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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1141-1143

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Sommer, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Wilhelm Freiherr von Pechmann. Ein konservativer Lutheraner in der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutschland.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 255 S. m. 7 Abb. gr.8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-525-55005-2.

Rezensent:

Karl-Heinz Fix

Der Münchener Bankier Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859–1948) war einer der bedeutendsten Laien des deutschen Protestantismus vor 1945. Er war u. a. von 1919 bis 1922 Präsident der baye­rischen Landessynode und von 1929 bis 1933 Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses. Zudem war er Präsident der Kirchentage von Stuttgart (1921), Bethel (1924) und Königsberg (1927). Seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft kritisierte der deutschnationale v. Pechmann die staatliche Kirchenpolitik und den als zu anpassungsbereit erachteten Kurs des bayerischen Landesbischofs Meiser und des deutschen Luthertums. Mutig, aber erfolglos trat von Pechmann für aus rassischen Gründen verfolgte Protestanten ein.
S. will anhand des kirchenpolitischen Wirkens von Pechmanns zeigen, dass der Laie in einer Weise Verantwortung wahrnahm, die der von Kirchenleitern, Theologieprofessoren etc. oft überlegen war (13). Das Buch ist in 15 Kapitel gegliedert. Bis Kapitel 10 – dem Beginn der NS-Herrschaft – geht S. chronologisch vor, in den Kapiteln 11–13 behandelt er von Pechmanns Haltung zum Nationalsozialismus und dessen Kritik an der kirchlichen Haltung zum Re­-gime. Kapitel 14 ist von Pechmanns Konversion zum Katholizismus im April 1946 gewidmet. Mit einer Erinnerung an den Kirchenpolitiker der Weimarer Republik und an den »Wächter und Mahner seiner Kirche« im Nationalsozialismus endet S. Quellenbasis ist die von v. Pechmann hinterlassene Korrespondenz mit Kirchenmännern sowie zahlreiche Manuskripte und vor allem F. W. Kantzenbach, »Widerstand und Solidarität der Christen in Deutschland 1933–1945« (1971/2000).
Was bietet das Buch? Eine möglichst ausführliche und vollständige Präsentation der Quellen aus der Feder des Juristen von Pechmann; neue Erkenntnisse über dessen Jugend, religiöse Prägung und Bismarckverehrung; Informationen über von Pechmanns ökumenisches Wirken und seine Kritik an einem konfessionalistischen, die Einheit des Protestantismus gefährdenden Luthertum (Kapitel 8; 13); einen Einblick in das bemerkenswerte theologische Denken eines Laien, auch wenn S. von Pechmanns Analysen kritiklos übernimmt; das Bild einer Gestalt der jüngeren Kirchengeschichte, die ohne Ambivalenzen und Widersprüche in sich Mut, Unbestechlichkeit im Urteil, Überzeugungstreue, Weisheit, vorausschauendes – zuweilen gar prophetisches – und konsequentes Handeln vereinigte. Steht dahinter die geschichtspolitische Ab­sicht S.s, der bayerischen Landeskirche die gefallene Identifikationsfigur Hans Meiser zu ersetzen?
Was bietet die Arbeit dem Leser nicht? Kritische Distanz zum Protagonisten, Quellenkritik und die Erschließung neuer Quellenbestände waren nicht das Ziel S.s. Die von Pechmann-Quellen sind S. heilig und gerne benutzt er rückblickende Aussagen in späteren Dokumenten von Pechmanns dazu, dessen weise Voraussicht in Konfliktsituationen zu betonen. Dementsprechend vermeidet es S., von Pechmanns Aussagen zu kontextualisieren. Vor allem in den Kapiteln zur Weimarer Republik referiert er von Pechmanns Kritik an Revolution, Demokratie, Reichsverfassung und Parteiwesen sowie die Monarchieverklärung weithin unkommentiert. Kein Wort liest man darüber, dass ein derart prominenter und einflussreicher Protestant mit seinen Attacken auf die junge Demokratie mit zu deren Delegitimation beitrug.
Zu den beiden spektakulärsten kirchenpolitischen Handlungen von Pechmanns, dem Austritt aus der Reichskirche Ostern 1934 als Protest gegen die DC-Kirchenpolitik (142 ff.) und die Konversion zum Katholizismus (Kapitel 14), bietet S. kaum Neues. Gerade im letzteren Fall hätte man sich eine intensivere Diskussion der an verschiedenen Stellen referierten theologischen Aussagen von Pechmanns gewünscht. Sie hätte Aufschluss über Berührungspunkte mit dem Katholizismus geben können. Stattdessen folgt S. von Pechmanns Aussagen zum Ideal der Una Sancta und zur katholischen Familientradition als Konversionsmotiv. Leider fragt er nicht, wie der reflektierte Lutheraner von Pechmann etwa zur katholischen Liturgie oder zum Sakramentsverständnis stand. Unvermittelt auf die Darstellung der Konversion folgt eine knappe Darstellung von von Pechmanns Tod und Beisetzung.
Bemerkenswert ist S.s Verzicht auf die Einbindung von Pechmanns in die Geschichte des bayerischen bzw. deutschen Protestantismus. Indem er sich auf von Pechmanns Texte konzentriert und von diesen den Gang der Darstellung bestimmen lässt, isoliert er von Pechmann von den Ereignissen und Personen. Im Text genannte Personen werden dem Leser nur selten vorgestellt und nur absolute Kenner werden mit der unkommentierten Godesberger Erklärung von 1939 etwas anzufangen wissen.
Methodische Fragen und eine Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur umgeht S. Er unterlässt es auch, den Begriff »konservativ« zu differenzieren. Paul Althaus, Hans Meiser und von Pechmanns Nachfolger als Präsident des DEKT, Graf Vitzthum von Eckstädt, waren ebenfalls konservativ und unterschieden sich doch deutlich von von Pechmann! S.s Vorwurf, Historiker nähmen das deutschnationale Widerstandspotential gegen Hitler nicht wahr (129), provoziert die Rückfrage, ob nicht er ignoriert, dass Widerspruch gegen die Kirchen- und Rassenpolitik des Regimes mit einem partiellen Einverständnis vor allem dessen Außenpolitik einhergehen konnte. Im Schlusskapitel, wo S. von Pechmann zu einem hellsichtigen Gegner des Nationalsozialismus von Anfang an erklärt, bleibt dies aber gerade offen. – Das Literaturverzeichnis ist unvollständig; die aufgeführten Titel sind vielfach verkürzt und ohne festes System aufgenommen. Statt eines detaillierten Archivalienverzeichnisses bietet S. nur eine Übersicht über die von ihm eingesehenen Archivbestände.
Die Arbeit ist keine historisch-kritische Studie, die wesentliche neue Erkenntnisse zu von Pechmann als Kirchenpolitiker in Bayern und im Reich liefert. Sie ist eher ein Lesebuch über einen bemerkenswerten konservativen lutherischen Laien und bestimmt von der Verehrung S.s für seinen Helden.