zu dieser Materie zu eröffnen, die oft eher als abgelegen angesehen wird, obwohl sie im wahrsten Sinne des Wortes als grundlegend für das Verhältnis von Kirche und Staat anzusehen ist.