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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1152-1154

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Klein, Andreas

Titel/Untertitel:

Willensfreiheit auf dem Prüfstand. Ein anthropologischer Grundbegriff in Philosophie, Neurobiologie und Theologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. XI, 562 S. 8°. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-7887-2357-6.

Rezensent:

Karin Scheiber

Im vergangenen Jahr (2009) habilitierte sich Andreas Klein mit dieser systematisch-theologischen Schrift an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. In ihr führt er die Auseinandersetzung mit (geistes-)philosophischen Fragestellungen fort, die ihn schon in seiner 2003 publizierten Dissertation zum radikalen Konstruktivismus beschäftigten. Die nun vorgelegte Arbeit hat die Willensfreiheit zum Thema. Auf über 300 Seiten werden das Freiheitsverständnis David Humes und Immanuel Kants sowie die wichtigsten Positionen der aktuellen philosophischen Debatten um die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus vorgestellt. Der zweite, nicht halb so umfangreiche Teil, befasst sich mit dem Freiheitsstreit zwischen Luther und Erasmus. Dieses Ungleichgewicht im Umfang spiegelt die inhaltliche Gewichtung wider. Das gilt ebenso für das noch weit ausgeprägtere Ungleichgewicht zwischen rezipierender Darstellung und eigener Problembearbeitung.
Das erklärte Ziel K.s, die traditionsreiche theologische Diskussion um menschliche Willensfreiheit und Gottes Allwirksamkeit mit den aktuellen philosophischen Debatten um die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus zusammenzubringen (353), ist zweifellos lohnend. Vielversprechend klingt auch die Aussage, dass dies keine Einbahnstraße zu sein braucht, dass also nicht nur die Theologie von den in der Philosophie erarbeiteten begrifflichen und sachlichen Klärungen in der Freiheitsfrage profitiert, sondern auch umgekehrt »die theologische Beschäftigung … fruchtbar auf philosophische Positionierungen zurückwirken und insgesamt den Diskurs bereichern« kann (354). Dass eine solche Wirkung in die Gegenrichtung von dem hier zu besprechenden Buch ausgeht, darf man indes bezweifeln. Dazu müsste der theologische Beitrag mehr bieten als die fraglose Übernahme philosophischer Einsichten, wie es auf der letzten Seite geschieht: »Soviel läßt sich aber jedenfalls abschließend festhalten: Wenn es bereits zutreffend ist, daß auch unter der Perspektive der Möglichkeit der Wahrheit des Determinismus von Freiheit und Verantwortlichkeit sinnvollerweise gesprochen werden kann, dann kann dies auch unter der Voraussetzung der Allwirksamkeit Gottes nicht überzeugend bestritten werden.« (499) K. schließt sich dem philosophischen Kompatibilismus an, der von der Vereinbarkeit von Determinismus und Willensfreiheit ausgeht. Willensfreiheit versteht K. dabei als » bestimmte Selbstbestimmung« (290 ff.). Die von ihm vertretene Begründung für die Vereinbarkeit von Determinismus und bestimmter Selbstbestimmung ist jedoch unscharf und vieldeutig (292), und seine Bezugnahme auf Habermas für die Konturierung der bestimmten Selbstbestimmung zweischneidig, da Habermas gerade keinen einfachen Kompatibilismus vertritt. Vor allem aber lässt sich aus dem philosophischen Kompatibilismus nicht nahtlos ein theologischer Kompatibilismus herleiten. Denn für den philosophischen Kompatibilismus ist die Unterscheidung zwischen personal und apersonal hervorgerufenen Notwendigkeiten zentral. Nur im ersten Fall kann von Zwang die Rede sein, und nur er gefährdet die Willensfreiheit. Damit ist das Problem göttlicher Determination aber gerade nicht vom Tisch, sondern es bedarf die traditionelle Figur der Personalität Gottes sorgsamer Erwägung.
Ebenso fragwürdig ist eine zweite theologische Konklusion K.s. Er verweist auf die Differenz von Sein und Sollen: »Wenn also der Determinismus zutreffen sollte, dann stellen sich im Weltverlauf dennoch Ereignisse ein, die unter einer anderen Perspektive doch gerade nicht sein sollten, auch wenn sie mit Notwendigkeit so sein bzw. geschehen mußten.« (499; Hervorhebung original) Man wüss­-te gern mehr darüber, wie K. den Determinismus mit dem Sein und die Freiheit und Verantwortlichkeit mit dem Sollen verbindet und was für eine »andere Perspektive« hier gemeint ist. Theologisch bringt er die Unterscheidung mit dem Willen und der Allwirksamkeit Gottes in Verbindung, parallelisiert den Willen Gottes mit der Sollens-Perspektive (498) und die »Allwirksamkeit oder gar Alleinwirksamkeit Gottes in der Welt« mit dem Determinismus (499). Übersetzt in die theologische Fragestellung würde aus dem obigen Zitat dann die folgende Aussage: »Wenn also die [Annahme der] Allwirksamkeit oder Alleinwirksamkeit Gottes zutreffen sollte, dann stellen sich im Weltverlauf dennoch Ereignisse ein, die von Gottes Willen her gerade nicht sein sollten, auch wenn sie mit Notwendigkeit so sein, bzw. geschehen mußten.« Mit anderen Worten: Gott wirkt gegen seinen eigenen Willen. Von den früheren Ausführungen her ist zu ergänzen: Er tut es in freier Selbstbestimmung. Und der Schluss des Buches ergänzt: Unsere präskriptiven und normativen Einstellungen werden dadurch nicht tangiert, ebenso wenig verbirgt sich dahinter eine antinaturalistische Stoßrichtung. Wer will, mag darin die Lösung der großen philosophischen und theologischen Menschheitsfragen sehen. Ich muss für meinen Teil gestehen, dass ich darin nicht einmal eine akzeptable Problemformulierung erkennen kann.
Der Verlag wäre gut beraten gewesen, dem Werk ein gründliches Lektorat an­gedeihen zu lassen. Eine ausgeprägte Vorliebe für das Wort »vehement«, eine mangelnde Zurückhaltung gegenüber Füllwörtern und zweifelhaften Superlativen (»brandaktuellst«) sowie fehlerhafte Wendungen (»sich gegenüber etwas verwehren«) irritieren bei der Lektüre.