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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1121-1123

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dalhede, Christina

Titel/Untertitel:

Handelsfamiljer på Stormaktstiden. Handelsfamiljer på Stormaktstidens Europamarknad, Meddelanden från Ekonomiska Historiska Institutionen – Handelshögskolan vid Göteborgs Universitet Bd. 81–83.96.97.

Verlag:

Sävedalen: Warne Förlag 2001–2006. Bd. 1, 2 u. 3: Resor och Resande i internationella förbindelser och kulturella intressen. Augsburg, Antwerpen, Lübeck, Göteborg och Arboga. 526 S. m. Abb. u. Ktn. [Bd. 3: CD: Bilagor, Göteborgs Tolagsjournaler, Bildarkiv]. SKR 60,00. ISBN 978-91-4916083-7 (91-86425-04-8 [Bd. 1], 91-86425-15-3 [Bd. 2], 91-86425-19-6 [Bd. 3]). Bd. 4: Viner Kvinnor Kapital. 1600-talshandel med potential? Fjärrhandelsfamiljerna Jeronimus Möller i Lübeck och Sibrant Valck i Göteborg. 359 S. m. Abb. u. Ktn. SKR 30,00. ISBN 91-86425-86-2. Bd. 5 [CD]: Varor & Familjer, Lübeck & Göteborg. ISBN 91-86425-89-7.

Rezensent:

