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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1124-1126

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schnurr, Eva-Maria

Titel/Untertitel:

Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590).

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 2009. 625 S. m. Tab. gr.8° = Rheinisches Archiv, 154. Geb. EUR 69,90. ISBN 978-3-412-20395-5.

Rezensent:

Harm Klueting

Der Kölnische Krieg der Jahre 1583 bis 1585 war Folge des Konfessionswechsels des Gebhard Truchseß von Waldburg, der 1577 den erzbischöflichen Stuhl von Köln bestiegen hatte, aber 1582 ins evangelische Lager überwechselte und am 2. Februar 1583 die Ehe mit Agnes von Mansfeld schloss. Unter dem 18. Dezember 1582 machte Gebhard seinen Konfessionswechsel und seine Absicht öffentlich bekannt, als Erzbischof und Kurfürst im Amt zu bleiben, bevor er am 16. Januar 1583 die Gleichstellung der Bekenntnisse im Kölner Kurstaat dekretierte und seine bevorstehende Eheschließung mitteilte.
Nach dem Wortlaut des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und nach der Auffassung der Katholiken verstieß das Verbleiben im Amt gegen das Reservatum Ecclesiasticum des Religionsfriedens, nach dem ein geistlicher Reichsfürst, der zur Augsburgischen Konfession übertrat, seine geistliche Pfründe und seine landesherrliche Stellung verlor. Die Evangelischen hatten das Reservatum Ecclesias­ticum und die damit verbundene Ausnahme der geistlichen Reichsfürsten vom ius reformandi nicht anerkannt und sahen in Gebhards Festhalten an seinem Amt ein legitimes Vorgehen im Rahmen der Freistellungsbewegung. Gebhard scheiterte, von den reformierten Fürsten und Grafen kaum unterstützt, an der Mehrheit des Domkapitels, den weltlichen Landständen des Erzstifts Köln, dem Rat der Reichstadt Köln und der Kölner Universität, während er bei Adel und Städten im kölnischen Westfalen Unterstützung fand. Nachdem er sich der am 1. April 1583 ausgesprochenen Absetzung durch Gregor XIII. nicht fügte, kam es zum Krieg, der andauerte, bis er von bayerischen Truppen vertrieben wurde. Seine Niederlage befestigte den Katholizismus in der damals den ganzen Niederrhein und den Süden Westfalens umfassenden Erzdiözese Köln und stabilisierte die Herrschaft Spaniens in den westlich angrenzenden Spanischen Niederlanden – 1581 war das Jahr der Acte van Afzwering, mit der die Union von Utrecht ihre Trennung vom spanischen König erklärte, während Alexander Farnese 1585 Antwerpen unterwarf und damit die Rückkehr von Flandern und Brabant unter Spanien besiegelte. Ein anderer Ausgang des Krieges hätte den Nordwesten des Reiches protestantisiert und die Landkarte der Konfessionen und auch die politischen Machtverhältnisse ganz anders gestaltet.
Eva-Maria Schnurr repetiert in ihrer bei Johannes Kunisch in Köln entstandenen – ausgezeichneten – Dissertation nur kurz Vorgeschichte und Verlauf des Kölnischen Krieges. Sie interessiert sich für den Kölnischen Krieg als Medienereignis und als Zäsur der Mediengeschichte. Eine wichtige Gattung der – wie man seit der Verbreitung der elektronischen Medien sagt – Printmedien verdankt ihre Entstehung dem Kölnischen Krieg. Das waren die Messrelationen, die von dem Kölner Michael von Aitzing zur Berichterstattung über den Krieg entwickelt wurden, halbjährlich zu den Frankfurter Messen erschienen und die Ereignisse der letzten Monate zusammenfassten. Die Messrelationen waren das erste periodisch erscheinende Medium und somit Vorform der modernen Zeitung. Während die Flugschriften der Reformationszeit oder des Bauernkriegs schon lange erforscht werden, füllt Sch.s Analyse von Publizistik und Öffentlichkeit im Konflikt um Gebhard Truchseß ein Desiderat.
