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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1109-1111

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoppe, Rudolf, u. Kristell Köhler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Paulusbild der Apostelgeschichte.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 251 S. 8°. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-17-020441-6.

Rezensent:

Manfred Lang

Der Band ist aus einem Bonner Oberseminar unter der Leitung von Rudolf Hoppe erwachsen. Folgende Beiträge sind zu nennen: Rudolf Hoppe, Die Apostelgeschichte – Der zweite Teil des lukanischen Doppelwerkes, 9–16; Thomas Hoeveler, Paulus: vom Verfolger zum Verkünder – Die Damaskuserzählungen der Apostelgeschichte (Apg 9; 22; 26) mit einem schulpraktischen Ausblick, 17–41; Carsten Oerder, Paulus in Lystra: Missionar, Wundertäter, Apostel. Das Paulusbild im Kontext von Apg 13 f. mit einem schulpraktischen Ausblick, 43–74; Stefan Schapdick, Der missionarische Anfang im europäischen Makedonien als Gottesgeschehen. Zum lukanischen Bild der Paulus-Mission in Philippi (Apg 16,11–40), 75–100; Rudolf Hoppe, Der Philosoph und Theologe – Das Auftreten des Paulus in Athen (Apg 17,22–18,1), 101–133; Rudolf Hoppe, »Denn ich habe mich nicht der Pflicht entzogen, euch den ganzen Willen Gottes zu verkünden …« (Apg 20,27). Die testamentarische Rede des Paulus in Milet, 135–157; Christian Blumenthal, Paulus vor Gericht – Erwählter Diener und Zeuge. Annäherungen an das lukanische Paulusbild in Apg 21–26, 159–192; Kristell Köhler, »Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten« (1Kor 9,22b), 193–234; Kristell Köhler, Das Paulusbild der Apostelgeschichte – ein Fazit, 235–240.
Nach einer kurzen einleitungswissenschaftlich orientierten Hin­führung durch Rudolf Hoppe beginnt Thomas Hoeveler mit seinen Analysen zu Apg 9; 22; 26. Hinsichtlich Apg 22 urteilt er: »Die jüdische Identität wird für den lukanischen Paulus authentisch durch das Bekenntnis zum Christus; das Bekenntnis zum Auferstandenen ist zwar etwas Neues, aber es liegt für Paulus in der Logik des jüdischen Glaubens.« (26) Im weiteren Verlauf greift Hoeveler dann auf Apg 26 zurück und sieht hier eine Verbindung von Bekehrung und Berufung vorliegen, wobei insgesamt eine Beschränkung »auf das Wichtigste« (31) zu beobachten sei.
Kritisch ist zu fragen, inwieweit nicht Hoeveler die Probleme des historischen Paulus hier bei Lukas einträgt: Schließlich geht es dem lukanischen Paulus an keiner einzigen Stelle darum, das Gesetz als identitätsstiftende Größe zu problematisieren. Ferner: Das Bekenntnis zum gekreuzigten Auferstandenen lässt in Apg 17,16 ff. gerade nicht jene von Hoeveler angesprochene »Logik des jüdischen Glaubens« erkennen, weil sich die Areopagrede dieser einseitigen Zuweisung vollständig entzieht. Eben darin kommt das lukanische Paulusbild zu seiner ganz eigenen Wahrheit, weil Lukas an diesen Fragen erkennbar kein Interesse zeigt (vgl. Apg 15). Wenn Hoeveler weiterhin davon ausgeht, dass sich Apg 26 sowohl als Berufung wie als Bekehrung verstehen lasse, dann scheint mir das jeweilige theologische Charakteristikum dieser Bezeichnung missverstanden zu sein. Spätestens an dieser Stelle dürfte deutlich werden, dass Hoeveler zu wenig beachtet hat, dass Lukas alle drei Berichte aufeinander bezog: Das muss stärker dazu nötigen, die lukanische Theologie (!) zum Ausdruck zu bringen und den Anschein zu vermeiden, hier sei historisches Wissen ›versteckt‹. Dann ›verbietet‹ sich die Frage, dass Paulus ab Apg 26 mit den Erstzeugen »ebenbürtig« (31) sei, weil Lukas die Konzeption des ›Apos­tolats‹ als eine ganz streng historisch begrenzte Institution im funktionalen Sinn (Zeugenschaft) versteht.
Stefan Schapdick analysiert die Ereignisse von Apg 16,11–40 und kommt erwartungsgemäß auf das Phänomen der Traumgesichte sowie die hellenistisch-römischen Eigenarten der Stadt Philippi zu sprechen. Das entsprechende Kommunikat hinsichtlich des Paulusbildes besteht darin, ein »göttlich geführtes und geschütztes Instrument der Ausbreitung der Christusbotschaft zu sein« (98; z. T. kursiv im Original). Die Wundertaten im direkten Anschluss unterstreichen diesen Charakterzug eindringlich: Die Passage 16,11–40 wird somit »vor allem als Gottes-Geschichte« (100) verstanden. So sehr dieser Charakterisierung zuzustimmen ist, so ist doch auch die Rückfrage zu stellen, ob denn eine formgeschichtliche Präzisierung dieser Passage nicht dieses Bild noch deutlicher hätte werden lassen. Leider erfährt man diesbezüglich nichts.
