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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1043-1045

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Malibabo, Balimbanga

Titel/Untertitel:

Interkultureller Transfer und Lokalisierung des christlichen Glaubens im afrikanischen Kontext. Das Beispiel der Jamaa-Bewegung der Cité Yeso-Nkumi im Kongo. Würzburg: Echter 2009. XI, 336 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03148-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

Bei christlichen Erneuerungsbewegungen im gegenwärtigen Afrika denkt man zunächst an die prophetisch-unabhängigen Kirchen und den Siegeszug des Pfingstchristentums, der sich durch Schwarzafrika ausbreitet: Beide sind verhältnismäßig gut erforscht und geben afrikanischen wie westlichen Experten Anlass zu manchen Voraussagen, was in diesem mittlerweile mehrheitlich christlichen Kontinent das Zukunftsträchtige und was das Vergehende, das geschichtlich Überholte sei. Viel weniger erforscht sind die Initiativen der Erneuerung, die sich zur gleichen Zeit bilden innerhalb der alten, der »Missionskirchen«, aus deren enttäuschten Mitgliedern die unabhängigen und die Pfingstkirchen weithin ihren Zulauf beziehen. In dieses fast unbekannte Gelände führt B. Mali­babo mit zwei deutlich verschiedenen, aber vergleichbaren »Beispielen« aus der katholischen Kirche in der Demokratischen Republik Kongo ein: ausführlich in die Jamaa-Bewegung, die sich auf die späte Tätigkeit des belgischen Franziskanermissionars Pl. Tempels zurückführt, und etwas kürzer in die Cité Yeso-Nkumi, ein Zentrum spiritueller und praktischer Entwicklung, das von dem kongolesischen Philosophen und Laientheologen O. Nkombe 1978 ins Leben gerufen wurde. Die Darstellung ist geschichtlich und dokumentarisch, Interviews und eigene Begegnungen einschließend, weitgehend referierend, mit nur einem Minimum an eigener In­terpretation durch den mehr philosophischen als theologischen Autor – sie liegt eher in der Zusammenstellung der beiden Bewegungen, die nichts miteinander zu tun haben, und in der offengehaltenen Frage, ob einerseits in der Jamaa die christliche Botschaft zur »Antwort auf die grundlegenden Sehnsüchte der Afrikaner« geworden ist und ob andererseits die »Entwicklung durch Gebet und Arbeit« in der Cité Yeso-Nkumi ihr selbstgestecktes Ziel er­reicht hat.
Von Placide Tempels (1906–1977) ist die Bantu-Philosophie von 1945 weltbekannt als bahnbrechende Würdigung afrikanischer Kultur, kaum aber die ihr ab 1948 folgende Bantu-Katechese und die späteren, in Notre Rencontre 1962 zusammengestellten Aufsätze, in denen Tempels sein vertieftes Verständnis der Bantu mit seiner eigenen stark mariologisch geprägten Mystik verbindet und aus beidem eine sowohl afrikanisch traditionelle als auch christlich neue, verinnerlichte Auffassung von Ehe und Familie entwickelt. Sie fand vielerorts im Kongo seit den 1950er Jahren Anklang und nahm in der Bewegung Jamaa, nach dem Suaheli-Wort für Familie, erfolgreich Gestalt an. Ehemann und Ehefrau sind sich gegenseitig im spirituellen Sinn zugleich auch Kind, Vater und Mutter; die Jungfrau Maria ist Miterlöserin und damit zugleich Partnerin, wo nicht Gattin, Jesu des Sohnes. Die göttliche Trinität bildet sich in der Familie von Nazareth irdisch ab; in einer Reihe von Graden wird man in die christliche Jamaa initiiert. Es blieb nicht aus, dass die Geheimnisse und mystischen Reden der Initiierten den Argwohn der Bischöfe und des Heiligen Offiziums in Rom auf sich zogen; Tempels selber wurde nicht verurteilt, durfte aber nicht mehr im Kongo weiterarbeiten, er wirkte nur noch von Belgien aus. M.s weitere Darstellung kommt zum Schluss, dass es zwischen 1960 und 1974 wirklich einige Exzesse und Übertreibungen in der Jamaa im Kongo gab, die wohl von afrikanischem Missverständnis der spirituellen Mystik Tempels’ bestimmt waren – dieser selber räumte rückblickend manche Missverständlichkeiten