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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

639-652

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Martin Rösel

Titel/Untertitel:

Die graphe gewinnt Kontur
Die Stellung der Septuaginta in der Theologiegeschichte des Alten Testaments

In den letzten Jahren hat es einen beispiellosen Boom der Septuaginta-Forschung1 gegeben, dessen Ende nicht abzusehen ist. Standen früher vor allem Studien zu Textkritik und -geschichte im Fokus des Interesses, die nur von wenigen Spezialisten betrieben wurden, hat sich nun das Feld der Fragehinsichten und Forscherso erweitert, dass kaum noch ein Überblick zu gewinnen ist.2 Am deutlichsten sichtbar wird das Phänomen an den Übersetzungen der LXX in moderne Sprachen, begonnen mit der seit 1986 in Einzelbänden erscheinenden Bible d’Alexandrie (BdA) über die New English Translation of the Septuagint (NETS, 2007) bis zur Septuaginta Deutsch (LXX.D, 2009); weitere Projekte laufen noch.3

Wie bei einer so jungen Disziplin zu erwarten, sind die Ansätze im Einzelnen sehr divergent, was sich bereits beim Zuschnitt der Übersetzungsprojekte zeigt. So finden in der BdA Fragen der Rezeptionsgeschichte der LXX breite Berücksichtigung. Die amerikanische NETS-Übersetzung orientiert sich demgegenüber am Paradigma der Interlinearität (dazu unten) und versteht die griechische Bibel vor allem vom hebräischen Ausgangstext her. LXX.D nimmt eine Mittelposition ein, da sie die Septuaginta im Vergleich mit NETS stärker als – an die Vorlage gebundenen – selbständigen Text begreift, der Rezeption aber verglichen mit BdA weniger Aufmerksamkeit widmet.

Deutlich wird bei jeder dieser Zugangsweisen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man Lesarten der LXX isoliert zur Rekonstruktion des hebräischen Bibeltextes einsetzen konnte – auch wenn sich das noch nicht bei allen Exegeten/innen des Alten Testaments herumgesprochen hat. Zwar ist es möglich, in bestimmten Fällen vom griechischen Text her auf die jeweilige hebräische oder aramäische Vorlage zurückzuschließen. Doch ist dies nur dann zu verantworten, wenn die spezifische Übersetzungsweise der jeweiligen Schrift beachtet wird. 4

Damit ist angesprochen, worum es in diesem Beitrag gehen soll: Die einzelnen Bücher der Septuaginta zeigen je für sich ein unterschiedliches Profil – nicht nur im Umgang mit ihrer Vorlage in textkritischer Perspektive, sondern auch hinsichtlich der Frage, wie sie die Bibel interpretieren. Damit wird ein Einblick in die frühesten greifbaren Stadien der Rezeptionsgeschichte der Hebräischen Bibel ermöglicht. Anhand der Leitfrage, auf welche Weisen sich die Schriftinterpretation in der LXX vollzogen hat, soll deutlich gemacht werden, wie sich wichtige Aspekte alttestamentlicher Theologie durch die Übersetzung verändern – und auf diese Weise unter anderem auf das Neue Testament und seine Theologie einwirken.

1. Schriftinterpretation

Wer sich mit der Septuaginta beschäftigt, wird gewiss auf zwei Sätze stoßen. Der erste ist die beinahe zum Status einer Binsenweisheit geronnene Aussage, dass jede Übersetzung eine Interpretation ist.5 Der zweite wichtige Satz stammt aus dem Vorwort des Buches des Jesus ben Sirach, der von seinem angeblichen Enkel formuliert wurde: »Denn dasselbe ist in sich nicht gleichbedeutend, wenn es in Hebräisch gesagt ist und wenn es in eine andere Sprache übertragen wird. Nicht allein aber nur das, sondern auch das Gesetz selbst und die Prophezeiungen und die sonstigen Bücher haben einen nicht geringen Unterschied in Bezug auf das in ihnen Ge­-sagte.« (Prolog 21–26; LXX.D)

Die Aussagen legen nahe, dass es notwendig Sinnveränderungen gegeben hat, als die Hebräische Bibel ins Griechische übersetzt wurde. Solche Veränderungen sind auf Interpretationsakte zurück­zuführen, die beim Übersetzen unvermeidbar sind. Damit entstehen Folgefragen:

1. Wie lassen sich solche Interpretationsakte nachweisen? (Im Hintergrund steht die These, dass die Übersetzer nicht selbst interpretierten, sondern ihre Vorlage ohne weitere kreative Intention wiedergaben; Interpretation sei nur ein Phänomen der Rezeptionsgeschichte.)

2. Lassen sich verschiedene Ebenen oder Arten der Interpretation unterscheiden?

3. Lassen sich Gründe oder Strategien für Schriftinterpretationen in der LXX erkennen?

4. Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Übersetzungen der einzelnen Bücher der LXX, und wenn das so ist, sind verschiedene Zugangsweisen zur Schrift und ihrer Auslegung erkennbar?

5. Lassen sich einige umfassende Prinzipien der Schriftinterpretation formulieren, die in allen oder zumindest in den meisten Büchern der LXX erkennbar sind?

Diese Leitfragen sollen dazu dienen, die Problematik mit ihren vielfältigen Schattierungen zu umreißen und zu zeigen, wo in der gegenwärtigen Diskussion die Schwerpunkte liegen.6

2. Ein Beispiel: Der Gesetzgeber in Ps 9,21

Die Komplexität der Septuaginta-Exegese soll an einem instruk­-tiven Beispiel aus dem griechischen Psalter dokumentiert werden. Ps9,21 in der masoretischen Punktation lautet:

הָמֵּה שֹׁונֱא םִיֹוג וּעְדֵי םֶהָל הָרֹומ הָוהְי הָתי ִשׁ – »Lege, Herr, Schrecken auf sie! Erkennen sollen die Völker: Sie sind (nur) Menschen.« In der LXX klingt der Vers anders:

κατάστησον κύριε νομοθέτην ἐπ᾿ αὐτούς γνώτωσαν ἔθνη ὅτιἄνθρωποι εἰσιν – »Setze, Herr, einen Gesetzgeber über sie ein; die Völker sollen erkennen, dass sie Menschen sind.«

Beim Vergleich ist zunächst zu bemerken, dass jedes Element des MT bis hin zu den Suffixen ein Gegenüber im griechischen Text hat. Die syntaktische Abfolge der Worte ist gleich. Dies ist typisch für das, was wörtliche Übersetzung genannt wird; es ist ein Charakteristikum der meisten LXX-Bücher.7 Zu notieren ist, dass der Plural ἄνθρωποι (Menschen) zur Wiedergabe des Singular שֹׁונֱא (Mann/Mensch) steht. Doch das Wort kann kollektiv im Sinne von Menschheit verstanden werden, und der Plural wird durch הָמֵּה (sie) und םִיֹוגּ (Völker) signalisiert; die Übersetzung macht also implizit Gemeintes explizit. Dies lässt sich als linguistische Interpretation verstehen. Da solche Vorgänge notwendig zum Lesen, Verstehen und Übersetzen von Texten gehören, ist es angemessener, sie mit F. Siegert als linguistisches Decodieren8 zu bezeichnen.

Die interessanteste Abweichung ist die Übersetzung von הָרֹומ (Furcht) durch νομοθέτης (Gesetzgeber). Im Horizont der ersten Leitfrage – ist es möglich, Interpretationen nachzuweisen? – scheint eindeutig, dass sich der Sinn des übersetzten Wortes vollständig von seinem Äquivalent in der Vorlage unterscheidet. Zudem wird die Bedeutung des gesamten Verses eine andere: Die Völker sind nicht durch eine abstrakte Gottesfurcht dazu in der Lage, ihre Menschlichkeit/Humanität zu erkennen, sondern durch die Tora.