Rudolf Hoppe sieht in den paulinischen Aktivitäten in Athen »einen Höhepunkt« (101) der gesamten Apostelgeschichte. Die im weiteren Verlauf betonte Nähe zur Sokrates-Thematik wird nachgezeichnet und in folgenden Querschnitten zum lukanischen Paulusbild gebündelt:
– »Paulus als Denker«, der die antiken Denkvoraussetzungen kennt und sie entsprechend aufnimmt (128 f.);
– »Paulus als Brücke zur Heidenwelt« (129 f.): Paulus ist ein Kenner der Athener;
– »Paulus als Erfahrungsmodell für die Gemeinde« (130): Die Missionstätigkeit ist in Athen nicht sehr erfolgreich gewesen und zeigt insgesamt Kirche als kleine Minderheit;
– »Paulus, eine Botschaft für die Heiden« (130 f.): Paulus kann ungehindert seine Missionspraxis betreiben;
– »Paulus, der Souverän« (131 f.): Die Gesprächspartner des Paulus haben keine Gegenargumente gegen die paulinische Rede.
Daraus ergibt sich insgesamt der Gedanke: »Paulus als der wahre Philosoph« (133). Sicherlich wird man dem Gedanken zustimmen, wonach mit der Areopagrede ein Höhepunkt der Apostelgeschichte erreicht sei. Warum aber spiegelt sich dies nicht in einer entsprechenden Disposition der Apostelgeschichte wider? Sodann dürfte die Vorstellung »Paulus als Philosoph im sokratischen Ge­wand« eine zutreffende Beschreibung sein. Aber ist die vermeint­liche Erfolglosigkeit wirklich zu konstatieren, wenn man bedenkt, dass es weder Lukas noch Sokrates darum ging, ›Massen-Bekehrungen‹ zu schildern bzw. herbeizuführen? Beiden ging es um ›Einzelschicksale‹, die geschildert wurden (17,34).
Auch Kristell Köhler analysiert die Paulusbilder anhand von Apg 27 f. und kommt zu mehreren thematischen Schwerpunkten: 1. »Paulus als Prophet und Visionär« (218 f.) anhand seiner Schiffsreise von Myra bis zum Schiffbruch vor Malta; 2. »Paulus als Wundertäter« (219–221) im Rahmen seiner Tätigkeiten auf Malta; 3. »Paulus als Verkündiger« (222–225) sowohl während seiner Zeit an Bord des Schiffes als auch auf Malta wie auch schließlich in Rom selbst; 4. »Paulus als Zeuge Gottes und Jesu Christi« (225–228) in enger Verzahnung dieser beiden Personen. Dabei werden Parallelen im Zeuge-Charakter der paulinischen Tätigkeit mit derjenigen der jesuanischen (sowie mit derjenigen des Petrus) erkennbar. Insgesamt sei jedoch »einem 360°-Schwenk einer Kamera« (228) gleich ein einheitliches Bild nicht zu erwarten, weil das Paulusbild ein Kris­tallisationspunkt für die vielfältigen Aufgaben, die sich den nachfolgenden Zeugen der Botschaft stellen« (229), sei. Man wird einer solchen Differenzierung zustimmen, die sich im Übrigen durch das offene Ende und die ungehinderte Verkündigung nahelegt: Es sei eine Offenheit, die sich auf eine selbstbewusste Haltung beziehe. Genau dies wäre dann aber erneut mit der geschilderten Lynchjustiz an Stephanus ins Gespräch zu bringen.
Ein für den ganzen Band erstelltes (knappes) Literaturverzeichnis erschließt die verwendeten Titel. Leider fehlen Register.
Die genannte Auswahl bietet anregende Einsichten in das Paulusbild der Apostelgeschichte. Dass bei diesen Einsichten eine kritische Auseinandersetzung mit bereits vorliegenden Analysen beinahe völlig fehlt, erschwert die Transparenz der Argumentation.
Generell ist zu kritisieren, dass die Literatur höchst spärlich verwendet wird und damit die argumentative Transparenz im kritischen Dialog stark leidet: Kaum wird ersichtlich, wo die jeweiligen Positionen der Verfasser im Rahmen der Apg-Forschung zu finden sind – vom beinahe vollständigen Fehlen englischsprachiger Literatur ganz abgesehen. Ein Verweis auf die Adressaten dieser Einzelbeiträge etwa im Lehramt, wie sie sich aus den wenigen pädagogischen Ausblicken nahelegen könnten, ist nirgends genannt, dürfte aber auch dann zur Rückfrage Anlass geben, warum dort auf einen Dialog mit der Sekundärliteratur verzichtet werden soll. Daneben werden die kulturhistorischen Dimensionen beinahe völlig ausgeblendet, so dass ein entsprechendes Profil der lukanischen Theologie auch in Ansätzen schwerlich erkennbar wird.
Ich bin hinsichtlich einer Gesamtbeurteilung einigermaßen verunsichert: Die aktuelle Diskussion um die Exegese der Apostelgeschichte können die Beiträge in den wenigsten Fällen fortführen (Ausnahmen vielleicht: Hoppe, Schap­dick), weil die entsprechende Diskussion keinen Niederschlag findet und der jeweilige Beitrag somit weitestgehend monologisch verharrt. Eine Einführung in die Paulus-Darstellung der Apostelgeschichte können die Beiträge ebenfalls kaum sein, weil die dafür nötige Transparenz durch die literarische Verortung in der Sekundärliteratur genauso fehlt wie der Aufweis der religionsgeschichtlichen Rahmenbedingungen. Sollen die Beiträge eine Einführung für Studierende im Lehramt sein? Warum werden die pädagogischen Ausblicke dann nicht in allen Beiträgen durchgeführt?