Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

137–139

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Neef, Heinz-Dieter

Titel/Untertitel:

Ephraim. Studien zur Geschichte des Stammes Ephraim von der Landnahme bis zur frühen Königszeit.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1995. XVI, 389 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 238. Lw. DM 198,­. ISBN 3-11-014756-4.

Rezensent:

Volkmar Fritz

Bei diesem Band handelt es sich um die überarbeitete Fassung der im Wintersemester 1993/94 eingereichten Habilitationsschrift des Vf.s. Als Aufgabe der Arbeit wird die Erstellung einer "Geschichte des Stammes Ephraim von der Landnahme bis zur frühen Königszeit an Hand der alttestamentlichen Überlieferung" (VII) bestimmt. Dazu werden die einschlägigen Texte Gen 49,22-26; Dtn 33, 13-17; Jos 16,1-10; 17,14-18; Ri 1,29; 5,14; 7,23-8,3; 12,1-7; 2Sam 2,8 f.; 13,23 und 1Kön 4,7-20 näher untersucht und ausgewertet. Vorangestellt sind Prolegomena mit Anmerkungen zur Forschungsgeschichte und methodischen Überlegungen. Den Abschluß bilden ein theologischer Ausblick mit der Behandlung von Ps 80,3 und 60,9 sowie ein Resümee mit dem Entwurf eines Geschichtsbildes von der Landnahme bis zur frühen Königszeit. Im Rahmen der Frühgeschichte werden auch die Ergebnisse der Oberflächenforschung auf dem mittelpalästinischen Gebirge (28-98) referiert.

Die Problematik des Buches liegt in seinem methodischen Ansatz. Zwar ist dem Vf. bewußt, daß im Blick auf die Frühgeschichte Israels die biblischen Texte nicht einfach historische Quellen darstellen, sondern jeweils auf ihren geschichtlichen Aussagewert befragt werden müssen, doch rechnet er für die zu untersuchenden Texte mit einem "historischen Kern", "der mitunter auf der Grundlage historisch-kritischer Arbeitsweise ermittelt werden kann" (11). Ist an sich schon die grundsätzliche Annahme eines historischen Kerns für Texte des Pentateuch oder des deuteronomischen Geschichtswerkes als methodische Voraussetzung fraglich, so bleibt die Durchführung der Arbeit noch weit hinter diesem eigenen Ansatz zurück. Zwar wird für jeden Text eine ausführliche Textkritik geboten und der Stand der wissenschaftlichen Diskussion referiert, die Frage der möglichen Historizität einer Aussage wird aber gerade nicht gestellt. Vielmehr wird schließlich in der Exegese die Geschichtlichkeit der Aussage stillschweigend vorausgesetzt. Damit bleibt die Arbeit weit hinter den methodischen Notwendigkeiten und dem in der kritischen Forschung erreichten Stand zurück. Die Arbeit ist nicht nur von der veralteten Prämisse eines historischen Kerns bestimmt, sondern erfüllt nicht einmal den selbst gesetzten Anspruch, daß nämlich der jeweilige historische Kern durch die historische Methode erst einmal bestimmt werden muß, bevor überhaupt Geschichtsschreibung möglich ist.

Das Vorgehen des Vf.s soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Im Rahmen der Erwägungen über die Datierung der Deboraschlacht wird die Notiz über Schamgar in Ri 3,31 als eine Einführung in den Text bestimmt, die "vom Deutronomisten oder einer nachdeutronomistischen Redaktion verfaßt wurde" (197). Wenig später wird dann die Annahme geäußert, "daß in Jdc 3,31 die Erinnerung an einen erfolgreichen Krieg Samgars ben Anath gegen die Philister wachgehalten" wird (200). Diese mangelnde Konsequenz ist typisch für die Arbeitsweise des Vf.s. Selbst wenn ein Satz auf literarische Arbeit am Text zurückgeht, wird die Richtigkeit der Aussage nicht in Zweifel gezogen. So kann aus jedem redaktionellen Nachtrag noch ein historisches Ereignis herausgelesen werden. Statt um die Analyse der Texte bemüht sich der Vf. um ein bibelnahes Geschichtsbild. Zweifel an der biblischen Geschichtsdarstellung kommen erst gar nicht auf.