Woher stammt diese Interpretationsleistung? Da die LXX eine Übersetzung ist, kann sie theoretisch auf eine andere Vorlage zu­rückgehen, also nicht selbst interpretieren. Im Fall von Ps 9,21 gibt es tatsächlich eine Variante in der hebräischen Textüberlieferung: Verschiedene Handschriften lesen statt הָרֹומ (Furcht) אָרֹומ. Doch dies ist eine orthographische Variante, die die unüblichere Lesart mit auslautendem he in die häufigere mit alef korrigiert. Die Übersetzung Gesetzgeber ist demnach nicht textkritisch erklärbar, sondern sie muss als Interpretation gesehen werden, die im Zuge des Übersetzens geschah.

Die eingangs genannte zweite Frage war, welche Art von Interpretation in einem fraglichen Text zu erkennen ist. Der Übersetzer hatte ja im Unterschied zu uns Heutigen nur einen Konsonanten­text (KT) vor sich, der הרומ las. Dies wurde wohl als Partizip Hif´ il der Wurzel הרי III verstanden, was unterrichten, lehren (HAL) heißen kann. Das sprachliche Decodieren weist demnach auf den Sinngehalt Lehrer hin (הֶרֹומ ). Möglicherweise wurde aber auch eine etymologische Verbindung zu הָרֹותּ (Weisung) gesehen, das ebenfalls von der Wurzel הרי abgeleitet werden kann.9 Eine Kombination linguistischer Überlegungen kann also dazu geführt haben, die Bedeutung Lehrer zu Gesetzgeber zu erweitern. Dies ist eindeutig eine theologische Interpretationleistung, da sich an anderen Stellen im griechischen Psalter wörtliche Übersetzungen von הרי (lehren, unterrichten) finden.10 Da es hier um Gott selbst geht, hat das neue Verständnis noch weiter reichende Folgen: Gott bringt den Völkern nicht Furcht, sondern seine helfende Tora.

Frage 2 nach der Art der Interpretation lässt sich allerdings auch in anderer Weise beantworten, die zur dritten Frage (Interpretationsstrategien) überleitet: Obwohl das fragliche νομοθέτης (Ge­setzgeber) in Ps 9,21 ein hapax legomenon in der LXX ist, kann man doch vergleichbare Interpretationen finden. Nach Ps 84(83),7 kann der Fromme durch ein Tal gehen, das der Frühregen (הֶרֹומ) mit Segen bedeckt hat. In der LXX wurde eine Interpretation wie im Fall von Ps 9,21 gewählt. »Der Gesetzgeber (ὁ νομοθετῶν) wird Segen bringen«. Hier in Ps 84(83),7 wurde also die schwierige Metapher von Tal und Frühregen vermieden – vielleicht weil sie in Ägypten unpassend schien. Stattdessen wurde erneut der Heilscharakter des göttlichen Gesetzes betont. Auch in anderen Psalmen wird das Verb הרי (lehren, unterrichten) durch νομοθετέομαι (Gesetz geben/ erlassen) übersetzt.11 Offenkundig wollte der Übersetzer unterstreichen, dass die Tora die einzig verlässliche Grundlage des Lehrens sein kann, daher kann man annehmen, dass er dann eine besondere Interpretationsstrategie verfolgte, wenn es inhaltlich um Unterrichtung und Erziehung ging.

Damit lässt sich auch die dritte Frage positiv beantworten: Es gibt demnach in den Psalmen eine Interpretationsstrategie hinsichtlich der Tora, die die Wiedergabe einzelner Verse im ganzen Buch beeinflusst hat.12

Erneut lässt sich auch diese Frage in einer alternativen Weise beantworten: Die Übersetzung Gesetzgeber in Ps 9,21 etc. ist nämlich auch vom Phänomen der Intertextualität her erklärbar;13 der Übersetzer verweist mit seiner Wahl der Äquivalente auf andere, früher übersetzte Texte zurück. Das kann zum einen daran liegen, dass man sich in Ermangelung eines Lexikons14 an anderen Texten orientiert hat.15 Ebenso möglich ist, dass der Übersetzer selbst Verbindungslinien zwischen bestimmten Texten und Vorstellungen ziehen wollte. Die Übersetzung hätte dann einen weiteren Horizont von theologischen Konzepten als das Original.

Im Fall des Gesetzgebers aus Ps 9,21 scheint die Übersetzung tatsächlich auf Ex 24,12 und Dtn 17,10 zurückzuverweisen, wo das Verb הרי (lehren) auf die Tafeln mit den Geboten zu beziehen ist. An beiden Stellen hatten die Übersetzungen νομοθετέομαι (ein Ge­setz geben/erlassen) verwendet. Das Verbum wurde also im griechischen Pentateuch in die biblische Sprache eingeführt, um den besonderen Charakter des göttlichen Lehrens zu betonen. Der Psalmübersetzer bindet dann später über die intertextuellen Beziehungen seine Hinweise auf die Tora an die Offenbarung auf dem Sinai zurück. Die theologischen Aussagen der LXX sind also nicht einfach deckungsgleich mit denen der Hebräischen Bibel, sondern es lassen sich umfassendere Konzepte feststellen.

In der Psalmen-LXX kommt hinzu, dass auch das Motiv der göttlichen Erziehung besonders verstärkt wird. Das ist an interpretierenden Übersetzungen wie Ps 2,12 abzulesen: »Ergreift die Un­terweisung, damit der Herr nicht erzürnt wird«; der MT hat nur in Fortsetzung des schwierigen V. 11: »damit er nicht zürnt.« Der berühmte V. 10 aus Ps 90(89) »Unser Leben währet 70 Jahr ...« wird in der LXX ebenfalls mit einem nicht vom MT vorgegebenen Hinweis auf die Erziehung beschlossen: »denn Sanftheit ist auf uns gekommen und wir werden unterwiesen werden«. Eine ähnliche Tendenz findet sich in Ps 119(118),66, wo statt »Güte und Erkenntnis lehre mich« (MT) »Güte und Unterweisung und Erkenntnis lehre mich« (LXX) steht.

3. Die griechische Bibel als Schriftensammlung und die Frage nach umfassenden Konzepten


Die Diskussion von Ps 9,21 konnte exemplarische Antworten auf die ersten drei Leitfragen geben. Was Frage 4 und die Problematik der einzelnen Übersetzungseinheiten angeht, so ist es inzwischen – im Unterschied zur älteren LXX-Forschung – selbstverständlich geworden, dass jedes Buch als eigenständige Einheit zu betrachten ist. Meist sind die Bücher auch von nur einem Übersetzer – oder einer gleichartig arbeitenden Gruppe – übertragen worden. Eine Ausnahme bildet das Buch Exodus, das von zwei deutlich zu unterscheidenden Übersetzern stammt. 16

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind die Bücher der LXX zwischen dem 3. Jh. v. und dem 1. Jh. n. Chr. übersetzt worden; dies vor allem in Alexandria, aber teils auch in Israel, Antiochia oder Leontopolis.17 Es sei aber darauf hingewiesen, dass bei dieser Frage ein schwerwiegendes Desiderat der Forschung liegt, denn die Thesen zur absoluten und relativen Chronologie der Übersetzungen stützen sich meist auf wenige Detailbeobachtungen, auch die Lokalisierung ist bei einigen Büchern, etwa den Psalmen, sehr strittig.18 Die chronologischen und geographischen Milieus sind aber als hermeneutischer Hintergrund der jeweiligen Übersetzer zu bedenken. Die Art, wie die Schrift interpretiert wird, hängt ja auch von übergeordneten theologischen Tendenzen und religiösen Erfahrungen ab, die zu bestimmten Zeiten und in konkreten sozialen Gruppen vorherrschen; als wichtige Faktoren wären etwa die Diasporasituation oder die Erfahrungen der Makkabäerkrise zu nennen.