Sch. untersucht 182 deutschsprachige Druckschriften aus den Jahren 1582 bis 1590, dem Jahr, in dem mit Rheinberg der letzte von den Anhängern Gebhards gehaltene Ort aufgegeben wurde. Dabei geht es ihr zunächst um bibliographische Erfassung des in jenen Jahren zum Kölnischen Krieg und seinem Umfeld erschienenen Tagesschrifttums, was bei mehrblättrigen Drucken heute dank »VD 16« und der online verfügbaren Bibliothekskataloge relativ einfach ist. Ermittelt hat sie insgesamt 256 Drucke, von denen sie 56 Einblattdrucke nur bibliographisch verzeichnet, ohne sie in die Un­tersuchung einzubeziehen. Genauso verfährt sie mit fremdsprachigen – lateinischen, französischen, niederländischen, eng­lischen – Drucken. Hervorzuheben sind zwei von ihr neu aufgefundene Druckschriften: eine katholische Polemik aus der Stadtbibliothek Wuppertal und ein Bericht über den Landtag des kölnischen Herzogtums Westfalen Ende Februar 1583 in Arnsberg aus der Marienbibliothek in Halle. Außerdem geht es ihr um die Medienformen, die Funktion der publizistischen Kommunikation im Kölnischen Krieg und die Bedeutung der publizistischen Öffentlichkeit im späten 16. Jh. überhaupt.
Sch. unterscheidet Flugschriften – das für das 16. Jh. charakteris­tische Medium –, zu denen auch Staatsschriften und Amtsdrucke, darunter Gebhards Rechtfertigungsschrift von 1583, »Außschreiben / Vnd / Gründlicher warhaffter Bericht«, zählen, aber auch Streitschriften, gedruckte Predigten, gedruckte Lieder usw., Neue Zeitungen, Messrelationen und Einblattdrucke: »Während die Flugschrift sich in der Regel innerhalb einer länger dauernden Auseinandersetzung mit einem Thema befasste (wie ›der Freistellung‹, ›der Priesterehe‹, ›dem Religionswechsel‹ etc.), erschienen Neue Zeitungen nach einem bestimmten Ereignis (z. B. einer Schlacht)« (99). Sie geht – mit fast zu viel statistischem Aufwand, mit Kreis- und Stabdiagrammen usw. – der Frage nach den Teilnehmern der publizistischen Öffentlichkeit des Krieges nach, gelangt zu dem Ergebnis der »publizistischen Überlegenheit der protestantischen Seite« (164), die sich nur bei den Messrelationen zugunsten der Katholiken verschiebt, weil diese alle von dem Katholiken Aitzing stammten, und fragt auch nach den Themen: Von protestantischen Autoren »wurde der Religionsfrieden nur insofern angesprochen, als der Geistliche Vorbehalt für ungültig erklärt wurde. Insgesamt nahm dieser Aspekt in der Auseinandersetzung um Gebhards Religionswechsel aber nur wenig Raum ein – wahrscheinlich, weil den überwiegend calvinistischen Autoren ihre reichsrechtlich problematische Stellung und der klare Verstoß Gebhards gegen die Augsburger Bestimmungen bewusst war« (292). Katholische Autoren sahen »die Tradition Kölns als Stadt der Märtyrer und Heiligen« (260) bedroht.
Von besonderem Interesse ist der Abschnitt über den Kölner Bürger Hermann Weinsberg, der – studierter Jurist und wohlhabender Rentier – schon seit 1560 in seinem »Gedenkbüchlein« fast täglich Neuigkeiten notierte und dabei die Quelle seiner Informationen vermerkte. Deshalb sind Weinsbergs Aufzeichnungen »das einzige Zeugnis aus dem Kölner Krieg, das Rückschlüsse darauf zulässt, wie ein Zeitgenosse verschiedene Medien nutzte und bewertete, wie er mit Informationen umging und vor allem wie er darüber dachte« (466). »Seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber Informationen begegnet Weinsberg mit einer klaren Hierarchie seiner Informationsquellen. An erster Stelle standen für ihn Augenzeugenberichte. Das große Vertrauen, das Weinsberg den Kupferstichen Hogenbergs entgegenbrachte, erklärt sich damit, dass er diesen den Quellenwert von Augenzeugenberichten beimaß: Weinsberg rezipierte die Stiche quasi als Abbild der Wirklichkeit ... An zweiter Stelle der Informationshierachie kamen Gerüchte ... Gedruckte Informationen hatten für Weinsberg den Wert eines unbestätigten Gerüchts« (472 f.).