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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1136-1138

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Jeggle-Merz, Birgit, Kaupp, Angela, u. Ursula Nothelle-Wildfeuer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frauen bewegen Theologie. Die Präsenz von Frauen in der theologischen Wissenschaft am Beispiel der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Hrsg. im Namen des Ausschusses für Frauenförderung und Feministische Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 403 S. 8° = Historisch-theologische Genderforschung, 3. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02522-0.

Rezensent:

Johannes Schwanke

Die von Birgit Jeggle-Merz, Angela Kaupp und Ursula Nothelle-Wildfeuer in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig im Namen des Ausschusses für Frauenförderung und Feministische Theologie herausgegebene Dokumentation ist die erste ihrer Art. Eindrück­lich würdigt sie die Bedeutung katholischer Frauen in der Theologie, vornehmlich an der Universität Freiburg, und sie tut dies in vielfältiger Weise mit ganz unterschiedlichen Stimmen.
Es war die Gelegenheit des 550-jährigen Bestehens der Universität Freiburg, die sich dazu anbot, einmal die Entwicklung des Theologiestudiums von Frauen an hiesiger Hochschule zu untersuchen. Nothelle-Wildfeuer, die erste Professorin der dortigen katholischen Theologischen Fakultät, Jeggle-Merz, einst stellvertretende Frauenbeauftragte dort und nun Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, und Kaupp, Akademische Rätin am Arbeitsbereich Pädagogik und Katechetik in Freiburg, vermitteln in dieser Dokumentation gemeinsam mit anderen Mitstreiterinnen eines feministischen Aufbruchs einen guten Überblick über die Entwicklung der vergangenen 60 Jahre an der Hochschule, indem sie nicht nur das bislang Erreichte präsentieren, sondern ebenso die Wahrnehmung des Lesers verändern.
Diese Pionierarbeit und gleichzeitige Selbstanalyse weiblicher Präsenz an theologischen Fakultäten widmet sich der ganzen Breite des Themas: Verschiedenste Autorinnen sprechen über ungenutzte feministische Chancen und brachliegende Talente, so insbesondere Birgit Jeggle-Merz, sie erzählen von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. der Herausforderung, die eigene Karriere als Frage der Gerechtigkeit gegenüber dem Partner zu begreifen, sie werfen einen Blick in die anglo-amerikanische Debatte hinsichtlich der Möglichkeiten einer Gottesrede in ›nach‹-feministischer Theologie, machen einen Vorschlag, wie die Botschaft von der Rechtfertigung aus der Perspektive von Theologinnen neu buchstabiert werden könnte, diskutieren die Rolle der Frau in der Kirche, stellen sich der Botschaft stigmatisierter Frauen im Katholizismus des 19. Jh.s und widmen sich auch den ethischen Aspekten ästhetischer Chirurgie.
Das Hauptgewicht des Werkes liegt jedoch auf der konkreten Situation in Freiburg: Eingesetzt wird mit historischen Rückbli­cken, die die Geschichte des Frauenstudiums an der katholischen Theologischen Fakultät bzw. angegliederten Instituten anhand von Akten und Protokollbüchern dokumentieren. Exemplarisch werden die zwei Jahre Edith Steins in Freiburg entfaltet, die zeigen, wie sehr eine unstrittig hochbegabte Frau damals zu kämpfen hatte und letztlich akademisch enttäuscht wurde, weil man – konkret: ihr eigener Lehrer Husserl – ihr die Habilitation verwehrte. Auch die Situation am Institut für Caritaswissenschaft, ein Spezifikum Freiburgs, kommt in den Blick, speziell die einflussreichen Dorfcaritaskurse der 20er und 30er Jahre, die gerade für die Landbevölkerung viel Gutes bewirkten.