Die unterschiedlichen Herkunftsmilieus der Schriftensammlung LXX haben Konsequenzen für die Beantwortung der fünften Leitfrage, ob es umgreifende Prinzipien der Schriftinterpretation in der ganzen LXX gibt. Die grundsätzliche Antwort darauf kann nicht positiv sein, denn es gibt immense Unterschiede zwischen einzelnen Büchern, etwa zwischen Hiob auf der einen und Kohelet auf der anderen Seite, oder zwischen Exodus und Samuel. Gemeinsame, für alle gültige Charakteristika können daher nicht formuliert werden. Doch die einzelnen Übersetzungen lassen sich auf der Grundlage gemeinsamer Merkmale zu Gruppen sortieren, so dass man immerhin für diese einige grundsätzliche Interpretationslinien formulieren kann – etwa für den Pentateuch. 19 Als wichtige Informationsquelle dafür können die Einführungen zu den einzelnen Büchern der LXX dienen, die in Septuaginta-Deutsch den Übersetzungen vorangestellt wurden.

Um den Zugang über theologische Themen zu illustrieren, sei die nomos-Thematik wieder aufgenommen. In einer ganzen Reihe von Übersetzungen steht nämlich dieses Lexem nicht nur für hebräisches הָרֹותּ (Weisung), sondern auch für andere Worte wie

הָקֻּח (Satzung) oder ט ָפּ ְשִׁמ (Urteil, Rechtssatz). Hinzu kommt, dass auch der Komplementärbegriff ἀνομία (Gesetzlosigkeit) zur Wie­dergabe einer ganzen Reihe von hebräischen Worten verwendet wurde, die verschiedene Arten von Sünde, Gesetzeswidrigkeit oder Ungerechtigkeit bezeichnen. Die Vorstellung vom nomos und die negativen Konsequenzen des Abweichens von Gottes Weisung sind also in der griechischen Bibel deutlich präsenter und pointierter als in der masoretischen. Auf diese Weise werten die meisten Bücher der LXX die Bedeutung des göttlichen Gesetzes auf. Ein vergleichbarer Prozess kann in den späten Schriften des Alten Testaments oder in Qumran gesehen werden.20 Die einzelnen Übersetzungen sind also ganz offensichtlich durch eine umfassende theologische Konzeption beeinflusst. Das aber bedeutet, dass sich die fünfte Frage dann positiv beantworten lässt, wenn man sie auf eine spezifische Fragestellung und auf eine Gruppe von Büchern einschränkt, in denen sich das fragliche Phänomen feststellen lässt.

Im Horizont einer Biblischen Theologie ist dies von höchstem Interesse. Es zeigt sich nämlich, wie Entwicklungen der Spätzeit – hier am Beispiel des Gesetzesverständnisses zu sehen – auf das Verständnis älterer Stoffe zurückwirken und dieses modifizieren. Der hohe Stellenwert, den das Problem des nomos in der Theologie des Paulus hat, ist ohne diese Entwicklung wohl kaum zu verstehen.

4. Ein minimalistisches Gegenkonzept: the paradigm of interlinearity


Die eben vorgetragene Exegese von Ps 9,21 und die fünf Leitfragen gehen davon aus, dass die Übersetzer einen verständlichen Text produzieren wollten, der auch unabhängig vom hebräischen Original gelesen und verstanden werden konnte. Dieser Überzeugung folgt auch das Konzept der Übersetzung Septuaginta-Deutsch. Demgegenüber folgt jedoch die New English Translation of the Septuagint einem völlig anderen Ansatz.21 Danach sei die LXX ursprünglich nur als Hilfsmittel zum Verstehen des hebräischen Bibeltextes gedacht gewesen und sei daher am besten als interlineare Übersetzung ohne eigene Aussageintention vorzustellen. Dieses Urteil gelte für die meisten Bücher der LXX. Schriftinterpretation ist damit eine Kategorie, mit der erst im Verlauf der Rezeptionsgeschichte des so entstandenen Textes zu rechnen wäre. Demnach hätte die LXX keine eigene Rolle in der Theologiegeschichte und wäre eher als Durchgangsstadium anzusehen. Die im Folgenden gegebenen Beispiele widerlegen jedoch dieses Paradigma so eindeutig, dass auf eine ausführlichere Diskussion verzichtet werden kann, zumal bereits wichtige Gegenargumente geäußert wurden. 22

5. Konturierung: Interpretationsleistungen in der LXX


In der Forschung ist eine ganze Reihe von Gründen dafür genannt worden, weshalb der Text beim Übersetzen interpretierend verändert wurde. Strittig ist unter anderem, ob dies intentional geschehen ist, die Übersetzer also auch als Redakteure anzusehen sind, oder ob die Veränderungen eher unabsichtlich geschehen sind. Dann hätten die Übersetzer einfach den Text so wiedergegeben, wie sie ihn verstanden haben, ohne kreative Absicht. Nicht immer ist eine eindeutige Entscheidung möglich, wie ein Beispiel aus dem Buch Ruth zeigt. Dessen griechische Version gilt als sehr eng an der Vorlage orientiert. Dennoch zeigen sich auch hier signifikante Abweichungen. Zur Debatte steht die Übersetzung von םיִהׂלֱא (Gott), das zwar meist auf den einen Gott Israels zu beziehen ist, in Formulierungen wie םיִרֵחֲא םיִהׂלֱא (andere Götter) aber als Plural zu deuten ist. In Ruth 1,15.16 kehrt Orpa nach dem MT zu »ihrem Gott« zurück, während Ruth in 1,16 mit Noomi zu deren Gott geht. Der Übersetzer hat hier differenziert und in 1,15 den Plural gewählt: Die Moabiterin Orpa geht »zu ihren Göttern« zurück, während in 1,16 mit »dein Gott ist mein Gott« der Singular steht, da es hier um den Gott Israels geht.23

Man wird nicht klären können, ob eine absichtliche Textverbesserung vorliegt oder ob die Differenzierung zwischen polytheistischen Nachbarn und monotheistischem Israel so selbstverständlich war, dass unbewusst so übersetzt wurde. Doch erneut ist eindeutig, dass die LXX eine differenziertere theologische Aussage als ihre Vorlage hat. Solche Interpretationen konnten auch geschehen, weil die Übersetzer schwierige Abschnitte erklären, Aussagen miteinander harmonisieren oder Missverständnisse vermeiden wollten. Es lässt sich auch zeigen, dass die Texte einer veränderten sozialen oder historischen Situation – z. B. in der Diaspora – angepasst wurden.