ein –, dass aber ab 1974 durch die schriftliche Fixierung der Initiationslehren und durch die aktive Bemühung der kongolesischen Bischöfe die Bewegung auf eine gedeihliche, der gesamten katholischen Kirche segensreiche Bahn gebracht worden sei. Afrikanisches Denken in Familien- und Verwandtschaftsbegriffen wird erneuert in dem, wo es gut ist, überwunden wird es in allem, wo es mit christlichem Glauben nicht kompatibel ist, so im einseitigen Patriarchalismus und in der Entrechtung der Frau. Jamaa hat ein Entwicklungspotential für das künftige Afrika, es gilt aber, dieses über die Familie hinaus gesamtgesellschaftlich zu übersetzen.
Die Cité Yeso-Nkumi wurde 1978 in abgelegener Gegend in Ost-Kasai aufgrund von Visionen des promovierten Philosophen O. Nkombe, geboren 1946, vom Volk der Tetela, aus dem auch P. Lu­-mumba, der erste Präsident des unabhängigen Kongo kam, ge­gründet: Ein Kreuz wurde über einer Quelle errichtet, von der durch Wallfahrten und Gebetsversammlungen Krankenheilungen ausgingen. Nkombe schloss aus dem Erbe der Sprichwörter seines Volkes und aus einer Philosophie der Befreiung und Entfaltung des Menschen, dass der ländliche Kongo, um aus Lethargie und entwicklungsfeindlicher Hexenfurcht herauszukommen, den europäischen Klöstern des Mittelalters ähnliche Zentren braucht, wo christliche Intellektuelle ihren einfacheren Landsleuten helfen, aus der alten Passivität herauszukommen durch gleichzeitige spirituelle und praktische Entwicklung in Landwirtschaft, Schule und Gesundheitswesen. Einige Jahre war die Cité Yeso-Nkumi unter der Führung ihres visionären Gründers ein großer Erfolg, danach aber geriet sie, auch durch misslungene Kooperation mit europäischen geistlichen Erneuerungsbewegungen, in die Krise. Es fehlte an Planung, Management und verantwortlichen Führungspersönlichkeiten; Familieninteressen gerieten mit dem monastischen Ora-et-labora-Ideal in Konflikt. Aber das Experiment geht weiter, die lokale Kirchenhierarchie hat seine Bedeutung erkannt.
Ein sehr knapper Schlussteil: »Ein Weg für die Befreiung – Eine Utopie?« weist auf, was die beiden Erneuerungsbewegungen von einander lernen könnten, inwiefern sie nicht nur aus der afrikanischen Tradition, sondern auch aus der Moderne kritisch auswählen, mit welchem Bild des Menschen, seiner Würde und seiner Entwicklungsfähigkeit sie gegen die afrikanische Passivität und die alten Ängste stehen. Leise wird der mangelnde gesamtgesellschaftliche und weltweite Bezug kritisiert, es überwiegt aber das anerkennende Lob für den praktischen Bezug beider Initiativen, so des mit dem Beten neu verbundenen Arbeitens wie der verinnerlichten Auffassung von Ehe und familiärer Gemeinschaft. »Lokalisierung des christlichen Glaubens im afrikanischen Kontext« stößt im Kongo auf Schwierigkeiten, aber sie findet statt. Über den ebenfalls im Buchtitel versprochenen »interkulturellen Transfer« erfährt man nichts weiter. Eine Lesererwartung wird damit enttäuscht, eine andere wird dagegen auf neue, konkretere Bahn gelenkt: Die Front, das Gegenüber der Inkulturation ist nicht mehr eine übermächtige westliche Kultur oder Mission, sondern die noch ausstehende afrikanische Verwirklichung des im Glauben schon Angeeigneten. Nkombes Cité sucht noch den Weg, wie visionäre Intellektuelle die einfachen Kongolesen nachhaltig motivieren und mitziehen können; die Jamaa ist in der gelebten Wirklichkeit angekommen, bleibt aber zu eng im eigenen Kreis.
Am Ende sieht M. die »Verantwortung der lokalen katholischen Kirche«: Die Bischöfe sollen sich um die Initiativen in ihrer eigenen Kirche kümmern, ohne sie dominieren zu wollen und ohne ihre Kirchenglieder zu anderen experimentierfreudigeren Kirchen und Sekten davonlaufen zu lassen. All dieses schreibt ein Theologe und Philosoph aus dem Kongo auf Deutsch für deutsche Leser: Experten für afrikanische Entwicklungsprojekte und Kirchenleute sind gefordert, zu überlegen, was sie damit anfangen.