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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1154-1155

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus

Titel/Untertitel:

Glauben – Fragen – Denken. Bd. III: Selbstbeziehung und Gottesfrage.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2009. XXVI, 785 S. gr.8°. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-402-00422-7.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Mit diesem Buch liegt nun nach erstaunlich kurzer Zeit der dritte und letzte Band eines religionsphilosophischen Großwerkes vor, das Klaus Müller, Professor für philosophische Grundfragen der (katholischen) Theologie an der Universität Münster, vor allem als Lehrbuch für Studierende in den neuen BA/MA-Studiengängen konzipiert hat. Zur Erläuterung der generellen Zielsetzung des Lehrbuchs, das angesichts des immensen Umfangs, aber auch in qualitativer Hinsicht sicherlich mehr ist als nur ein Propädeutikum, wie M. in seinem Vorwort S. XXVI bescheiden angibt, verweise ich auf meine Besprechung des 1. Bandes in: ThLZ 133 (2008), 295–297.
Entsprechend der Unterscheidung zwischen konsekutiven Grundlagen- und Aufbau- oder Vertiefungsmodulen in den neuen Studiengängen konzentriert sich der nun vorliegende dritte Band – wie auch schon der zweite, den ich in ThLZ 134 (2009), 587–588, rezensiert habe – auf eine anspruchsvolle Vertiefung von bereits im Überblick entfalteter Themenkomplexe zur Anthropologie, Religionsphilosophie und philosophischen Gotteslehre aus Band I. Die Querverbindungen zu den einzelnen Kapiteln in den drei Bänden werden sowohl im Text als auch anhand einer Überblickstabelle am Schluss (785) deutlich markiert. Mit den drei genannten Themenkomplexen ist zugleich eine klare Grobgliederung des Bandes vorgegeben, wobei diese großen Kapitel in einer umständlichen und verwirrend kleinteiligen Feingliederung so zerstückelt werden, dass der rote Faden auch von Fortgeschrittenen im Masterprogramm, denen dieser 3. Band in erster Linie zugedacht ist, nur mit einiger Mühe im Blick behalten werden kann.
Dabei erweist sich die spannungsgeladene, leitmotivische Zuordnung von Anthropologie und Gotteslehre in der Aufnahme spezifisch neuzeitlicher Problemstände zwischen Subjektivitätstheorien und religiösen Transzendenzbezügen, wie sie insbesondere im Umfeld des deutschen Idealismus entwickelt (160.225.760) und zuletzt noch markant von Dieter Henrich aufgenommen worden sind (162), auch im Blick auf die umfassend einbezogene klassische Religionskritik und ihre postmodernen Ablösungen (139) als durchaus sinnvoll und fruchtbar. Jedoch ergibt sich aus diesen Diskussionslagen nicht einfach nur die schlichte Alternative eines Redens oder Schweigens Gottes (497.501), sondern das dann auch theologisch zu bewältigende Problem ist vielmehr die Uneindeutigkeit der Gegenwart Gottes angesichts zunehmender Erfahrungen von Gottesferne.
Die ausgiebige, zum Teil auch durch Heranziehung entlegener Positionen überladene Diskussion neuralgischer Probleme der Subjektivität hätte noch an theologischer Relevanz und Stringenz gewinnen können, wenn z. B. die Arbeiten des Kopenhagener Zentrums für Subjektivitätsforschung (Arne Grøn; Dan Zahavi) und auch die eine oder andere Studie protestantischer Provenienz im Umfeld der Kierkegaard-Forschung (Hermann Deuser; Heiko Schulz) oder der Schleiermacher- und Idealismusarbeiten (Michael Moxter; Jörg Dierken) von M. berücksichtigt worden wären. Angesichts des gewählten Schwerpunktes ist es kaum nachvollziehbar, dass Kierkegaard nur knapp, weniger in systematischer als in historischer Perspektive rezipiert wird (469). Vor diesem Hintergrund scheint es mir auch ein problematisches Missverständnis zu sein, eine Linie von Kierkegaard zu Drewermann im Blick auf die Betonung von Individualität zu ziehen (475 f.), denn Kierkegaards Existentialien des Einzelnen sind noch einmal zu unterscheiden von tiefenpsychologisch hergeleiteten Bestimmtheiten eines Individuums. Ebenso wenig zutreffend dürfte es sein, Mystik pauschal als Paradigma von Subjektivität zu interpretieren (97 ff.), zumal es hier nicht um Selbstfindung, sondern um Selbstaufgabe des Subjekts geht.
Stattdessen schließt sich M., und dies auch aus guten Gründen, immer wieder programmatisch der »anthropologischen Wende« in der Theologie Karl Rahners an (39.94 f.482), um so auch im Unterschied zum »amtlichen« Katholizismus das neuzeitliche Problembewusstsein und Reflexionsniveau hochzuhalten (532 ff.). Damit wird von M. auch entschieden der rationale Charakter des christlichen Glaubens einschließlich seiner aufklärerischen Implikationen, die M. schon in alttestamentlich-weisheitlichen wie auch in neutestamentlichen Traditionen angelegt sieht (331 ff.), mit Recht unterstrichen, ohne dies zum Alleinstellungsmerkmal des Chris­tentums zu erheben. Denn es gibt in jüdischen wie islamischen Traditionen durchaus Vergleichbares (516).
Aber unabhängig von alternativen geistesgeschichtlichen An­knüpfungsmöglichkeiten ist die von M. im Anschluss an die Spätphilosophie Schellings und mit Sympathie für die prozessphilosophische Metaphysik Whiteheads (727) empfohlene systematische Zusammenführung von Anthropologie und Theologie, Mensch, Welt und Gott im Rahmen eines panentheistischen Wirklichkeitsverständnisses (264.744.763) bedenkenswert, ja letztlich überzeugend. Denn so können die klassischen Aporien etwa der theologischen Freiheitsthematik im theistischen Gegenüber von Mensch und Gott unbeschadet ihrer kategorialen Differenz aufgelöst werden. Die skeptischen Konsequenzen hinsichtlich personaler Gottesvorstellungen, die dann nur im Sinne eines Schemas (Kant; Schleiermacher) möglich sind, finden sich bei M. jedoch nur unzureichend bedacht (359.520). Denn Gott kann für uns nicht zugleich »Person« und »alles« sein, wenn zum Personsein zwingend die Begrenzung und der unterscheidende Bezug auf andere(s) gehört, wie es J. G. Fichte im Zuge des Atheismusstreits nachhaltig deutlich gemacht hat. Ebenso wenig sinnvoll erscheint vor diesem Hintergrund eine von M. vorgeschlagene Trennung von »Subjekt« und »Person« (149).
Solchen grundlegenden Vorgaben konsequent und in Ruhe, auch hinsichtlich der Konsequenzen für das von M. etwas vernachlässigte Theodizeeproblem nachzugehen, fällt angesichts der oft rhapsodisch wirkenden Zusammenstellung von Positionen und Gedankengängen schwer, die zudem noch oft durch biographische Hinweise oder philosophiegeschichtliche Exkurse unterbrochen werden. So erhält das Lehrbuch eher den Charakter eines immer nur partiell zu nutzenden Nachschlagewerks, was natürlich angesichts heutiger Lesegewohnheiten auch Vorteile hat.