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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1170-1171

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Thomas, Günter

Titel/Untertitel:

Neue Schöpfung. Systematisch-theologische Untersuchungen zur Hoffnung auf das »Leben in der zukünftigen Welt«.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. XVIII, 561 S. 8°. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-7887-2148-0.

Rezensent:

Jürgen Bründl

Was wird letztendlich aus unserer Welt? Dieser Frage, die für die Bestimmung der Heilshoffnung des christlichen Glaubens kriteriellen Charakter besitzt, geht die Habilitationsschrift von Günter Thomas nach. Seine Untersuchungen stellen einen systematischen Neuentwurf des eschatologischen Traktats von Rang dar. Ihr Ak­zent liegt auf dem Weltbezug, der in der theologischen Diskussion des erhofften Erlösungszustandes bislang nicht ausreichend zur Geltung kam. Th. weist dies explizit für die protestantische Theologie des 20. Jh.s nach, für die er mit K. Barth, W. Pannenberg, E. Jüngel, J. Moltmann und D. Bonhoeffer maßgebliche Positionen einer näheren Betrachtung unterzieht. Seine Erkenntnis leitet die These, dass eine realistische Heilshoffnung für die irdische Welt die ebenso realistische Erwartung der Verwandlung in eine neue Welt voraussetzt (33.97). Das Rechtfertigungsgeschehen geht für Th. über den Bereich der Gerechtsprechung des Sünders hinaus und verlangt, das Seufzen der ganzen, auch nicht-menschlichen Kreatur und damit jene Übel in das göttliche Heilshandeln mit einzubeziehen, die nicht von der Sünde des Menschen herrühren. Nur in einem solchen Erde und Himmel umgreifenden Horizont erhält die christliche Heilshoffnung eine Fassung, die dem sehr guten Urteil Gottes über seine Schöpfung gerecht wird, d. h. jede Abwertung dieser Welt vermeiden und zugleich ihre Verschattungen bzw. den sie prägenden unheilvollen Charakterzug ernst nehmen kann. Damit Erlösung also wirklich dieser Welt zugute kommen kann, bedarf es der Hoffnung auf eine neue Welt, die keinen weniger umfänglichen Horizont als die alte aufweisen darf. Th. votiert deshalb für ein Transformationsmodell, das Gottes Heilshandeln als prozessuale Verwandlung, Bereicherung und Erhebung des irdischen Lebens versteht (471 ff.) und darin die Rettung dieses Lebens in Ewigkeit an die Stelle seiner Verabschiedung setzt.
Bevor er auf systematische Konsequenzen eingeht, sichern theologiegeschichtliche und exegetische, auf die Topoi der Nacht in Gen 1 und den endzeitlichen Tierfrieden in Jes 11 konzentrierte Beobachtungen die Bedeutung des Leitmotivs von der zukünftigen Welt. Das Schlusskapitel stellt dann auch den neutestamentlichen Bezug auf die Vision vom himmlischen Jerusalem in Offb 21f. her. Zunächst macht aber die Darstellung des Traditionsbefundes bei Irenäus, Augustin, Luther und Gerhard die weitgehende Ausblendung eines eschatologischen Welthorizonts deutlich, was Th. auf die Vorherrschaft des boethianischen Konzepts zeitloser Ewigkeit zurückführt (99), das eine rettende Antwort Gottes auf mundanes Unheil in einem neuschöpferischen Prozess seiner Verwandlung undenkbar werden lässt. Diese Verdrängungsgeschichte setzt die protestantische Theologie des 20. Jh.s mehr oder weniger durchgängig fort. Werden bei Barth die nicht primär der Sünde geschuldeten Schattenseiten der Schöpfung immerhin genannt, fallen sie bei Pannenberg einer Eschatologie zum Opfer, welche die Schöpfung weniger verwandelt als beendet (279). Zumindest die frühe Position Jüngels charakterisiert ein rein aufklärerischer Zug, der das Wissen um den Sinn des Ganzen an die Stelle seiner Rettung setzt (307), während Moltmann zwar das Leid der Welt ernst nimmt, aber seine Heilung wie Jüngel nur als Erlösung von der Welt denken kann (330), so dass die Macht der Liebe Gottes nicht hinreichend zur Geltung gebracht wird (340–343). Allein die rea­listische Eschatologie Bonhoeffers entwickelt über ihren Bezug auf die Kreuzes-Christologie eine weltgeschichtliche Ewigkeitsperspektive, die jedoch immer noch merkwürdig klagefrei, weil statisch an der Vorsehung Gottes ausgerichtet argumentiert (380–382). Das gemeinsame Problem der genannten Ansätze besteht – so Th. – im Ausblenden jeder Zeitlichkeit der neuen Schöpfung, d. h. aller Möglichkeiten Gottes, mit denen er auf das Leid der alten Welt durch neue Ereignisse seiner Heilszuwendung reagieren könnte.
