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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1036-1039

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wedler, Esther-Maria

Titel/Untertitel:

Splendor caritatis. Ein ökumenisches Gespräch mit Hans Urs von Balthasar zur Theologie der Moderne.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. XLVII, 338 S. gr.8° = Erfurter Theologische Studien, 94. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-02912-8.

Rezensent:

Michael Schulz

Der Untertitel dieser Dissertation signalisiert ihre zweifache Zielsetzung. Die evangelische Autorin beabsichtigt, das Werk des aus der Schweiz stammenden katholischen Germanisten und Theologen Hans Urs von Balthasar (1905–1988) in ein ökumenisches Gespräch zu bringen, das Balthasar seinerseits vor allem mit Karl Barth direkt gesucht hat. W. bittet auch andere Autoren, die sich dem Ansatz der dialektischen Theologie verpflichtet wissen, zum Gespräch mit Balthasar, weil ein evangelischer Dialog mit dem Schweizer Theologen bislang die Ausnahme blieb, sich aber unbedingt lohnen würde, auch aus rein evangelischer Perspektive. Der ökumenische Diskurs soll im Horizont der Moderne geführt werden, da nach W.s Überzeugung jeder aktuelle theologische Entwurf der Gegenwart sich nach seinem Ort in der Moderne befragen lassen muss. Wird also die Moderne zum ökumenischen Kairos?, könnte man fragen. W. intendiert, exakt diese These zu bestätigen, was überraschen mag, weil Barth wie auch Balthasar die Moderne sehr kritisch bewerteten.
In der Einleitung (1–17) präzisiert W. den geistesgeschichtli-chen Indikator »Moderne« durch Ausführungen zu den Lemmata »Pa­thos des radikalen Neuanfangs«, »Anspruch auf Universalität«, »Wende zum Subjekt als Referenzpunkt jedes Wahrheitsanspruchs«. Aber diese gängige Kennzeichnung der Moderne bliebe nach W.s Auffassung unterkomplex, würde man nicht auch oppositionelle Programmatiken berücksichtigen, die nach ihrem Verständnis ebenso eine in sich polare und plurale Moderne definieren, mithin nicht deren Ende markieren. Dazu gehören die Thesen zur »Dialektik der Aufklärung« und Einsichten postmodernen Denkens, also die Kritik an der Hypertrophie des Autonomiegedankens und des Subjektivitätsprinzips sowie an apriorischen uniformen Vernunftkonzepten. Das entscheidende Stichwort für die zeitgeschichtliche Verortung Balthasars – Ästhetik – liefert Wolfgang Welschs Postmoderne. Nach W.s Auffassung steht ein ästhetischer Ansatz für die Wahrnehmung unableitbarer Freiheitsentscheidungen ein; er ermöglicht narrative, transversale Identitäten zu thematisieren im Unterschied zu einer abstrakten uniformen, transgeschichtlichen Egoität in den Koordinaten eines transzendentalen Ansatzes. Dadurch, dass W. Balthasars theologische Äs­thetik auf diesen zweiten Eigenschaftskatalog der Moderne be­zieht, will sie, so die These ihrer Dissertation, die Modernität der Denkweise Balthasars unter Beweis stellen.
Im zweiten Kapitel (19–64) erörtert W. die Grundlinien der Theologie ihres Autors. Dessen Theologie charakterisiert sie als inkarnatorische Deszendenzchristologie. In ihrem Zentrum stehe das Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes im Christusereignis, was epistemologisch eine Hinwendung zur Ästhetik einschließt und Balthasars Option für eine Erblickungs- und Entrückungslehre erklärt: Die in Christus erblickte Liebe Gottes entrückt das Subjekt über sich hinaus und gibt es neu und geheilt an sich zurück. W. profiliert Balthasars Letztbegründung der Theologie in Gottes Offenbarung in Opposition zu philosophischen Letztbegründungen, die vorwiegend »modern« subjekttheoretisch