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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1091-1093

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Spinks, Christopher

Titel/Untertitel:

The Bible and the Crisis of Meaning. Debates on the Theological Interpretation of Scripture.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International 2007. XII, 201 S. gr.8°. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-567-03210-2.

Rezensent:

Michael Coors

Die am »Fuller Theological Seminary« verfasste Dissertationsschrift widmet sich im Kontext der seit vielen Jahren geführten Diskussion um eine theologische Auslegung biblischer Texte der Frage nach dem Begriff der ›Bedeutung‹ (meaning). S. bietet dabei eine aufschlussreiche Einführung in die anglo-amerikanische Diskussionslage der letzten Jahre. Immer noch besteht hier die Grundspannung zwischen rezeptionsorientierten theologischen Interpretationstheorien, die in erster Linie auf die kirchliche Gemeinschaft als Leserin der biblischen Texte abheben, und Theorien, die die Autorintention der Texte als kritisches Korrektiv gegenüber der rezipierenden Gemeinschaft betonen.
Diesen wohlbekannten Gegensatz stellt S. anhand der Positionen von Stephan Fowl und Kevin Vanhoozer in detaillierten Textstudien dar – angesichts der bekannten Diskussionslage vielleicht etwas zu ausführlich. An der Position von Vanhoozer ist immerhin interessant, dass er insofern von traditionellen, auf die Autorintention fokussierten Interpretationstheorien abweicht, als er die Autorintention nur als die Rückseite einer im Text lesbaren Illokutionsabsicht des Autorsprechaktes begreift (87 ff.). Die Intention des Autors verbleibt so ganz im Horizont des Sprachlichen.
S. zielt mit seiner Arbeit vor allem darauf, diese Vexieralternative zu überwinden: Die Bedeutung (meaning) eines Textes ist weder einfach durch die Autorintention festgelegt noch entsteht sie erst durch die Rezeption der Gemeinschaft, die biblische Text als heilige Texte liest, sondern dieser Konflikt sei zu überwinden durch einen triadischen Bedeutungsbegriff, in dem S. beides integriert sieht. Dafür muss »meaning« wieder als ein von dem Verb »to mean« (bedeuten) abgeleitetes Gerundivum in den Blick kommen: Texte ›haben‹ nicht Bedeutung, sondern Texte ›bedeuten‹ (138 f.). Das Bedeuten eines Textes ist darum als ein komplexer Geschehenszusammenhang zu interpretieren. S. rückt damit geschickt die Problematik der von ihm behandelten Positionen in einen neuen Horizont: Die Bedeutung des Textes ist nicht ein ›etwas‹, das im Text gefunden oder in ihn hineingelegt wird. Diese Fehleinschätzung teilen beide von ihm kritisierten Positionen (66.110 f.). Problematisch erscheint mir dann allerdings S.s Versuch, diesen dynamischen Charakter des Bedeutens von Texten durch Rekurs auf die Sprechakttheorie Austins begrifflich zu explizieren. Dabei legt S. den Akzent darauf, dass sich das ›Bedeuten‹ im ganzen Sprechakt vollzieht: nicht nur in der Intention des Sprechers, sondern auch in Lokution, Illokution und Perlokution (118), resp. in den unterschiedlichen Bedingungskontexten eines gelingenden Sprechaktes (140 f.: »happy speech act«). Die Bedeutung eines Textes ist also nur im Ganzen zu erfassen, sowohl in dem, was ein Autor mit einem Text intendierte, als auch in dem, was eine Lesegemeinschaft aus diesem Text macht. Dabei bleiben nun aber bedeutende Unklarheiten: So ist nicht immer klar, wessen Intention eigentlich gemeint ist. Mal werden die biblischen Texte explizit in den Horizont eines theologisch verstandenen Kommunikationszusammenhangs zwischen Gott und Mensch gerückt – die Frage ist dann die nach der Intention Gottes mit diesen Texten (153 f.162) – mal sind die menschlichen Autoren der biblischen Texte im Blick (139.171). Auch die Versuche, das triadische Modell des Bedeutens mit trinitarischen und inkarnationschristologischen Überlegungen zu verbinden (155.179 f.), bleiben unausgereift: Wie und wieso überhaupt folgt aus hier ohne Zweifel bestehenden (bloß?) strukturellen Analogien etwas Inhaltliches? Das weist auf eine weitere Unklarheit hin: Wie verhalten sich S.s Überlegungen zum Bedeuten biblischer Texte zur Bedeutung von Texten allgemein?
Zudem wird nicht wirklich deutlich, was das Dritte in diesem triadischen Modell der Bedeutung eigentlich ist: der Prozess der Vermittlung (»mediation«: 168 f.182 f.), die community (166) oder der Text (183)? Trotz aller Betonung, dass der Text wieder als Text in den Blick kommen soll, kommt er am Ende doch zu kurz: Er wäre ein genuin Drittes zwischen Autor und Leser. Doch markiert S. (in Anlehnung an Vanhoozer: 103) dies lediglich als Phänomen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen. Denn die Frage, was sich an einem Sprechakt ändert, wenn er nicht im Modus des Sprechens ge­schieht, sondern textlich vermittelt wird, stellt S. nicht. Hier wäre es nötig, die Sprechakt- in eine Textakttheorie zu überführen. Diese bedürfte einer eigenen Texttheorie, die den Text im Horizont des von S. zu Recht betonten umfassenden Gespräches (»conversation«) – in dem Gott, Autor, Text und rezipierende Gemeinschaft ihren Ort haben – begreift. Das wird zwar angedeutet, aber nicht wirklich durchgeführt. Damit ist auf der einen Seite viel gewonnen, weil die Engführung auf einen statischen Begriff der Bedeutung überwunden wird zugunsten eines holistischen Begriffs der Bedeutung, der den ganzen Prozess von der Textentstehung bis zur Textrezeption theologisch umfasst: »Meaning is the mediation of God’s truth that takes place between authors, readers and the community of God of which they are all part« (182 f.). Insofern kann die Bedeutung des Textes auch nicht ›etwas‹ sein, das ein Interpret jemals ›hat‹, sondern der Interpret muss seine Arbeit vielmehr innerhalb des weiteren Horizonts des fortwirkenden Bedeutens des Textes begreifen. Auf der anderen Seite bleiben sehr viele Fragen gerade in theologischer Hinsicht offen, die zur Weiterarbeit herausfordern: Die Weite dieses Bedeutungsbegriffs fordert zu Präzisierungen und genaueren Verhältnisbestimmungen in inhaltlicher und methodischer Hinsicht heraus.