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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1086-1088

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Reinmuth, Eckart [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Joseph und Aseneth. Eingeleitet, ediert, übersetzt u. m. interpretierenden Essays versehen v. E. Reinmuth, S. Alkier, B. Boothe, U. B. Fink, Ch. Gerber, K.-W. Niebuhr, A. Standhartinger, M. Vogel u. J. Zangenberg.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XI, 280 S. 8° = SAPERE, XV. Kart. EUR 29,00. ISBN 987-3-16-150161-6.

Rezensent:

Catherine Hezser

Dieser auf der Arbeit verschiedener Autoren basierende Band verbindet eine Textedition und Übersetzung des antiken jüdischen Joseph und Aseneth-Romans mit Einleitungsfragen und weiterführenden Essays. Das Ergebnis ist ein sehr nützliches und aufschlussreiches Buch, das sowohl Studenten und Allgemeininteressierten als auch Experten zu empfehlen ist. Für Letztere ist be­sonders der dritte Teil von Interesse: Dort werden bestimmte Aspekte des Ro­mans – erzählerische Gestaltung, ägyptischer Hin­tergrund, Toraverständnis, Verhältnis zum Neuen Testament, Wirkungsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Frauenbild – von sieben Autoren aus je unterschiedlicher Perspektive dargestellt.
Der erste Teil des Buches ist Einleitungsfragen (Manuel Vogel) und Textkritik (Uta Barbara Fink) gewidmet. Vogel bietet einen Überblick über die Forschungsgeschichte zum Roman, wobei er ge­nauer auf Inhalt und Gliederung, Verfasser, Sprache, literarische Gattung, Entstehungsort und Abfassungszeit eingeht. Der Verfasser bleibt anonym und kann sowohl männlich als auch weiblich gewesen sein. Die Originalsprache ist eindeutig das Griechische. Bei der literarischen Gattung ist die Ähnlichkeit zum hellenistischen Liebesroman auffallend. Vogel plädiert für einen »alexandrinisch-jü­dischen Entstehungshintergrund« (12) und eine Entstehungszeit zwischen der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (Kenntnis der Septuaginta) und dem jüdischen Diasporaaufstand in den Jahren 115–17 n. Chr. Die Nähe zum griechischen Liebesroman macht eine möglichst späte An­setzung in diesem Zeitrahmen wahrscheinlich. Was den Zweck der Schrift betrifft, kann es sich kaum um eine Missionsschrift handeln, obwohl einzelne Elemente bei der Aufnahme von Proselyten eine Rolle gespielt haben könnten. Es geht vielmehr um »die Legitimation von jüdisch-nichtjüdischen Mischehen, die im Adressatenkreis von JosAs nicht unstrittig gewesen zu sein scheinen« (27).
Die textkritische Situation ist kompliziert, da sehr viele Textzeugen, aber keine zuverlässige alte Leithandschrift existieren. Fink stellt die Rekonstruktionsversuche von Philonenko und Burchard vor und hat aufgrund von Revisionen zu Burchards Text eine neue Textedition erstellt, die bereits 2008 unabhängig veröffentlicht wurde und dieser Ausgabe und Übersetzung zugrunde liegt. Bei Burchards Text handelt es sich um einen Mischtext, der dem Langtext den Vorzug gibt, aber teilweise andere Lesarten (z. T. durch Rückübersetzung ins Griechische) vorzieht, d. h. es wird der Versuch unternommen, einen möglichst ursprünglichen Text zu re­konstruieren und diesen von »sekundären« Änderungen (die zumeist als Verkürzungen gesehen werden) zu unterscheiden. Der hier revidierte Text basiert auf Untersuchungen zum Stemma der Textfamilien. Es wird auf den textkritischen Apparat in Finks Edition verwiesen. Da heutzutage von der Hypothese eines »Urtextes« zunehmend Abstand genommen wird, kann man hoffen, dass in Zukunft eine synoptische Edition zumindest einiger Handschriften erstellt wird, die es Forschern ermöglicht, sich selbst ein Bild von der Textüberlieferung zu machen. Die verschiedenen Sprachen der Handschriften können solche Vergleiche natürlich erschweren. Fink weist auf die Unsicherheit des Textes aufgrund der komplizierten Überlieferungslage hin.