Im Folgenden sollen Beispiele für diese partielle Neukonturierung der Bibel gegeben werden. Sie stammen meist aus dem Pentateuch oder den Psalmen, da diese Übersetzungen am besten erforscht sind. In prophetischen Texten und im Proverbienbuch lässt sich oft ein noch höheres Maß an Interpretation feststellen, da Prophezeiungen ohnehin für Aktualisierungen offen waren und erzieherische Texte für eine Anwendung in der konkreten Unterrichtssituation gedacht waren.24 Die Beispiele folgen einer groben Klassifikation, die sich an den obigen Leitfragen 2 und 3 orientiert.25

a) Die fremdartige Schrift


Um mit einem seltsamen Phänomen anzufangen: Es gibt Stellen, an denen die Übersetzer ganz offensichtlich eine Interpretation des hebräischen Textes verweigern. So wird etwa in Gen 6,14 beim Bau der Arche νοσσία (Nest, auch Bienenkorb) für ןֵק (Kammer); Noah soll die Arche mit einzelnen Nestern = Abteilungen bauen. Mög­-licherweise, so J. Barr26, hat der Übersetzer den Text nicht verstanden und das Problem durch die wörtliche Übersetzung an seine Leser weitergereicht. Ein vergleichbares Beispiel findet sich in Gen 11,1, wo aus »eine Sprache« (תָחֶא הָפָשׂ) in der LXX das kaum verständliche »eine Lippe« (χεῖλος ἕν) wird.27 Interessanterweise zeigt sich in beiden Versen auch das gegenteilige Verfahren, da andere schwie­rige Passagen durch freie Wiedergaben oder Zufügungen geklärt wurden.

Das Phänomen begegnet auch in anderen Übersetzungen. So gibt es im Königebuch die Strategie, schwierige Wörter zu transkribieren (4Kön 20,12; 23,7).28 In den Psalmen lassen sich, so A. Schenker, »gewollt dunkle Wiedergaben« feststellen, wie in Ps 28(29),6. Statt »er lässt den Libanon hüpfen wie ein Kalb« steht hier das im Kontext unverständliche »Er wird sie zermalmen wie das Kalb, den Libanon«.29 Möglicherweise steht hinter dieser Interpretationsverweigerung die theologische Annahme, dass sich der Sinn der Schrift auch dann übertragen lässt, wenn die eigentlichen Worte kaum verständlich sind.30 Möglich ist auch, dass bewusst Altertümlichkeiten oder Fremdheiten zugelassen wurden, um so die Besonderheit des alten, heiligen Textes auch im Griechischen zu signalisieren.31 Es ist zuzugeben, dass das Phänomen bislang kaum erforscht ist.

b) Sprache und Theologie


Obwohl der Vorgang des Vokalisierens des hebräischen Konsonantentextes nicht als Interpretation, sondern als sprachliches Decodieren zu bezeichnen ist, gibt es viele Fälle, in denen die Grenzen fließend sind. Die Ableitung einer hebräischen Form ist dann abhängig von der angenommenen Bedeutung des gesamten Abschnitts. Ein Beispiel dafür bietet Hab 3,5, wo der MT über Gottes Kommen aussagt: »Vor ihm her geht die Pest« (רֶבָדּ ֶלֵי ויָנָפְל). Der Übersetzer hat aber רבד (Pest) von רָבָדּ (Wort) abgeleitet, vielleicht um die Aussage zu vermeiden, Gott bringe Krankheit. Daher seine Übersetzung: »Vor seinem Angesicht wird ein Wort hergehen«. Nun passte aber die zweite Vershälfte nicht mehr, daher wurde auch hier die Übersetzung angepasst: »und er wird herausgehen, seine Füße in Sandalen«; womit ein Anthropomorphismus in Kauf genommen wurde. Der MT liest dagegen: »und die Seuche zieht aus in seinem Gefolge«.32

Bis heute ist die genaue Bedeutung von יַדַּשׁ לֵא (oft: Allmächtiger) unklar. Schon in den ältesten Übersetzungen lässt sich diese Unsicherheit feststellen: In der Genesis-LXX steht z. B. ὁ θεός σου/μου (dein/mein Gott; Gen 17,1; 48,3), was die Beziehung zwischen Gott und den Vätern betont. Diese Übersetzung rührt wohl daher, dass ידשׁ aus aramäischem יִדּ (mit dem Relativpartikel ֶשׁ oder לֶשׁ) gebildet wurde, einer Partikel der Relation bzw. zur Bezeichnung des Genitivs. Spätere Übersetzer haben andere Strategien angewendet: Im Buch Ruth findet man ὁ ἱκανὸς (der [allein] Genügende; 1,20) für יַדַּשׁ לֵא, was auf der Ableitung von hebräisch יַדּ (genügend) beruht. Nun ist also eine monotheistische Aussage zu lesen. Eine dritte Lö­sung findet sich im Buch Hiob, das zu den am freiesten übersetzten Schriften des Alten Testaments gehört. ידשׁ wird hier mit παντο­-κράτωρ (Allherrscher; 5,17) übersetzt, das in anderen Bü­chern für תֹואָבְצ (üblicherweise: [Herr der] Heerscharen; z. B. Hab 2,13) stand. Das sprachliche Problem ist durch einen intertextuellen Bezug gelöst worden.33 Auch hier wird das theologische Anliegen motivierend gewesen sein, Gottes Macht angemessen auszudrücken.

Ein anderes Phänomen das hier vorgestellt werden kann, ist das der Wort- und Satztrennung.34 In Ps 90(89),2.3 hat der Übersetzer das letzte Wort von V. 2 לֵא (Gott) als Eröffnung von V. 3 gesehen und zusätzlich als Negation לַא verstanden. V. 3 lautet nun in der LXX: »Führe den Menschen nicht fort in die Erniedrigung«; der MT hat das Gegenteil: »Du lässt den Menschen zum Staub zurückkehren«.

Aus den wenigen Beispielen wird deutlich, dass sprachliche oder orthographische Besonderheiten den Übersetzer zu einer eindeutigeren Lösung nötigten. In diesen Prozess sind seine eigenen religiösen Überzeugungen oder theologischen Konzepte eingeflossen.35 Es gab also keine prinzipielle, immer angewendete Strategie der Übersetzer, wohl aber eine Offenheit, den Text nötigenfalls zu verbessern.

c) Die verbesserte Bibel


Neben der Bereitschaft, an manchen Stellen schwierige, ja unverständliche Übersetzungen zu akzeptieren, gibt es häufiger das gegenteilige Phänomen, den Text zu verbessern. Instruktiv in dieser Hinsicht sind die vielfältigen Harmonisierungen. So wurden etwa in Gen 1 die im MT an manchen Stellen fehlenden Struktur­einheiten nachgetragen. Auch wurde das Problem der zwei aufeinanderfolgenden Schöpfungsberichte minimiert, vgl. Gen 2,3 (LXX): »Gott ruhte von all seiner Arbeit, die zu tun er begonnen hatte«; der MT hat: »denn an ihm ruhte er von all seinem Werk, das Gott geschaffen hatte, indem er es machte ...«. In 2,9.19 wurde ἔτι eingetragen (weiterhin hat Gott gemacht ...) und so betont, dass es nur einen Schöpfungsakt gegeben hat. Doch der Übersetzer hat es nicht bei diesen Details belassen, sondern durch eine bewusste Wortwahl wurden Gen 1 und 2 offenbar nach dem Vorbild des platonischen Schöpfungsberichtes aus dem Timaios gestaltet, indem zwischen der Erschaffung der Seelenwelt (Gen 1) und der der Materiewelt (Gen 2) differenziert wurde.36

Harmonisierungen finden sich auch über Buchgrenzen hinweg. In Num 1 wurde etwa die Stämmeliste durch umfangreiche Zufügungen und Auslassungen so arrangiert, dass sie der Reihenfolge der Söhne Jakobs in Gen 35 und 49 entspricht. An anderen Stellen orientierte sich die Übersetzung an verwandten Texten, deutlich wird das etwa bei den Bileam-Orakeln, die auf den messianisch verstandenen Juda-Spruch aus Gen 49,10 anspielen (Num 24,7.17).37

Ein anders gearteter Weg, den Text zu verbessern, bestand in einer differenzierten Stilistik. Hebräische Erzählungen sind durch ihren parataktischen Stil charakterisiert, bei dem die Sätze meist durch und verbunden sind. Die einfachste Lösung dies aufzulo­ckern bestand darin, das verbindende waw nicht nur durch καί, sondern auch durch andere Partikel, vor allem das adversative δέ, wiederzugeben. Das lässt sich leicht in Gen 3 sehen: In 3,1 steht de, um den Neueinsatz zu signalisieren. In 3,3 steht de zur Betonung des zentralen Gebotes und in 3,17 signalisiert de den abschließenden Fluch über den Adam. Eine ähnliche Struktur wurde über Gen 4 gelegt; der Übersetzer pointierte so, was ihm wichtig war.

