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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1000-1101

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Jörg

Titel/Untertitel:

Der Zorn Gottes im Alten Testament. Das biblische Israel zwischen Verwerfung und Erwählung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. XI, 199 S. 8° = Biblisch-Theologische Studien, 104. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2382-8.

Rezensent:

Walter Groß

Jörg Jeremias widmet dem in der Bibel ebenso bedeutsamen wie in der Theologie seit alters unbeliebten Theologumenon des Zornes Gottes in der für ihn charakteristischen theologisch einfühlsamen Art und mit vielen neuen Einsichten eine umfassende Studie. In der Einleitung weist er auf das sehr differenzierte hebräische Wortfeld hin und betont, dass, wie gerade dieses Motiv zeigt, Begriffe bei der Übertragung auf Gott gegenüber dem normalen Gebrauch Charakteristika sowohl einbüßen als auch dazugewinnen; dass die alttestamentlichen Belege – mit Ausnahme vielleicht einiger auf Einzelne bezogenen Aussagen – überwiegend retrospektiv die Zerstörung Jerusalems und das Exil theologisch deuten und dass der Zorn Gottes jeweils als zeitlich begrenzt angesehen wird. J. gliedert seine Analysen der alttestamentlichen Belege, die von Exkursen zu mesopotamischen Parallelen durchzogen sind, in zwei große Teile: I. »Manifestationen des Zorns«, II. »Begrenzung und Überwindung des Zorns« und fasst abschließend die Hauptlinien alttestamentlicher Rede vom Zorn Gottes noch einmal zusammen.
Im ersten Hauptteil bespricht er zunächst die Psalmenbelege – nur hier und in Ijob trifft Gottes Zorn auch Einzelne – sowie Threni, dann die dtr Belege in den geschichtlichen Büchern und die Belege in den Prophetenbüchern. J. legt auf der Basis der Annahme eines Deuteronomistischen Geschichtswerks Dtn–2Kön aus. Er differenziert hier nur selten nach Entstehungsphasen, sondern fasst das DtrG als im Wesentlichen einheitliche Deutung der Geschichte als Schuld Israels auf und unterscheidet aufgrund wechselnder Terminologie und sachlicher Differenzen vier Zornepochen, wobei in deren dreien der Zorn Gottes als tödlich und vernichtend erscheint: die Zeit des Mose, in der Israel von Anfang an den tödlichen Zorn Gottes provoziert und ihm nur durch Fürbitte des Mose entkommt – die Zeit Josuas und der Richter, in der allein der Zorn Gottes jeweils sachlich und zeitlich begrenzt ist und lediglich Gottes rettendes Handeln jeweils aufhält und hindert – die Zeit des Nordreichs, in der der Zorn Gottes die Königshäuser ausrottet – die Zeit des Reststaates Juda und des Exils, in der der Zorn Gottes das ganze Volk trifft und lediglich die weiterwirkende Fürbitte des Mose Israels Vernichtung verhindert. Die terminologische Trennung ist nicht immer so scharf (je einmal begegnet z. B. das für die Zeit der getrennten Königreiche typische סעכ H auch für die Mose- und die Richterzeit: Dtn 9,18; Ri 2,12), auch sind wohl diachrone Gesichtspunkte einschlägig, aber in der Endfassung bietet die dtr Geschichtsdarstellung diese von J. beeindruckend herausgearbeitete Architektonik.
In der Darstellung der Prophetenbücher arbeitet J. unter der Überschrift »Vorausschau und Rückblick« stärker diachron, da er, soweit möglich, zu den ältesten Traditionen vordringen und sie von jüngeren, theologisch oft abweichend urteilenden Schichten unterscheiden will. Er behandelt vor allem Hos, Jes (hier ausnahmsweise mit Jes 6 einen Text, der gar keinen Zorn-Terminus gebraucht), Jer und Ez sowie das Motiv des Tages JHWHs.
Von besonderer Bedeutung und Originalität ist der zweite Hauptteil mit eindringenden Exegesen zum Ende des göttlichen Zorns, zu seiner Kürze und Verzögerung, zur göttlichen Selbstbeschränkung im Zorn und zu Varianten und Bedeutung der Fürbitte des Mose. Hier kämpft J. um die richtige Wahrnehmung des vielgestaltigen Zornmotivs in den alttestamentlichen Gottesbildern und um die vielfältigen Weisen, in denen alttestamentliche Autoren, ohne dem Zorn Gottes seine Gewalt und seinen Schrecken zu nehmen, Israel der letztlich unerschütterlichen heilvollen Zuwendung seines Gottes versichern. Neben den aus seinen Kommentaren und Aufsätzen vertrauten Interpretationen zu Amos und Hosea sticht vor allem die Unterscheidung von Reue Gottes und göttlicher Vergebung anlässlich Ex 32 und Dtn 9–10 hervor. Eigene Unterkapitel sind Ijob, dessen Behandlung im Hauptabschnitt »Begrenzung und Überwindung des Zorns« überrascht, sowie der »Heilung« des Gottesvolkes nach Hos 14 und Jes 57 und dem Tag JHWHs ohne Zorn bei Joël gewidmet.
Es ist ein Glücksfall, dass dieses schwierige Theologu­menon von J. bearbeitet wurde. Er versteht es, seine vielen Facetten herauszuarbeiten, es weder von den übrigen Gottesaussagen des Alten Testaments zu isolieren noch durch diese zu relativieren und die boh­- rende Ernsthaftigkeit der alttestamentlichen Autoren, die vor ihm nicht zurückschrecken, dem Bibelleser nahezubringen. Es ist zu hoffen, dass verstärkt auch Vertreter der Systematischen Theologie dieses Theologumenon, statt es zu verdrängen oder als vorchristlich abzustempeln, in ihre zeitgemäße Rede von Gott integrieren.