Eine besondere, nämlich biographische Tiefenschärfe erhält die Dokumentation durch die Beteiligung von Frauen verschiedenster Generationen. Mit den Beschreibungen ihrer persönlichen Lebenssituationen erhält der Band eine lebendige, lebenspraktische Di­mension. Man gewinnt Einblick in das Leben der ersten Assistentin an der Theologischen Fakultät, Veronika Kubina, der Tochter Heinrich Schliers. Erinnerungen der ersten Promovendin in biblischer Theologie in Deutschland, Annemarie Ohler, und der ersten Promovendin der Theologischen Fakultät Freiburg, Johanna Kopp, schließen sich an und ergänzen sich. Hier geht es nicht lediglich um eine Aneinanderreihung von biographischen Anekdoten, sondern, wie Angela Kaupp herausstellt, um »[b]iografische Erinnerungen als ein Zugangsweg zur Geschichte« (259). Und damit auch als Zugang zur Gegenwart, die eine Folge der Geschichte ist und die wiederum die Zukunft gestaltet.
Es ist diese Gegenwart, die auf erfrischend ehrliche Art beschrieben wird. Ehrlich ist dieser vorliegende Berichtsband, weil er nicht verschweigt, dass für alle Verantwortung und für jede Karriere auch ein Preis zu bezahlen ist. Es wird eingeräumt: »Faktisch bleibt mancher Artikel ungeschrieben, wird manches Forschungsprojekt nicht realisiert, aber bleibt auch manche Einladung unausgesprochen, wird manches Kotelett nicht im Kreis von Freunden gegrillt, denn entweder ist man mit den Kräften am Ende oder meint, die Zeit sinnvoller für die Wissenschaft nutzen zu sollen.« (371) Und besonders schön ist, dass im Rückblick auf den ›gelungenen‹ biographischen Weg auch der ehrliche Dank seinen Platz findet: »Im Rückblick sieht es so aus, als sei alles … nach einem exakten Plan abgelaufen und gelungen. Wir wissen aber, dass vieles von glück­lichen Zufällen und rücksichtsvollen und engagierten Menschen abhängt.« (370)
Bei aller freundlichen Zustimmung möchte man an wenigen Stellen nachfragen und mit den Herausgeberinnen und Autorinnen ins Gespräch kommen. Beispielsweise beginnt das Buch mit einer Darlegung des Konzepts der historisch-theologischen Genderforschung. Der erste Satz dieser Konzeptdarlegung – und damit auch der erste Satz des vorliegenden Buches – lautet: »Historisch-theologische Genderforschung beruht auf der Voraussetzung, dass Geschlechtsidentität nicht angeboren ist, sondern durch sozio-kulturelle und diskursive Zuschreibung erworben werden kann.« (9) – Aber wieso »kann«? Da beginnt schon das Fragen. Was anderes als Erwerbung ist unter der postulierten Voraussetzung der Ablehnung einer angeborenen Geschlechtsidentität denn noch möglich? Müsste es da statt »erworben werden kann« nicht eher »erworben wird« heißen? Und weiter stellt sich hier die Frage, ob in einer solchen These die Körperlichkeit der Geschlechtsidentität genügend Beachtung findet. Mann-sein und Frau-sein lassen sich doch gerade nicht unabhängig vom Körper gleichsam erzieherisch ›produzieren‹, sondern sind individuelle Persönlichkeitsregionen, die durch Erziehung von außen weder geschaffen noch zerstört werden können. Gerade darin liegt die Würde der Geschlechtsidentität, dass sie eine Persönlichkeitsregion ist, die nicht erzieherischen Manipulationen offensteht, auch wenn diese von Eltern und Mitmenschen unter Umständen versucht werden mögen. Die er­wähnten sozio-kulturellen und diskursiven Zuschreibungen gibt es sicherlich, jedoch sind sie Verfügungsbegriffe, die unter Um­ständen die Freiheit und Würde des Menschen unterlaufen und hintenanstellen. Kurz: Man fragt sich, ob in einer solchen These die Möglichkeiten der Erziehung nicht doch überschätzt werden und ob hier eine Modularisierung der biologischen Wirklichkeit stattfindet. Weiterführend überlegt man, ob diese Gender-Perspektive angesichts der unantastbaren Individualität der Person überhaupt noch zeitgemäß ist, denn wenn gegenwärtig etwas deutlich ist, dann doch dies: Gerade erzieherisch ist nicht alles gleichsam mechanisch machbar.
Die Dokumentation ist ein wichtiges Buch und unstrittig verdienstvoll. Man lässt sich gern hineinnehmen in seine Themen und Kapitel, ärgert sich gemeinsam mit den Autorinnen über das Ausbremsen von Frauen wie Edith Stein, die unzweifelhaft Theologie und Kirche in noch ganz anderer Weise hätten bereichern können, und freut sich über die Erfolge, indem die weibliche Perspektive in Theologie und Kirche an Bedeutung gewinnt.