In der Flutgeschichte und in der Bileamgeschichte wurde die parataktische Syntax durch die Verwendung von Partizipien zu einer hypotaktischen Struktur verbessert, die die Dynamik des Geschehens erhöht und im Griechischen besser klingt.38 An anderen Stellen wurde die Zeitperspektive geändert (Gen 22,14) oder statt eines Fragesatzes eine Aussage formuliert (Num 14,3).

Viele dieser Verbesserungen haben den Zweck gehabt, ungriechisch klingende Hebraismen zu vermeiden. Doch es findet sich auch das Gegenteil: In Num 8,9 wird das hebräische »versammle die ganze Gemeinde der Israeliten« (לֵאָרְשִׂי יֵנְבּ תַדֲע־לָכּ־תֶא ָתְּלַהְקִהְִו) mit »versammele die ganze Versammlung ...« (καὶ συνάξεις πᾶσαν συνα­γωγὴν) übersetzt. Nun hat die LXX die figura etymologica, die im Griechischen nicht sehr gebräuchlich war.39 An anderen Stellen wurde die hebräische figura etymologica nicht wiedergegeben. Dies zeigt Gen 11,3. Dort wurde die erste fig. etym. übersetzt: »lasst uns Ziegel ziegeln« (πλινθεύσωμεν πλίνθους), die zweite aber nicht: »lasst sie uns in Feuer brennen« (für »lasst sie uns zu Ge­branntem brennen«). Ähnliches gilt für den Parallelismus membrorum, der besonders in den Psalmen und Proverbien öfter neu konstruiert wurde.40 Es ist nicht erkennbar, weshalb manche He­braismen beibehalten, andere vermieden und wieder andere sogar imitiert wurden.

Da die Phänomene in der Regel nicht mit einer anderen hebrä­-ischen Vorlage erklärt werden können, muss man schließen, dass die Übersetzer einen eigenständigen Text produzieren wollten, der nicht notwendig in den Details auf das hebräische Original zurück­verweisen musste. Offenbar galten Veränderungen der Schrift als akzeptabel, die ihre Überzeugungskraft erhöhten, etwa durch Widerspruchsfreiheit. Dieses Vorgehen erinnert an das in Qumran belegte Phänomen des re-writing biblischer Stoffe, z. B. im Genesis-Apokryphon, aber auch in der biblischen Chronik.

d) Die modernere Bibel


Ähnlich verstehen lassen sich Versuche, Details der biblischen Texte zu modernisieren oder zu identifizieren, wie das bis heute in Bibelrevisionen geschieht. In Dtn 26,5 ist etwa zu sehen, dass Aram mit Syria identifiziert wurde, was damals unmittelbar als das Gebiet der Seleukiden transparent war. Padan-Aram, wo Jakobs Verwandter Laban wohnte, wurde zu Mesopotamia (Gen 28,5), aus Edom wurde Idumea (Gen 36,16) und aus dem ägyptischen On Heliopolis (Gen 41,45).

Besonders in der griechischen Josephsgeschichte lässt sich eine Fülle von ägyptischem Lokalkolorit finden; so wurden in Gen 50,2 aus den םיִאְפֹרָה (Ärzte) die ἐνταφιασταί (Einbalsamierer). Im Numeribuch werden die Stämme Israels nicht mehr in Sippen (הָחָפְּשִׁמִ), sondern in Volksgruppen (δῆμος; 1,20) organisiert; dies war die übliche Bezeichnung für ethnische Gruppen im hellenis­tischen Ägypten. Die Offiziellen der Israeliten heißen nun Rats-­leute σύγκλητοι βουλῆς, im hebräischen Text sind sie nur Beru­-fene der Versammlung (Num 16,2). Es ist eindeutig, dass hier ver­-altete oder unbekannte Bezeichnungen der Schrift modernisiert wurden. Das gilt z. B. auch für den Segen, den Gott nach der Flut spricht (Gen 8,22). Im hebräischen Text wird versprochen, dass »Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter« nicht enden werden. Die LXX hat hier am Ende »Sommer und Frühling«, was zunächst überrascht. Doch im ägyptischen Kalender gibt es nur drei Jahreszeiten mit vier Monaten: Überschwemmung (Winter), Hitze (Sommer) und Aufsprießen und Ernte (Frühjahr). Folglich werden Sommer und Frühjahr als unfruchtbarste und fruchtbarste Jahreszeit gegenübergestellt.

Als letztes Beispiel in dieser Kategorie soll auf das Grundverständnis der Sintflut hingewiesen werden: In Gen 6–9 steht das hebräische לוּּבַמ (Flut), das in der LXX durch κατακλυσμός (7,6) übersetzt wurde. Dieses Wort hat im Griechischen eine feste Prägung, da es auf Eudoxos von Knidos zurückgeht. Er entwickelte die Theorie, wonach es regelmäßig dann Katastrophen gibt, wenn die Planeten in einer Linie stehen; dies wurde etwa von Plato ausdrück­lich akzeptiert (Timaios 22a-g; 39d). Der griechische Text bringt also biblischen Bericht und aktuelles Weltwissen in Übereinstimmung, außerdem wird die Flut nicht so sehr als strafender Akt eines zürnenden Gottes, sondern als Naturphänomen erklärt. 41

Es gibt eine Fülle weiterer Hinweise darauf, dass die Übersetzer eine gute Kenntnis der zu ihrer Zeit aktuellen kulturellen und philosophischen Diskussionen hatten.42 Daher wurde wohl auch die Chronologie der Bibel so angepasst, dass es nicht zu einer Diskrepanz mit der etwa zeitgleich bei Manetho fixierten ägyptischen Chronologie kam (Gen 5 und 11).43 Insofern ist das Urteil von K. Schmid verständlich, wonach die LXX Quelle eines Judentums ist, »das seine zentrale Überlieferung als mit der damaligen globalen Leitkultur kompatibel ausweisen will«.44 Es gibt jedoch auch Grenzen dieses Eingehens auf die Umwelt, was vor allem die Vorstellung von Gott betrifft.

e) Der Gott der Septuaginta


Einer der Brennpunkte der LXX-Forschung der letzten Jahre war die Suche nach einer spezifischen Theologie, die sich in den griechischen Übersetzungen spiegelt. In einer Fülle von Arbeiten wurde auf Abweichungen des griechischen Textes bei anthropo­logischen, messianischen, kultischen oder im engeren Sinne theologischen Fragen hingewiesen. Einige wenige Beispiele mögen reichen, um meinen Eindruck zu belegen, dass die Übersetzer auch theologische Denker mit eigenem Gestaltungswillen waren. 45

Eine wichtige Abweichung ist in der schwierigen Geschichte von Kain und Abel in Gen 4 zu sehen. Der hebräischen Text von V. 7 ist kaum zu verstehen, möglicherweise ist er beschädigt. »Ist es nicht, wenn du recht tust – erheben? Wenn du aber nicht recht tust, lagert die Sünde vor der Tür.« Der Übersetzer wollte einen verständlichen Text produzieren, wobei er auch zeigen wollte, warum Gott das Opfer Kains nicht angenommen hat, das doch nach den Regeln der Tora akzeptabel ist. 46 Daher schrieb er: »Ist es nicht so, dass, wenn du richtig dargebracht, aber nicht richtig zerteilt hast, du gesündigt hast?«47 Auch wenn dieser Text ebenfalls nicht ganz einfach zu verstehen ist, ist doch das theologische Problem gelöst: Kain hat das Opfer nicht in rituell korrekter Weise zerteilt, daher kann Gott nicht dafür verantwortlich gemacht werden, das Opfer grundlos nicht angenommen zu haben.