In diese Leerstelle zielen seine systematischen Vorschläge, wobei er neben system- und symboltheoretischen Ansätzen, die insbesondere die Methodenreflexion prägen – vgl. die Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Exegese auf den S. 101–106 oder die Darstellung von V. Turners Symbolverständnis hinsichtlich der Rede vom Himmel (490–497) – vor allem auf prozesstheologische Einsichten Bezug nimmt. Aus der Fülle der Aspekte, welche das letzte Kapitel prägen, sei einzig die gelungene Kritik des boethianischen Modells zeitloser Ewigkeit vorgestellt. Da dessen Konzentration auf die Gegenwart eine offene Geschichte der Erlösung in der Ewigkeit Gottes nicht zulässt und damit auch keine responsorische Reaktion Gottes kennt, müssen sowohl die zu rettende Welt wie ihre zukünftigen Heilungschancen verloren gehen. Damit würde aber die Leidensgeschichte der Opfer verewigt. Th. schlägt deshalb eine zeitliche Ewigkeitsvorstellung bzw. eine methodische Um­orientierung vor, welche die Frage der Zeit nicht direkt, sondern mittelbar über die neuen Ereignisse des Heilshandelns Gottes aufgreift und damit die Verwandlung der alten Welt einer prozessu­alen Vollendung in der Ewigkeit Gottes anheimstellt. Dazu ist das Verständnis der neuen Schöpfung als Welt mit einer auch eschatologisch fortdauernden Heilsgeschichte, welche Täter wie Opfer richtet, d. h. mit ihren zurückliegenden Taten bzw. Leiden aussöhnt, unabdingbar.
Erst eine in diesem Sinn reaktionsfähige Ewigkeit Gottes vermag dann auch jene grundlegende Aporie auszuhebeln, die entweder die »eschatologische Neuschöpfung der Güte der Schöpfung opfert oder umgekehrt die Schöpfungsgüter der Hoffnung auf eine Neuschöpfung von Himmel und Erde« (30).
Angesichts dieses Anspruchs kann der Entwurf von Th. als eigenständige Neujustierung christlicher Eschatologie gewürdigt werden. Insbesondere die aus der responsorischen Anlage des Gottesbegriffs herrührende Weltzugewandtheit Gottes und ihr chris­tologischer Haftpunkt sind als Stärken seiner Arbeit hervorzuheben. Die Diskussion der theologischen Problematik eines solchen Weltbezugs allerdings, welche die Prozesstheologie um die »consequent nature« Gottes geführt hat, kommt bei Th. etwas zu kurz. Vorbehaltlos positiv zu würdigen ist hingegen seine Entschränkung des Rechtfertigungshandelns Gottes auf eine durch Sünde und natürliches Unheil geprägte Wirklichkeit. In ihrem Zusam­menhang führt u. a. die Problemanzeige einer Theologie der Krankheit (15 f.) und des diakonischen Handelns der Kirche (428–434) weiter.
Th. bringt damit in der Theologie einen Akzent auf Leiblichkeit zur Geltung, der auch die jüngere Philosophiegeschichte des Westens prägt. In theoretischer Hinsicht wäre es reizvoll, die von ihm vorgeschlagene Konzentration auf den Ereignischarakter der neuen Schöpfung mit zeitgenössischen Ansätzen zu konfrontieren, welche ontologische Problemstellungen auf mathematischer Basis reformulieren, allen voran mit Alain Badiou, dessen Programmschrift zum Thema seit 2005 unter dem Titel Das Sein und das Ereignis auch auf Deutsch zugänglich ist. Die kritische Auseinandersetzung, die ein solches Gespräch erforderte, kann hier nicht ausgeführt werden. Aber allein dass eine Anschlussfähigkeit an derart theologiekritische Positionen jenseits des kirchlichen Horizonts besteht, erweist die große konzeptionelle Leistung der von Th. vorgelegten Untersuchung.