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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

140–142

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brendle, Albert

Titel/Untertitel:

Im Prozeß der Konfliktüberwindung. Eine exegetische Studie zur Kommunikationssituation zwischen Paulus und den Korinthern in 2Kor 1,1–2,13; 7,4–16.

Verlag:

Frankfurt a.M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 365 S. 8° = Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII: Theologie, 533. Kart. DM 95,­. ISBN 3-631-48513-1.

Rezensent:

Gerhard Sellin

Seit einigen Jahren hat der Trend, die genuinen Paulusbriefe als in ihrem kanonischen Text kohärente einheitliche Schreiben zu verstehen, auch den 2Kor erfaßt. Brendle gehört hier aber zu jenen Exegeten, die zwar vom Postulat der Einheitlichkeit ausgehen, jedoch dabei nicht vergessen, daß es sich bei den Paulusbriefen um Dokumente eines Kommunikationsprozesses handelt. Er kommt am Ende zu dem Ergebnis, daß 1Kor 1-9 eine literarische Einheit darstellt (was dann hypothetisch auch auf den ganzen 2Kor erweitert wird). Dieses Ergebnis wird auf dem Weg von Situationsanalysen gewonnen.

Das Buch besteht aus sechs Teilen: (1) Einleitung (mit einer Skizze der Forschung seit dem Kommentar von V. P .Furnish, 1984); (2) Methodik; (3) Exegese von 2Kor 1,1-2,13; 7,4-16; (4) Ergebnis (zur Kommunikationssituation der analysierten Textpartien); (5) Hypothese zur literarischen Einheit des ganzen 2Kor; (6) ein Epilog, in dem der Vf. seinem 1993 gestorbenen Lehrer Fritzleo Lentzen-Deis ein Denkmal setzt.

Während das Methodik-Kapitel (2) nur die Arbeitsschritte vorstellt, findet sich in der Einleitung (1) eine methodologische Reflexion, die in etwa den neuen Stand der text- und pragma-linguistischen Exegese, wie sie z. B. im Lehrbuch von Wilhelm Egger (Methodenlehre zum Neuen Testament, 1987) erscheint, wiedergibt. Die im 3. Teil gebotene Exegese der sieben Teiltexte (1,1-2 [13,11-13]. 3-11. 12-14; 1,15-2,2. 3-11. 12-13; 7,4-16) verläuft bis auf eine Ausnahme immer in den gleichen Schritten: "Abgrenzung" ­ Anordnung des griechischen Textes nach seiner syntaktischen Struktur ­ Übersetzung ­ "syntaktisch-se-mantische Erläuterungen" ­ "Gattung" ­ "Analyse des Mitteilungsverlaufs" ­ "Pragmatik". Dabei ist die strukturierte Wiedergabe des griechischen Textes hilfreich. Ermüdend aber wirken die isolierten Erläuterungen zu Syntax und Semantik (beides getrennt), denen dann der extrahierte "Mitteilungsverlauf" nachgeliefert wird. Man hat den Eindruck, hier werde ein Kuchen in seine Zutaten aufgelöst.

Insgesamt leidet das Buch an einem konzeptionellen Widerspruch: Bewiesen werden soll die literarische Einheit von 2Kor 1-7 (bzw. 1-9). Untersucht wird aber nur der Teil, der in der "klassischen" Briefteilungstheorie von G. Bornkamm und anderen als "Versöhnungsbrief" gilt, und die dort als eigener Brief geltende "Apologie" wird nur summarisch (in 4.2) behandelt. Dadurch ­ und durch die in methodische Schubladen zerlegte Einzelexegese ­ wird die Kohärenz von Kap. 1-7 nicht plausibel genug herausgestellt. Es bleibt immer noch der Eindruck, daß 2,14-7,3(4) eine überdimensionale Digression darstellt.

Das Hauptargument des Vf.s ist seine aus der komplexen Ar-gumentation des Textes erschlossene "gemischte Kommunikationssituation", in der ein Konflikt zwar im Prinzip überwunden, aber noch nicht ganz ausgeräumt sei. In 2,14-7,3 behandele Paulus den Konflikt nach, den er im "Tränenbrief" (welcher für den Vf. nicht mit Kap. 10-13 identisch, sondern verloren ist) thematisiert hatte. Erst nach dieser nachbehandelnden Aufarbeitung könne Paulus dann in 7,4 ff. den Erfolg seines Briefes (und des Titus-Besuches) herausstellen, um seinen geplanten ab-schließenden Besuch vorzubereiten. Das mag im Ergebnis zutreffend sein und entspricht dem Stand der heute gängigen literarkritische Analyse des 2Kor. Wenn der Vf. nun aber (im 5. Teil) auch Kap. 10-13 dem ursprünglichen Brief beläßt, ergeben sich Schwierigkeiten: Paulus hätte den positiven Effekt von Kap. 7 wieder zunichte gemacht.

Hier stellt der Vf. die Hypothese auf, Paulus wolle in den Schlußkapiteln eine befürchtete zukünftige negative Wendung im kommunikativen Prozess präventiv entschärfen. Diese Hypothese stellt dem Apostel nicht nur ein schlechtes Zeugnis seiner kommunikativen Kompetenz aus (und entlarvt so nebenbei auch die methodische Schwäche dieser Kommunikationsanalyse), sondern sie hat auch kaum Anhalt am Text von Kap. 10-13. Der Begriff "gemischte Kommunikationssituation" verleitet dazu, die Indizien für unterschiedliche Kommunikationsakte ineinanderfließen zu lassen, so daß die diachrone Tiefenschärfe verlorengeht. Um die literarische Einheit von Kap. 1-7 nachzuweisen, hätte die Argumentationsstruktur dieses ganzen Briefkomplexes unter stärkerer Einbeziehung von 2,14-7,3 analysiert werden müssen. Das ist in früheren Arbeiten (besonders in neueren Kommentaren) mit einiger Stringenz getan worden ­ und es ist verständlich, daß der Vf. das nicht wiederholen wollte. Aber seine Kommunikationsanalyse führt darüber hinaus nicht wesentlich weiter.

Dennoch ist die Arbeit keineswegs überflüssig. Die vielen syntaktischen und semantischen Einzelbeobachtungen, die hier nicht vorgestellt werden können, haben ihren besonderen Wert.