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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1042-1043

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kunter, Katharina, and Jens Holger Schjørring [Eds.]

Titel/Untertitel:

Changing Relations between Churches in Europe and Africa. The Internationalization of Christianity and Politics in the 20th Century.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2008. VI, 254 S. gr.8° = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, La­teinamerika). Studies in the History of Christianity in the Non-Western World, 11. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-447-05451-5.

Rezensent:

Andreas Heuser

In den historiographischen Ansätzen, die sich in den letzten Jahren zunehmend als Global History oder Transnational History Gehör verschafft haben, spielen religiöse Perspektiven eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Dies scheint umso bemerkenswerter im Blick auf das Christentum, das als globales Phänomen wie auch mit den mit ihm verbundenen Institutionen kaum zu übersehende transnationale Netzwerke ausgebildet hat. Der vorliegende Sammelband, mit dem die Herausgeber eine Reihe von Veröffentlichungen zum Verhältnis von Kirchen und Politik in Europa und Afrika beschließen, will diese Lücke füllen.
Die Publikation geht auf ein Projekt zurück, das im Wesentlichen zwei forschungspraktische Ziele verfolgt. Einerseits möchte es ein ebenso interdisziplinäres wie internationales Netzwerk von Wissenschaftlern festigen, die zu dem angedeuteten Themenkreis arbeiten, andererseits strebt es eine historiographische Revision an, die die transnationalen Verflechtungen und Wechselwirkungen bei der Deutung der Geschichte des Christentums im 20. Jh. in Augenschein nimmt. Die in diesen Band aufgenommenen 19 Aufsätze gehen auf die Abschlusskonferenz dieses Projekts zurück, die 2005 in Makumira (Tansania) stattfand.
Die Beiträge gliedern sich in drei Phasen in der Geschichtsschreibung des vergangenen Jh.s ein, die nicht allein die geopoli­tische Landkarte umgestalteten, sondern in denen sich auch entscheidende kirchenpolitische Umbrüche in den europäisch-afri­kanischen Beziehungen ereigneten. Die erste Phase umfasst die beiden Weltkriege bis zur staatlichen Unabhängigkeit des Großteils afrikanischer Länder; die zweite Darstellungsperiode bezieht sich auf die postkoloniale Ära, die bis zur Überwindung der Apart­heid in Namibia und Südafrika andauerte; abschließend geht der Band einigen Herausforderungen der globalisierten Gegenwart nach, die das Augenmerk u. a. auf international verankerte afrikanische Migrationskirchen lenken, die bisweilen die Vision einer reverse mission, oder die Neuevangelisierung Europas, umtreibt.
Die Wechselbeziehungen zwischen nordeuropäischen protes­tantischen Kirchen mit Kirchen in Namibia, Tansania, Uganda und Zimbabwe bilden deutliche regionale Schwerpunkte in der Betrachtung der Autoren. Mit diesem Fokus auf regionale Fallstudien, erweitert durch einzelne Beiträge zu Kamerun und Äthiopien, werden europäisch-afrikanische kirchliche Netzwerke ana­-lysiert. Es kommen wechselseitige Einflussnahmen vor allem zwischen den historischen Kirchen in den Blick, aber auch ambi­-valente und bisweilen konflikthafte Beziehungen, die angesichts der enormen gesellschaftlichen Umgestaltungen, die die europä­ischen, viel mehr aber noch die afrikanischen Kirchen im Laufe des 20. Jh.s zu bewältigen hatten, kaum verwundern.
Neben solchen Regionalstudien finden sich für jede dieser Phasen signifikante Querschnittsthemen. So kommt etwa die Verklammerung von Mission und Kolonialismus im ersten Zeitabschnitt zur Sprache. Während gemeinhin ein asymmetrisches Be­ziehungsverhältnis zwischen europäischer Mission und lokalen Kirchen in Afrika angenommen wird, betonen die Autoren eine mehrdimensionale Missionsgeschichte, die dem afrikanischen Chris­tentum Raum für vielgestaltige Ausformungen bot. Ein in­teressanter Aspekt in diesem Gliederungsabschnitt des Buches sind die afrikanischen, genauer: tansanischen, Wahrnehmungen der Bekennenden Kirche und des Zweiten Weltkriegs. Die charakteris­tische Veränderung im Selbstbewusstsein afrikanischer Kirchen im Zuge ihrer institutionellen Eigenständigkeit steht im Zentrum der Betrachtungen der darauf folgenden historischen Umbruchphase. Doch das Zeitalter der Entkolonialisierung veränderte auch das Selbstverständnis der europäischen Kirchen, die sich ökumenisch wie tendenziell gesellschaftspolitisch öffneten. Neben der in der ökumenischen Bewegung lange Zeit vorherrschenden Diskussion über Apartheid und den Beitrag der Kirchen zu ihrer Überwindung zeichnet das Buch kirchliche Diskurse über afrikanischen Sozialismus nach oder fasst solidarische Aufbrüche mit Befreiungsbewegungen in Afrika vor dem Horizont Kalter Kriegsszenarien ins Auge. Solche gesellschaftspolitisch relevanten Fragen setzen sich bis in die jüngste Wende in den europäisch-afrikanischen Kirchenbeziehungen fort.
Diesbezüglich finden sich Betrachtungen zur nach wie vor um­strittenen Landfrage in nachkolonialen Staaten des südlichen Afrika wie auch Bewertungen von kirchlichen Akteuren in sich herausbildenden Zivilgesellschaften bis hin zu sich allmählich verändern­den Gender-Beziehungen. Doch zeichnet sich in dieser jüngs­ten zeitgeschichtlichen Rahmung auch eine Herausforderung ab, die sich aus einer drastisch veränderten religiösen Topographie afri-kanischer Länder ergibt. Die historischen Kirchen scheinen den Anspruch christlicher Repräsentanz allmählich an die sich unverkennbar ausbreitende (neo-)pentekostale Bewegung zu verlieren.