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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1088-1091

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Levison, John R.

Titel/Untertitel:

Filled With the Spirit.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Erdmanns 2009. XXVII, 463 S. gr.8°. Lw. US$ 45,00. ISBN 978-0-8028-6372-0.

Rezensent:

Beate Ego

Das Werk des amerikanischen Neutestamentlers John R. Levison von der Pacific Seattle University ist eine traditionsgeschichtliche Studie, die sich den Geistvorstellungen in der Hebräischen Bibel, den Überlieferungen des Antiken Judentums sowie des Neuen Testaments widmet. Der erste Teil stellt zunächst die israelitische Literatur ins Zentrum der Betrachtungen (3–105), wobei das Werk Hermann Gunkels »Die Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus« (Göttingen 1888) als Ausgangspunkt der Überlegungen fungiert. Gunkels Werk war zu seiner Zeit insofern innovativ, als es mit allem Nachdruck deutlich machte, dass das Konzept der biblischen ruah. bzw. pneuma nicht im Sinne eines Be­wusstseinszustandes interpretiert werden darf, sondern vielmehr als dynamische Größe zu verstehen ist. Außerdem sind – so L. in kritischer Auseinandersetzung mit der früheren Forschung – falsche Alternativen, die das Konzept eines Lebensgeistes von einem charismatischen Geistkonzept unterscheiden wollen, zu vermeiden. In der israelitischen Literatur erscheint ruah. als eine Größe, die für Lebenskraft und Vitalität steht und so der Macht des Todes diametral entgegenwirkt (cf. u. a. Hiob 27,2–5). Darüber hinaus hat ruah. aber durchaus auch einen noetischen Aspekt, wenn der Prophet Micha und literarische Figuren wie Joseph, Bezalel, Josua und Daniel als Gestalten gezeichnet sind, die aufgrund des göttlichen Geistbesitzes in außerordentlichem Maße über Qualitäten wie Gerechtigkeit, Macht, Weisheit und Wissen verfügen und sich so von Falschpropheten und fremden Divinatoren unterscheiden. L. weist zudem auf die eschatologischen Implikationen der israelitischen ruah. -Konzeption hin, wie sie in Ez 36 und 37 zu beobachten sind. Ruah. wird so zum Medium einer »Re-kreation« der gesamten Schöpfung, die unverkennbar national fokussiert ist.
Der zweite Teil des Buches ist der Thematik der Geistvorstellungen im Antiken Judentum gewidmet (107–221). Wieder holt L. weit aus, wenn er zunächst mit der Religionsgeschichtlichen Schule und Herrmann Gunkels Verdikt einsetzt, wonach das Antike Judentum – und nicht die Literatur des Alten Testaments – den entscheidenden traditionsgeschichtlichen Hintergrund für das frühe Christentum abgebe. Allerdings sei zu bedenken, dass Hermann Gunkel im Gefolge von Emil Schürer eine sehr legalistische Sicht des Judentums hatte und dieses als »geistverlassen« charakterisieren konnte. Genau gegen dieses Verdikt, das im Gefolge Gunkels breite Resonanz in der Forschung fand, wendet sich L. dann im Folgenden, wenn er dezidiert darauf hinweist, dass ein solches »geistverlassenes« Judentum nicht länger als dunkle Folie für die Entstehung des Christentums fungieren könne. Die Vitalität des Judentums führte vielmehr zu einer Intensivierung israelitischer Geistvorstellungen, bei der auch Einflüsse aus der griechisch-römischen Vorstellungswelt eine nicht zu gering zu veranschlagende Rolle spielen sollten. L. wendet sich zunächst unter dem Motto »A Wise and Holy Spirit Within« vor allem Ben Sira und der Inspiration des Schriftgelehrten zu. Dabei geht es nicht um ein singuläres Moment der Inspiration; nur durch das beständige Hören, Studieren und Beten vielmehr wird der Einzelne mit der göttlichen Einsicht erfüllt. Keinen Erfolg versprechen dagegen Omen sowie die Deutung von Orakeln und Träumen.
Im nächsten Abschnitt widmet sich L. der Thematik »Spirit and the Allure of Ecstacy«. In diesem Zusammenhang findet nun ein breiter Rekurs auf die hellenistisch-römische Vorstellungswelt und ihre Begegnung mit dem Denken des Antiken Judentums statt. Typisch für den paganen Bereich sind ekstatische Geistphänomene. Wie ein Blick auf den Liber Antiquitatum Biblicarum zeigt, werden solche Konzepte aufgegriffen, um das Wirken biblischer Figuren nachzuzeichnen. Im Zentrum des folgenden Kapitels »Spirit and Inspired Knowlegde« stehen Ausführungen zu Philo von Alexandrien, für den eine Vermeidung des Ekstatischen ganz typisch ist und der in menschlichen Begabungen wie einer talentierten Rhetorik Zeichen der Geistbegabung sieht. Wie für das Schrifttum in Qumran oder für 4Esra spielt auch für Philo die Geistbegabung im Hinblick auf die Interpretation der Heiligen Schriften eine bedeutende Rolle. L. schließt seine Darlegungen mit Ausführungen im zweiten Teil seines Buches, wenn er auf Überlieferungen verweist, in denen das Konzept des Geistes in engem