Im ersten der sieben Essays des dritten Teils untersucht Eckart Reinmuth die Erzählperspektive und -absicht des Romans. Einerseits sind im Text die Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden bedeutsam; andererseits werden diese Unterschiede aber problematisiert und können teilweise überwunden werden. Reinmuth zufolge ging es dem Autor um die Konstruktion einer »idealen« Gemeinschaft, die in der Lage war, Konvertiten aufzunehmen, und deren Basis im ethischen Sinne verstandene »Gottesfurcht« war. Wenn er schreibt: »Dem Erzähler kommt es darauf an, das Ethos des Judentums so zum Maßstab zu erheben, dass es zum Kriterium für Juden und Gottesfürchtige wird« (157), fragt man sich allerdings, ob die Aussageabsicht des Textes hier nicht zu stark aus christlicher Perspektive, gleichsam als Vorstufe zur christlichen Gemeinde aus Juden und Heiden, dargestellt wird.
Jürgen K. Zangenbergs Beitrag untersucht den ägyptischen Realitätsbezug des Romans und kommt größtenteils zu negativen Ergebnissen: Neben bib­lischen Motiven, Elementen des hellenistischen Romans und jüdischer anti-ägyptischer Polemik finden sich nur wenige Hinweise auf die aktuelle Lebenswelt des Autors. Dennoch waren die Polytheismusdebatte und die Konversionsthematik wohl besonders im ägyptischen Diasporajudentum von Bedeutung. Die positive Darstellung Pharaos mag auf ein Interesse an friedlicher Koexistenz mit Ägyptern hinweisen. Ägypten bleibt Heimat der Konvertiten. Der Text »behält ... eine heikle Balance im Miteinander mit der kulturellen Mehrheit« (185). Das Fehlen expliziter Hinweise auf Toragebote mag gut in diesen Rahmen passen. Allerdings sind, wie Karl-Wilhelm Niebuhr festgestellt hat, dennoch »Formen einer eher indirekten Intertextualität« zu erkennen (189): biblische Gestalten als »Verkörperung ethischer Topoi« (192), Verwendung paränetischer Sprachformen, Hinweise auf die Beachtung der jüdischen Speisevorschriften, Abkehr vom Götzendienst und Ablehnung von sexuellen Kontakten mit Nichtjuden. Insofern darf die andere Seite von Joseph und Aseneth, die »Abgrenzung und ... Polemik gegenüber den ›anderen‹« (201) nicht aus dem Blickfeld geraten.
So finden sich trotz vielfältiger Gemeinsamkeiten zum Neuen Testament, wie etwa der Terminologie vom Sohn Gottes und Brot des Lebens, der Aufnahme von Heiden und der Hervorhebung der Neuschöpfung und neuen Familie auch grundlegende Unterschiede, die in der in JosAs fehlenden Christologie des Neuen Testament begründet sind. Christine Gerber weist darauf hin, dass die Gemeinsamkeiten nicht mit gegenseitigen Abhängigkeiten zu erklären sind. Sie verweisen vielmehr auf die »Verwurzelung der frühchristlichen Theo­logie im Frühjudentum« (204). Wie Angela Standhartinger zeigt, wurde JosAs erstmals im byzantinischen und mittelalterlichen Christentum rezipiert: von Pilgern, die im Heliopolis des 4. Jh.s das angebliche Haus Aseneths besuchten, in der allegorischen Auslegung syrischer Kirchenväter des 6. Jh.s und in der byzantinischen Liturgie und Kunst. Im Judentum wurde der Text dagegen nur recht spät und selten rezipiert und im Islam wurden weitgehende Veränderungen des Handlungsablaufs und der Personen vorgenommen.
Im vorletzten Beiträg des Bandes sieht Stefan Alkier den Autor des Textes in »einem gut situierten Stadtmilieu« (236), welches soziale Konflikte ausklammerte. Zuletzt stellt Brigitte Boothe Überlegungen zum Frauenbild des Ro­mans an: Aseneth stellt für Joseph angeblich ein Risiko dar, welches einen Loyalitätsnachweis erforderte. Die sieben Essays dieses dritten Teils des Bandes ergänzen sich gut und regen zum Nachdenken und zum (Wieder)lesen des Textes an.