Nur kurz sei daran erinnert, dass in Gen 4 ein weiterer Aspekt des Gottesbildes der LXX zu greifen ist: Während der hebräische Text durchgängig das Tetragramm verwendet, differenziert der Übersetzer hier (wie an anderen Stellen) bei der Wiedergabe des Gottesnamens. ‘o θεός (Gott) steht für das Tetragramm, wenn es um den anklagenden und strafenden Gott geht: In V. 4 und 6 spricht κύριος ὁ θεός zu Kain, in V. 9 und 10 klagt ὁ θεός den Mörder an, der in V.16 weggeht aus der Gegenwart Gottes (τοῦ θεοῦ). Nur in zwei Versen wird das eigentlich immer zu erwartende κύριος (Herr) verwendet, in V. 3 im Opferkontext und in V. 13, dem Gebet Kains. κύριος wird also dann vermieden, wenn es um negativ scheinende Aspekte des göttlichen Handelns geht; ein ähnliches Bild zeigt sich in Gen 38. Damit werden Differenzierungen vorweg genommen, die später bei Philo einerseits und den Rabbinen andererseits greifbar sind.48

Das Bemühen um ein unzweideutiges, positives Gottesbild lässt sich auch in anderen Büchern feststellen, zu erinnern ist an das Eingangsbeispiel von Ps 9,21, wonach Gott den Völkern keine Furcht, sondern die Tora bringt. Auffällig ist auch Ex 15,3: Nach dem MT ist der Herr ein Kriegsmann (הָמָחְלִמ שׁיִא הָוהְי). In der LXX wird der Sinn exakt umgekehrt, der Herr ist συντρίβων πολέμους, er ist einer, der die Kriege zerschlägt. Einige Übersetzer haben auch anthropomorphe Züge Gottes vermieden,49 andere umgingen metaphorische Bezeichnungen, wie etwa die in den Psalmen häufige Rede von Gott als Fels, so wurde in Ps 78(77),35 רוּצ durch βοηθός (Helfer)50 ersetzt. Ähnliches ist auch in Ps 84(83),12 festzustellen: Gott ist nicht Sonne oder Schild, so der MT, sondern einer, der Mitleid und Wahrheit liebt.

Schluss


Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen, zu nennen wäre etwa die strittige Frage nach einem gesteigerten Messianismus der griechischen Bibel, ihrem veränderten Zugang zum Kult oder die an­- dere Pointierung biblischer Personen wie etwa Mose und Aaron.51 Doch auch so ist deutlich, dass die LXX Zugang zu den ältesten Stufen der jüdisch-hellenistischen Schriftinterpretation eröffnet. Dabei nimmt sie eine interessante Doppelfunktion wahr, denn sie ist – zumindest im Bereich des Pentateuchs – gleichzeitig Schrift mit kanonischem Anspruch und Interpretation der (hebräischen) Schrift. Das Dictum »scriptura sacra sui ipsius interpres« erhält so einen ganz neuen Sinn. Etwa zur selben Zeit entstehende Schriften wie das Danielbuch belegen ebenfalls das Phänomen, dass die Schrift gedeutet und aktualisiert werden muss – erinnert sei nur an die Auslegung der 70 Jahre aus Jer 25 in Dan 9 –, doch ob diese Bü­cher mit dem Anspruch entstanden, selbst Schrift werden zu wollen, ist offen.

Im Vergleich mit anderer, zeitgenössischer Interpretationsliteratur, etwa aus Qumran,52 werden aber auch Differenzen deutlich. Das Ziel der Übersetzer war nicht – von Ausnahmen abgesehen – ein re­writing der Bibel53 oder ein Kommentar oder päschär. Ihre Absicht war eher, eine autoritative Bibel für die Zwecke des Judentums in der hellenistischen Welt herzustellen. Da sie sich dessen bewusst waren, dass sie keinen normalen Text, sondern die Schrift schlechthin übersetzten, fühlten sie sich offensichtlich an be­stimmte Vorgaben ge­bunden. Diese sind bislang nicht im Einzelnen klar. Es ist aber interessant zu sehen, dass die früher übersetzten Bücher meist die freier übersetzten sind und mehr eigene Interpretationsleistungen aufweisen. Es ist zu vermuten, dass die Ver­breitung des griechischen Pentateuchs in den Gemeinden eine Diskussion ausgelöst hat, wo die Grenzen der Freiheit beim Übersetzen liegen. Doch auch deutlich wörtlichere Übersetzungen wie die der Psalmen oder des Buches Ruth zeigen ein erstaunliches Maß an dynamischer Äquivalenz. Wie ihre hebräischen Vorläufer sollen sie – auch in die neue Sprache ge­kleidet – wirksames Wort sein und Vertrauen in den Gott Israels und seine gerechte Herrschaft über die ganze Welt ausdrücken.

Möglicherweise hat die Diskussion um die Genauigkeit einer Übersetzung einen weiteren Prozess in Gang gebracht: Eingangs war der Hinweis aus dem Prolog des Sirachbuches zitiert worden, dass sich Original und Übersetzung nicht wenig voneinander unterscheiden würden.

Diese Einsicht musste Fragen nach verlässlichen Textformen der Bibel generieren. Tatsächlich werden diese im Aristeasbrief thematisiert, in dem nicht nur von früheren, ungenauen Übersetzungen die Rede ist, sondern auch vor Veränderungen der einmal übersetzten Bibel gewarnt wird. Das lässt sich unter Umständen als alexandrinische Polemik gegen einen erweiterten, die Prophetenbücher einschließenden Kanon auslegen.54 Nach einer ansprechenden Vermutung von A. Lange ist hier aber auch ein möglicher Ansatzpunkt für die Revision der verschiedenen umlaufenden hebräischen Textformen hin zum sog., in Qumran belegten »Proto-Masoretischen Text« zu sehen, da ja auch die Frage nach der Verlässlichkeit der Vorlage in den Blick gerückt sein musste.55 So hätte die LXX auf eine der wichtigsten Entwicklungen des hebräischen Bibeltextes zurückgewirkt.

Bei dieser Rezensionsarbeit am hebräischen Text sind frühere Stadien der biblischen Überlieferung unterdrückt worden. Hier er­öffnet sich schließlich eine weitere Dimension der LXX-Forschung, denn in einigen Fällen ist offensichtlich über die griechische Übersetzung oder die auf ihr basierende Vetus Latina der Zugang zu älteren, ursprünglich hebräischen Textstadien möglich, die Eigenarten aufweisen, die deutlich vom theologischen mainstream der hebrä­-ischen Bibel abweichen. Besonders im Fall der Königebücher wird diskutiert, ob nicht der heutige hebräische Text ein jüngeres Stadium widerspiegelt, als es übliche Redaktionstheorien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk nahelegen; zu verweisen ist hier vor allem auf die Arbeiten von A. Schenker.56 Die Diskussion darüber ist in vollem Gange, und ihr Ausgang ist noch nicht abzusehen. Dennoch ist deutlich, dass auch diese Facette der Forschung belegt, dass die Bedeutung der Septuaginta für die alttestamentliche Wissenschaft mit Recht immer höher wird.