orientiert sind (K. Rahner, Th. Pröpper, H. Verweyen u. a.). Balthasars Konzept einer christlichen Philosophie in Form einer Ontologie der analogia entis und natürlichen Theologie wird von W. als Explikat eines notwendigen Moments der Inkarnation dargestellt, nicht als Denkbewegung, die methodisch von sich aus (freilich: revelatione posita) auf die Offenbarung zusteuert und diese vorab in ihrer Möglichkeit legitimiert. Dadurch ergeben sich Anknüpfungspunkte an Barths Theorem von der analogia fidei und E. Jüngels Analogie des Advents. Kritisch äußert sich W. zu Balthasars Versuch, die thomasische Realdistinktion zu rehabilitieren, da diese Form einer universalisierenden Ontologie nicht mehr modernitätstauglich sei; kontingente Kausalitäten substituierten den actus essendi einer creatio continua.
Dem Rezensenten stellt sich damit allerdings die Frage, ob nicht diese massive Kritik der eigentlichen Mitte von Balthasars Philosophie den Nachweis der Inkompatibilität seines Denkens mit dem der Moderne enthält. W. ist anderer Meinung. Dies wird im folgenden Kapitel (65–117) über Balthasars Auseinandersetzung mit der Moderne deutlich. W. arbeitet die theologische Qualität von Balthasars Modernitätskritik heraus, was ihn mit Barths und Jüngels Kritik verbindet. Balthasar teile Barths Absage an jede fundamentaltheologisch motivierte Verifikation der Offenbarung an subjektphilosophischen Paradigmen der Mo­derne, an die An­thropologie. Im Verzicht auf derartige verifikative Außenbezüge sei die Moderne gerade in der Theologie angekommen, nicht also durch den Nachvollzug der anthropologischen Wende. Balthasars philosophische Erkenntnismetaphysik, die zwar auf allgemeingültige Einsichten zielt, widerspricht W. zufolge diesem Konzept nicht. Balthasar unterstreiche nämlich die Rezeptivität des Subjekts, dessen Selbstempfängnis vom Anderen her; vom Subjekt aus konstruierte apriorische Verstehensraster und Kriterien für Ob­ jekte, Begegnungen oder Gottes Selbstmitteilung seien daher obsolet.
Im vierten Kapitel (119–249) analysiert W. Balthasars Trilogie. Nicht zufällig bemüht sie sich darum, die Ästhetik als Fundamentaltheologie auch der Theodramatik und Theologik auszuweisen. Den Erfahrungsbegriff ruft W. ab, um die anthropologische Relevanz (nicht: Verifikation) der Offenbarung zu sichern: Christus ermögliche, eine ganz neue Erfahrung mit allen bisherigen Erfahrungen zu machen, was an der Gleichnisrede Jesu paradigmatisch aufscheine. W. erläutert den Begriff der Gestalt, den Balthasar von J. W. Goethe übernimmt und mit dessen Hilfe er das Offenbarungsgeschehen als Erfahrung von Gottes Schönheit und Glanz auf dem Angesicht des gekreuzigten Christus deutet, als »Splendor Caritatis«, als ästhetisches Ereignis kenotischer Liebe, die von Selbstbezogenheit frei macht und zur Selbstlosigkeit befähigt. Balthasars agapeologische Soteriologie versteht W. als provokative Zeitansage: Das geistesgeschichtlich in sich verstiegene Subjekt spiegelt sich in der hamartiologisch qualifizierten Entfremdung des Menschen von Gott und Mitmensch wider, die durch Jesu Gang zu den Toten am Karsamstag, in die Hölle des gott- und menschenverlassenen Sünders überwunden ist. Kritische Stimmen aus den Reihen der Theologen zugunsten selbstbestimmter Freiheit pa­riert W. mit dem Hinweis auf Balthasars dialogisches Freiheitsverständnis. Dennoch stimmt W. einer Balthasar-Kritik zu, die dessen Freiheitsbegriffs als unvollendet betrachtet, insofern er im Bann der Metaphysik gefangen bleibt. Die Metaphysik verleite dazu, Gottes Absolutheit niemals in eine Symmetrie zur endlichen Freiheit des Menschen zu bringen. Selbst