Bezug zu Reinheitsvorstellungen steht. Durch die Begabung mit dem göttlichen Geist – so eine Vorstellung, die in den Texten von Qumran zu finden ist – wird der sterbliche Mensch in einen solchen Zustand der Reinheit versetzt, dass er in Gemeinschaft mit den Himmlischen treten kann (1QH II,19–24). Wenn in diesem Zusammenhang eine Rezeption von Ez 36 und 37 erfolgt, so wird deutlich, dass die menschliche Inspiration dabei durchaus als eschatologisches Ereignis verstanden wird. In diesem Kontext fällt auf, dass hier eine Individualisierung der Ezechielschen Vorstellung stattfindet. Die göttliche Gnadengabe der Inspiration ermöglicht dem Einzelnen sogar ein Leben im Garten Eden (1QH XVI 4–6). Da der Garten Eden und der Tempel in der Vorstellungswelt des Antiken Judentums in einem engen Zusammenhang stehen, kann sich eine solche eschatologische Geistbegabung mit der Tempelsymbolik verbinden: »Like Israel’s prophets, storytellers, and psalmists before them, the people of the Scrolls believed that the true temple was located in Eden, that the Gihon River flowed from paradise through Jerusalem. They could, therefore, unswervingly claim that they occupied as well the world of the temple, a living temple that offered spiritual sacrifices, a temple filled with the spirit of holiness in eternal truth« (217). So wird deutlich, dass die Zeit des Antiken Judentums die Ära eines »spiritual dynamism« war.
Der dritte Teil des Werkes schließlich widmet sich den Geistvorstellungen der frühen christlichen Literatur (225–427). Hier konzentriert sich L. auf Paulus, die Apostelgeschichte, das Johannesevangelium sowie auf 1Joh. Als Fazit aus den diffizilen Einzeldarlegungen kann festgehalten werden, dass im Neuen Testament die Verbindung von Geist und Weisheit aufs Ganze gesehen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Stattdessen werden hier andere Vorstellungen fokussiert: So kann Paulus die Konzeption einer nationalen Auferstehung, wie sie in Ez 36 und 37 erscheint, in das Konzept einer individuellen Neuschöpfung (Röm 5,5; 2Kor 1,22; 2Kor 5,5) transformieren. In der Apostelgeschichte wird die Gegenwart des Geistes an Pfingsten als Erfüllung der Joelschen Weissagung von der Ausschüttung des Geistes verstanden, gleichzeitig wird der Geistempfang zum Medium des rechten Schriftverständnisses. Insgesamt spielt in der Apostelgeschichte das ekstatische Moment eine bedeutende Rolle. Für das Johannesevangelium wiederum gilt: »In the Forth Gospel, the spirit may be the locus of wisdom, but not from birth. The spirit brings knowledge, but not until re-recreation. The spirit gives richness of life, but only in a new temple of believers. The spirit brings truth, but only after Jesus is left to die on the cross. It brings instruction, but only after his resurrection« (366). Diejenigen, die nicht an dieser Geistbegabung partizipieren, erwartet ein kosmisches Gericht. In 1Joh schließlich wird dem Geist der Wahrheit der Geist des Trugs (1Joh 4,6) zur Seite gestellt. Das Moment der Lehre freilich wird nun obsolet, wenn der Autor dieses Briefes davon ausgeht, dass seine Adressaten das »Salböl« bereits besitzen und somit keine weitere Belehrung benötigen (1Joh 2,27).
L.s brilliant geschriebene Studie beeindruckt durch ihren weiten Horizont und das umsichtige Aufzeigen von Traditionslinien; von zentraler Bedeutung ist dabei der Verweis auf die kognitive Dimension des Geistbesitzes sowie auf dessen transpersonalen Charakter. Abgesehen von Detailfragen, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden können, ist freilich zu überlegen, ob L. dem gesamten Befund gerecht wird oder durch seine Auswahl der Texte gerade im Hinblick auf die Hebräische Bibel hier nicht doch a priori eigene Wertungen einträgt. Die ekstatische Komponente spielt doch auch in der Hebräischen Bibel eine bedeutende Rolle, und man fragt sich, warum die Überlieferungen aus den Richter- und Samuelbüchern so gut wie gar nicht erwähnt werden. Zu überlegen wäre auch, inwieweit gerade im Hinblick auf die Überlieferungen des Antiken Judentums nicht auch ruah. als kosmische Größe in die Überlegungen mit einbezogen werden müsste.
Wenn L. auch mit Nachdruck darauf hinweist, dass die Texte der Hebräischen Bibel und des Antiken Judentums als Überlieferungen mit eigenem Recht betrachtet werden müssen, so führt die Darstellung doch recht eindimensional auf das Neue Testament hin. Hier eröffnet die Studie interessante Ansätze für weiterführende Arbeiten, wenn unter dem Stichwort des »doppelten Ausgang[s] der Hebräischen Bibel« sich die Frage stellt, welche Geistkonzepte das rabbinischen Judentum und die Hekhalot-Literatur bieten. Die Studie wird so gleichzeitig zur Grundlage für weitere Arbeiten zur Geistkonzeption im Antiken Judentum und frühen Christentum.