Summary


The article attempts to give an introduction into recent developments in Septuagint research. Using the problem of scriptural interpretation as a guideline, it is demonstrated that there have been different strategies to translate the Hebrew texts in an appropriate way. Even books which usually are regarded as fairly literal (Psalms, Ruth) show a significant range of interpretative elements. This means that the Greek version of the Bible attests to the earliest stages of the history of reception of the Jewish scriptures. Moreover, the translators obviously wanted to express how in their view the Bible should be understood. That is why the Greek graphe used by the writers of the New Testament has gained its theological contour in the process of translation.

Fussnoten:

1) Septuaginta (LXX) wird hier für die gesamte griechische Bibel verwendet, auch wenn diese Bezeichnung ursprünglich nur dem Pentateuch galt und auch wenn der Umfang des Septuaginta-Kanons innerhalb der Handschriftentradition variieren kann. Vgl. J. M. Dines, The Septuagint, Edinburgh 2004, 1–3, zur Definition und M. Karrer/W. Kraus, Umfang und Text der Septuaginta, in: Dies. unter Mitarbeit von M. Meiser (Hrsg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, 2008, 8–63, zum Problem des Kanons.
2) Beispielhaft etwa R. Hanhart, Vierzig Jahre Septuagintaforschung (I + II), ThR 73, 2008, 247–281.375–403, der fast ausschließlich textgeschichtliche Untersuchungen vorstellt und kommentiert.
3) Eine gute Übersicht bietet: H. Ausloos u. a. (Hrsg.), Translating a Translation. The LXX and its Modern Translations in the Context of Early Judaism, BEThL 213, Leuven 2008.
4) Wegweisend dafür ist E. Tov, The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, 2nd ed., rev. and enl., JBS 8, Jerusalem 1997.
5) So z. B. J. W. Wevers, The Interpretative Character and Significance of the Septuagint Version, in: M. Sæbø (Hrsg.), Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation, Vol. I,1: Antiquity, Göttingen 1996, 84–107: 87: »truism that any translation is an interpretation«. Zur Problematik des Übersetzens vgl. auch W. Klaiber, (Bibel-)Übersetzen – eine unmögliche Aufgabe?, ThLZ 133 [2008], 467–492, und U. Eco, Quasi dasselbe mit anderen Worten. Über das Übersetzen, 2006.
6) Einen Einblick in die gegenwärtige Septuaginta-Forschung vermittelt z. B.: W. Kraus, R. G. Wooden (Hrsg.), Septuagint Research. Issues and Chal­-lenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL.SCSS 53, 2006.
7) Die üblichen, aber unpräzisen Bezeichnungen frei und wörtlich werden hier nur zu einer ersten Charakterisierung verwendet. Das Problem ist vielschichtiger, vgl. das Standardwerk von J. Barr, The Typology of Literalism in Ancient Biblical Translations, NAWG Phil.-Hist. Klasse 11 = MSU 15, Göttingen 1979, vor allem 294, wo sich unterscheidende Merkmale freier und wörtlicher Übersetzungen finden.
8) Vgl. F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, MJS 9, Münster 2001, 121, zur Unterscheidung zwischen Interpretation und Decodieren.
9) So L. Monsengwo Pasinya, La notion de Nomos dans le Pentateuque Grec, AnBib 52/Recherches Africaines de théologie 5, Rom 1973, 131–135.
10) Ps 32(31),8; 44(43),5; 85(84),11; vgl. F. Austermann, Von der Tora zum Nomos. Untersuchungen zur Übersetzungsweise und Interpretation im Septuaginta-Psalter, MSU 27, Göttingen 2003, 177 f.
11) Ps 25(24),8.12; 27(26),11 und besonders in dem Tora-Psalm 119(118), 33.102.104.
12) Dies als m. E. wichtigstes Ergebnis der Dissertation von F. Austermann (Anm. 10).
13) Vgl. G. Dorival, Les phénomènes d’intertextualité dans le livre grec des Nombres, in: G. Dorival, O. Munnich (Hrsg.), ΚΑΤΑ ΤΟΥΣ Ο´. Selon Les Septante, Festschrift M. Harl, Paris 1995, 261–285, als Einführung in diese Problematik.
14) Vgl. dazu E. Tov, The Impact of the LXX Translation of the Pentateuch on the Translation of the other Books, in: Ders., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint, VT.S 72, Leiden 1999, 183–194, und die Einwände von J. Barr, Did the Greek Pentateuch really serve as a Dictionary for the Translation of the Later Books?, in: M. F. J. Basten, W. Th. van Peursen, Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 523–543.
15) E. Tov, Did the Septuagint Translators Always Understand their Hebrew Text?, in: Ders., Greek and Hebrew Bible (Anm. 14), 203–218: 205–213.
16) M. L. Wade, Consistency of Translation Techniques in the Tabernacle Accounts of Exodus in the Old Greek, SBL.SCSS 49, Atlanta/GA 2003.
17) Zum Überblick empfehlen sich die Tabellen in M. Harl, G. Dorival, O. Munnich, La Bible Grecque des Septante. Du judaïsme hellénistique au christianisme ancien, Paris 1988, 93.107.111.
18) Vgl. z. B. A. van der Kooij, On the Place of Origin of the Old Greek of Psalms, VT 33 (1983), 67–74.
19) Eine Diskussion um die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer in dieser Weise zusammenfassenden Theologie mehrerer Bücher der LXX findet sich in M. Rösel, Towards a »Theology of the Septuagint«, in: Kraus/Wooden (Anm. 6), 239–252.
20) Zur Gesetzesthematik vgl. meinen Artikel: Nomothesie. Zum Gesetzesverständnis der Septuaginta, in: H. J. Fabry, D. Böhler (Hrsg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Bd. 3: Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart 2007, 132–150.
21) A. Pietersma, B. G. Wright (Hrsg.), A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included Under That Title, New York 2007, vgl. vor allem das Vorwort, XIII–XX.
22) Vgl. zur Kritik u. a. A. Schenker, Wurde die Tora wegen ihrer einzigar­tigen Weisheit auf Griechisch übersetzt?, FZPhTh 54 [2007], 327–347: 338–341; M. Rösel, Jakob, Bileam und der Messias, in: M. A. Knibb (Hrsg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 151–175: 152–156; J. Joosten, The Impact of the Septuagint Pentateuch on the Greek Psalms, in: M. K. H. Peters (Hrsg.), XIII. Congress of the IOSCS Ljubljana 2007, SBL.SCSS 55, Atlanta 2008, 197–205.
23) S. C. Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell für eine integrative Übersetzungstechnik: Bib. 89 [2008], 221–251: 235; vgl. auch E. Bons, Die Septuaginta-Version des Buches Ruth, BZ 42 [1998], 202–224.
24) Zu den Proverbien vgl. J. Cook, The Ideology of Septuagint Proverbs, in: B. A. Taylor (Hrsg.), X. Congress of the IOSCS, Oslo 1998, SBL.SCSS 51 [2001], 463–479; zu Jesaja A. v. d. Kooij, The Septuagint of Isaiah: Translation and Interpretation, in: J. Vermeylen (Hrsg.), The Book of Isaiah. Le Livre d’Isaïe, BEThL 81, Leuven 1989, 127–133 (mit weiterer Literatur).