Jobst Reller

»Handelsfamilien auf dem europäischen Markt während der Großmachtzeit« überschreibt Christina Dalhede, Dozentin für Wirtschaftsgeschichte an der einer wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät vergleichbaren Handelshochschule an der Universität Göteborg/Schweden, die Publikationen, die aus ihrem gleichnamigen Forschungsprojekt entstanden sind. An der Universität Augsburg promoviert, hat D. bereits 1998 auch auf Deutsch Teilergebnisse ihrer Forschungen vorgelegt: »Augsburg und Schweden in der frühen Neuzeit. Europäische Beziehungen und soziale Verflechtungen. Studien zu Konfession, Handel und Bergbau«, zwei Teilbände erschienen in St. Katharinen. Nicolaus Pemer, Herr der Hütte in Arboga, ist 1608 in der Handelsfamilie gleichen Namens in Augsburg geboren worden und seit 1634 im in den kontinentalen Krieg eingreifenden Schweden tätig. Familie Pemer hat traditionell Kontakte nach Salzburg, Italien, Frankreich, aber auch Antwerpen, London und Hamburg. Über die Familie mütterlicherseits bestehen Kontakte aus dem spanisch-niederländischen Antwerpen nach Spanien-Portugal, Frankreich, Holland, Nürnberg und Augsburg (Karte der europäischen Verflechtung: 1, 103). Familie Pemer war unter den insgesamt 257 Stifter- und Spenderfamilien aus dem Handelsbürgertum an der Gründung der protestantischen, antijesuitischen Kollegstiftung bei St. Anna in Augsburg nach 1582 namhaft beteiligt (2, 420 f.).
Interessant ist nicht nur die Kernerarbeit an der Rekonstruktion von Handelskontakten und Warenströmen, sondern die Perspektive, aus der diese Beziehungen dargestellt werden, nämlich die politisch-religiöser Ereignisse, die im Zeitalter des Konfessionalismus nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 europäische Wanderungsbewegungen auslösten. So versucht D., Buchverzeichnisse aus Erbfällen innerhalb dieser Familien auf die kulturellen und religiösen Prägungen zu befragen. Welches Bildungsgut prägte die Handelsfamilien, die in einem vielmaschigen Netzwerk von Verwandtschaftsgraden europaweit agierten? Inwiefern wurde nicht nur schwedisches Kupfer und Stangeneisen über Lübeck nach Deutschland, bzw. Lüneburger Salz nach Schweden gehandelt, sondern auch kulturell-religiöses Überzeugungsgut vermittelt? D. selbst nimmt zwar auf Thesen zur Entstehung des Frühkapitalismus durch Kapitalanhäufung in Familien Bezug, überraschenderweise nicht jedoch etwa auf Max Webers berühmte These von einem Konnex von protestantisch-calvinistischer Prädestinationslehre und Ethik und Kapitalismus. Zu dieser These liefert sie allerdings nun im Grunde eine klassische Fallstudie in einem wesentlich lutherisch geprägten Kontext. Zwar muss man methodisch einwenden, dass angesichts nicht überall gleichzeitig vorhandener Quellenbestände für Augsburg und Antwerpen die Jahre 1550–1618 beleuchtet werden (1, 95.144), für Lübeck und Göteborg (1, 180; 2, 242) hingegen der Zeitraum von 1648–1700, der kirchengeschichtlich bereits durch Aufklärung und Pietismus geprägt ist. Arboga wiederum liefert Material für die Zeit von 1570–1680 (2, 407).
Von 1479 Werken aus der Bibliothek des St. Annenkollegs, die vor 1618 gedruckt wurden, entstammen 195 der Gründungsdekade des Kollegs 1580–1589: »Im Hinblick auf den Inhalt der Bibliothek und die modernen religiösen Strömungen des 16. Jh. sind im Prinzip alle Werke Martin Luthers vertreten. Philipp Melanchthon, Wolfgang Musculus, Jean Calvin, Huldrich Zwingli, Erasmus von Rotterdam, Johann Bugenhagen, Martin Bucer, Sebastian Brant, Sebastian Münster, Johann Oecolampadius, Martin Cellarius, Eobanus Hesse sind alle vertreten, auch Sixt Birck, der erste Rektor des St. Anna Gymnasiums. Mindestens drei Werke von Johannes Cochläus sind vertreten, sieben von Laurentius Valla und 24 von Geiler von Kaysersberg« (1, 124). Nach D. gibt es nun eine auffällige Entsprechung zwischen Druckorten und Handelskontakten in dieser von den Fachgebieten zeitentsprechend wohlbalancierten Bibliothek. Theologiegeschichtlich muss man feststellen, dass der Protestantismus in seiner lutherischen wie auch reformierten Spielart gut vertreten ist. D. fällt auf, dass die Offenbarungen der heiligen Birgitta († 1373) in einer Ausgabe aus Nürnberg 1502, bzw. einer aus Dillingen 1569 vorhanden sind, ebenso aber auch die isländische Edda in mehreren Exemplaren, wie der auch in den Bibliotheken der anderen Handelsstädte immer wieder auftauchende Erasmus. Aber auch der aus Süddeutschland stammende Professor der Universität Uppsala Johann Hinrich Boeclerus und Magnus Gabriel Block fehlen nicht (1, 94). Boclerus findet sich etwa auch in Göteborg (2, 399). Die Buchsammlung von Octavius Secundus Fugger, zeitlebens katholisch und jesuitisch geprägt, ist demgegenüber von »ketzerischen« Werken gereinigt (1, 133). Buchdrucker Plantin aus Antwerpen hat feine Unterschiede in der Angabe des Druckers, um angesichts der Politik Philipps II. nicht in den Verdacht der Ketzerei zu geraten. 1568–1575 erscheint die Polyglotten-Bibel bei ihm, aber auch Bibelkommentare des spanischen Theologen Benito Arias zu den Propheten und der Apokalypse des Joh (1, 170 f.). Bibelausgaben Plantins fehlen auch in Augsburg nicht.
1618/20 werden die ehemaligen Kirchenbibliotheken in Lübeck zur Ratsbibliothek zusammengeführt. Hier findet sich vor allem reformatorische und humanistische Literatur (1, 211), »dieselben reformatorischen und humanistischen Verfasser, die in der Bibliothek des St. Anna-Kollegs repräsentiert waren«. Bei den Privatvermächtnissen lässt sich für 1530 die Bibliothek des Händlers Hinrich Köhler belegen, in der religiös-theologische und Andachtsliteratur überwiegen. Wolter von Holstens Bibliothek von 1575 gibt bei insgesamt 12 Exemplaren nur eine deutsche Bibel genauer an. Ähnlich verhält es sich bei Tönnis Bellinghaven. Senator Johann Kruse († 1598) besaß immerhin neben der Bibel auch Sleidanus’ immer wieder vertretene Historia, die ebenso häufig belegte Postille von Spangenberg, drei deutsche Betbüchlein und eine niederdeutsche Version von Roman de Renarts Roman Reineke Voss aus Lübeck 1498 (1, 214).
Interessant ist, was offenbar nicht die entscheidende Rolle spielte, puritanische oder auch reformierte Literatur. Weber hatte in diesem Schrifttum das Hauptwirkungsmoment gesehen. Hier bricht das Referat zur Darstellung ab. Nur ein Punkt sei angemerkt, nämlich der breite Raum, den die Rolle der Frauen in den Handelsfamilien immer wieder einnimmt. Insgesamt wird man urteilen müssen, dass das Forschungsprojekt in seiner ganzen Breite bewundernswert viele Bibliotheksverzeichnisse aufgesucht hat, aber doch letztlich, wenn man den Ausgangspunkt Augsburg mit dem schwedischen Arboga am Mälarsee vergleicht, nicht die Re­präsentativität des Belegmaterials erreicht, das eindeutige Schlüsse zu­ließe.