Wegen der methodischen Schwächen bleiben die Ergebnisse insgesamt unbefriedigend, weil sie nicht hinreichend durch kritische Analyse abgesichert sind.

Das gilt vor allem für die Deboraschlacht, über die im Richterbuch mit Kapitel 4 und 5 eine doppelte Überlieferung vorliegt. Zwar werden die lokalen Angaben der Prosaerzählung und des Liedes sorgfältig besprochen, ein literarischer Vergleich zwischen den beiden Fassungen wird aber nicht geleistet. Ohne näher nach dem literarischen Verhältnis der beiden Fassungen zu fragen, begnügt sich der Vf. mit der Feststellung, "daß sowohl in der Erzählung über die Schlacht (Jdc 4) als auch im Deboralied (Jdc 5) keine historisch exakten Berichte vorliegen, sondern unterschiedliche Überlieferungen über dieses Ereignis festgehalten werden" (183). Eine Entscheidung über Entstehung und Herkunft dieser so unterschiedlichen "Überlieferungen" und über das Verhältnis beider zueinander wird gerade nicht gefällt. Eine Lösung für die eklatanten Widersprüche in den beiden Fassungen mit Hilfe literarkritischer und/oder traditionsgeschichtlicher Analyse wird nicht einmal versucht. Vielmehr begnügt sich der Vf. mit der Feststellung: "Die Widersprüche zeigen, daß es zu dem Ereignis der Deboraschlacht offenbar unterschiedliche und sich widersprechende Überlieferungen gab" (184).

Mit dieser Selbstbescheidung gerät die Notwendigkeit kritischer Hinterfragung der Texte aus dem Blick. An die Stelle methodisch kontrollierter Analyse der Texte tritt dann die Behauptung historischer Wahrscheinlichkeit: "Ein Teil des Stammes Ephraim nahm wahrscheinlich zusammen mit Benjamin, Machir, Issaschar sowie Sebulon und Naphtali an der Deboraschlacht teil" (195). Methodisch wird dieses (möglicherweise richtige) Urteil nicht begründet. Dieser Mangel in der Anwendung historisch-kritischer Methoden macht die Schwäche der Arbeit aus.

Die Studien bleiben methodisch hinter dem Anspruch kritischer Forschung zurück. Sachlich sind die erreichten Ergebnisse kaum brauchbar, weil sie methodisch nicht abgesichert sind. Die Art der Untersuchung ist ebenso überholt wie das stillschweigend vorausgesetzte Bild der Frühgeschichte Israels. Die ältere Literatur wird zwar fleißig zitiert, die seit 1990 erschienenen Arbeiten finden aber so gut wie keine Berücksichtigung. Auch hat der Vf. es versäumt, wichtige Neuerscheinungen nachzutragen. (Die als "mir nicht zugänglich" aufgeführte Arbeit von A. Zertal ist 1992 erschienen.) Die notwendige Bestimmung von Herkunft und Absicht der Stämmelisten ist ebensowenig geleistet wie eine zeitliche Einordnung der Grenzbeschreibungen des Josuabuches. Da der gegenwärtige Stand der Forschung nicht hinreichend aufgearbeitet und reflektiert worden ist, werden die Texte allzu unkritisch als historische Quelle für die Frühgeschichte Israels ausgewertet. Nach der Intention biblischer Geschichtsschreibung in ihren verschiedenen Entwürfen wird nicht gefragt.

Mit der Übernahme des in den biblischen Schriften entworfenen Geschichtsbildes kommt der Vf. zwar zu einem Entwurf der Frühgeschichte Israels, aber mit dem gegenwärtig verhandelten Erkenntnisstand hat dieser nichts zu tun. Die notwendige kritische Hinterfragung des biblischen Geschichtsbildes, wie sie sich heute als Aufgabe wissenschaftlicher Forschung darstellt, wurde leider nicht geleistet.