25) Ausführliche Diskussionen der hier kurz angesprochenen Texte finden sich in den Notes von J. W. Wevers zu den einzelnen Büchern des Pentateuch (z. B. Notes on the Greek Text of Genesis, SBL.SCSS 35, Atlanta 1993) und in den Bänden der Bible d’Alexandrie.
26) Typology (Anm. 7), 293; vgl. M. Rösel, Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin-New York 1994, 168.
27) Vielleicht ist nicht an Lippe, sondern an Ufer gedacht mit der Idee eines gemeinsamen Wohnens der Menschen vor der Zerstreuung über die Welt, vgl. Rösel, Übersetzung (Anm. 26), 214.
28) Vgl. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel (Anm. 8), 284–286, mit einer ausführlicheren Darstellung dieser Beispiele.
29) A. Schenker, Gewollt dunkle Wiedergaben in LXX? Am Beispiel von Ps 28 (29),6: Bib. 75 [1994], 546–555.
30) J. Joosten, Une théologie de la Septante?, Réflexions méthodologiques sur l’interprétation de la version grecque: RTP 132 (2000), 31–46: 42–44.
31) So Ziegert, Ruth (Anm. 23), 251, zur Strategie bei der Übersetzung des Buches Ruth.
32) Die gleiche Verwechslung von Pest/Wort ist offenbar in Ps 91(90),3.6 geschehen. Zu Hab 3,5 vgl. M. Harl et al., La Bible d’Alexandrie 23. Les douze prophètes 4–9, Paris 1999, 289–290.
33) Vgl. dazu z. B. S. Olofsson, God is my Rock. A Study of Translation Technique and Theological Exegesis in the Septuagint, CB.OT Series 31, Stockholm 1990, 111–112; Siegert, Hebräische Bibel (Anm. 26), 207–208.
34) Weitere Beispiele bei Tov, Text Critical Use (Anm. 4), 117–121.
35) Vgl. auch die unterschiedlichen Strategien, mit unbekannten Worten umzugehen, die E. Tov zusammengestellt hat: Vermutungen aufgrund des Kontextes, Orientierung am Parallelismus, Verwendung genereller, unspezifischer Worte, etymologische Ableitungen: E. Tov, Did the Septuagint Translators Always Understand their Hebrew Text?, in: Tov, Greek (Anm. 14), 203–218.
36) Ausführlichere Erklärungen bei Rösel, Übersetzung (Anm. 26), 28–87. E. G. Dafni, Genesis 1–11 und Platos Symposion, OTE 19 (2006), 584–632, geht davon aus, dass Plato von der Genesis beeinflusst worden sei. Daher sei ein Rückwirken seines griechischen Textes auf die LXX leicht erklärbar. Die Be­gründung für diese weitreichende These steht aber noch aus. Vgl. auch dies., Platos Symposion und die Septuagintafassung von Genesis 2,23 f.: OTE 19, 2006, 1139–1161.
37) Vgl. die instruktive Liste bei G. Dorival, Les Nombres, La Bible d’Alexandrie 4, Paris 1994, 42 f., und die Einzelerklärungen in seinem Kommentar. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Harmonisierungen und intertextuellen Bezugnahmen nicht immer eindeutig möglich, ebd., 66–72.
38) Es gibt Fälle, in denen die Verwendung von Partizipien zur Auflockerung der parataktischen Struktur keine Verbesserung darstellt. Vgl. Gen 22,9–10 MT, wo die Kette von sieben Teilsätzen mit waw-consecutivum verwendet wurde, um die Dramatik der Erzählung zu intensivieren. LXX hat demgegenüber drei Partizipien verwendet und klingt viel weniger dramatisch; vgl. J. A. Beck, Translators as Storytellers. A Study in Septuagint Translation Technique, Studies in Biblical Literature 25, New York et al. 2000, 30; hier findet sich eine Fülle von Beispielen für die stilistischen Interessen der Übersetzer.
39) S. z. B. E. Tov, Renderings of Combinations of the Infinitive Absolute and Finite Verbs in the Septuagint – Their Nature and Distribution, in: Tov, Greek Bible (Anm. 14), 247–256, oder R. Sollamo, The LXX Renderings of the Infinitive Absolute used with a paronymous finite Verb in the Pentateuch, in: N. Fernández Marcos (ed.), La Septuaginta en la Investigación Contemporánea (V. Congreso de la IOSCS), Madrid 1985, 101–113.
40) S. G. Tauberschmidt, Secondary Parallelism. A Study of Translation Technique in LXX Proverbs, Academia Biblica 15, Atlanta 2004.
41) Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Rösel, Übersetzung (Anm. 26), 169 f.
42) Zu den Proverbien vgl. etwa J. Cook, The Ideology of Septuagint Proverbs, in: B. A. Taylor (ed.), X. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Oslo 1998, SBL.SCSS 51, Atlanta 2001, 463–479.
43) Nach der Chronologie der Genesis wurde der Zweite Tempel im Jahr 5000 anno mundi eingeweiht. Zu diesem komplizierten Sachverhalt vgl. die Übersichten bei Rösel, Übersetzung (Anm. 26), 129–144.
44) Literaturgeschichte des Alten Testaments, Darmstadt 2008, 192.
45) M. Rösel, Theo-Logie der griechischen Bibel. Zur Wiedergabe der Gottesaussagen im LXX-Pentateuch: VT 48 [1998], 49–62.
46) K. H. Jobes, M. Silva, Invitation to the Septuagint, Grand Rapids 2000, 213.
47) Zur Übersetzung s. J. W. Wevers, Notes on the Greek Text of Genesis, SBL.SCSS 35, Atlanta 1993, 56; Rösel, Übersetzung (Anm. 26), 104–107.
48) S. M. Rösel, The Reading and Translation of the Divine Name in the Masoretic Tradition and the Greek Pentateuch: JSOT 31 [2007], 411–428, zu Einzelheiten.
49) Die klassische Studie zum Thema stammt von Ch. T. Fritsch, The Anti-Anthropomorphisms of the Greek Pentateuch, Princeton Oriental Texts 10, Princeton 1943.
50) Olofsson, God is my Rock (Anm. 33).
51) Einen guten Einblick in die große Fülle der in der gegenwärtigen LXX-Forschung verhandelten Themen vermittelt der Sammelband von Karrer/ Kraus, Die Septuaginta (Anm. 1).
52) Vgl. etwa die Einführung von J. VanderKam, To What End? Functions of Scriptural Interpretation in Qumran Texts, in: Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint. Essays Presented to Eugene Ulrich on the Occasion of his Sixty-Fifth Birthday, ed. by P. W. Flint, E. Tov, and J. C. VanderKam, VT.S 101, Leiden 2006, 302–320.
53) Als Ausnahme kann die Hiob-LXX gelten, vgl. C. E. Cox, The Historical, Social, and Literary Context of Old Greek Job, in: M. K. H. Peters (ed.), XII. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden, 2004, SBL.SCSS 54, Atlanta 2006, 105–116.
54) M. Rösel, Der Brief des Aristeas an Philokrates, der Tempel in Leontopolis und die Bedeutung der Religionsgeschichte Israels in hellenistischer Zeit, in: Sieben Augen auf einem Stein (Sach 3,9) (FS I. Willi-Plein), hrsg. von F. Har­-tenstein und M. Pietsch, Neukirchen-Vluyn 2007, 327–344.
55) A. Lange, »They confirmed the Reading« (y. Ta´an. 4.68a). The Textual Standardization of Jewish Scriptures in the Second Temple Period, in: Ders., M. Weigold, J. Zsengellér (Hrsg.), From Qumran To Aleppo, FRLANT 230, Göttingen 2009, 29–80.
56) S. u. a. A. Schenker, Älteste Textgeschichte der Königsbücher. Die hebräische Vorlage der ursprünglichen Septuaginta als älteste Textform der Königsbücher, OBO 199, Fribourg 2004.; ders., Septante et texte massorétique dans l’histoire la plus ancienne du texte de 1 Rois 2–14, CRB 48, Paris 2000.