Balthasars keno­-tische Liebesmetaphysik, die jede scholastische Metaphysik hinter sich zurücklasse, überbiete asymmetrisch durch Unterbietung die menschliche Freiheit; jede menschliche Selbstverfehlung gegen Gott überbietet der Sohn durch seinen Abstieg in eine Hölle, die immer noch abgründiger ist als jede von menschlicher Freiheitsverfehlung herbeigeführte. Die Moderne verlange aber ein symmetrisches Anerkennungskonzept, das auch für die menschliche Freiheit vor der göttlichen gelte. Kann aber die Prädestinations- und Rechtfertigungslehre dieser Forderung gerecht werden, ohne sich da­durch nicht selbst aufzuheben?
Im fünften Kapitel (251–332) bündelt W. ihre Ausführungen zu einer systematischen Explikation der Erkenntnislehre Balthasars, und zwar in ökumenischer Lernbereitschaft hinsichtlich eines ästhetischen Ansatzes und einer theologia gloriae. Diese Lernbereitschaft scheint vor allem auch deshalb möglich zu sein, weil W. Balthasars Denken der dialektischen Theologie hermeneutisch annähert. Eine evangelische Balthasar-Rezeption profiliert daher evangelische und ökumenische Identität zugleich. Unterschiede werden Balthasars starker metaphysischer Ausrichtung zugeschrieben; diese Ausrichtung wird durch die von W. zusammengerufenen katholischen Kritiker Balthasars relativiert. Mit Jüngels Theismus-und-Atheismus-Deutung rahmt W. Balthasars Ansatz nochmals hermeneutisch ein. Danach kann nur jenseits der in der Moderne of­fenkundig gewordenen Aporien philosophischer Gotteslehre strikt offenbarungstheologisch und staurologisch angesetzt werden. Refrainartig lässt W. den Leser die Barths Theologie bestimmende epistemologische Sentenz »Gott wird nur durch Gott er­kannt« repetieren, die auch Balthasars Fundamentaltheologie von der Selbstevidenz der göttlichen Liebe auf den ökumenischen und modernitätstauglichen Punkt bringt. Herausgehobene Parallelen zwischen Barths und Balthasars Anselm-Deutungen unterstützen erneut die Einschätzung, dass die Theologie die Vernunft glaubensintern gebrauchen solle und sich nicht von ihrer externen Verwendung und Reichweite abhängig machen dürfe. W. notiert weitere differenzierte Konsense zwischen Balthasar und Barth. Mit agapeologischen Überlegungen resümiert W. ihre Systematik: Die Liebe des kommunial-dreieinen Gottes ist Inhalt und Form der Glaubensbegründung; sie gibt eine gewaltlose Einheit bei gleichzeitig beliebigkeitsresistenter Offenheit für Vieles, für eine Perspektivenpluralität zu denken, sie sichert eine sowohl modernitätskompa­tible als auch ökumenische Theologie.
W.s Dissertation ist das, wofür sie einsteht: ein umfassendesökumenisches Gespräch. Dessen Niveau belegen W.s stupende Lektüreleistung und ihre Fähigkeit zu differenzierter Urteilsbildung, zu der auch jene strategische Hermeneutik gehört wie die Relektüre von Balthasars Ästhetik in den Koordinaten der Theologie von Barth, Jüngel und I. U. Dalferth. Zur Kritik an Balthasar werden sozusagen konfessionell unverdächtige katholische Autoren mobilisiert, selbst die mit transzendentallogischem Hintergrund – ein Zufall? Mit transzendentallogischen Letztbegründungen stimmt W. im Ansatz darin überein, dass im Gefolge Kants nur noch dem Glauben allein zugetraut wird, den theologischen Begriffen ein »Referenzobjekt« zu sichern, nicht mehr der Vernunft. G. Vattimos postmoderne These von der kenotischen Religionsbegründung hätte noch gut in das Panorama des Diskurses gepasst, um aber, wie W. unmissverständlich herausstellt, zu zeigen, dass Balthasars theologische Ästhetik der kenotischen Liebe Gottes nicht notwendigerweise ein postmodernes pensiero debole begründet, sondern, wie eben im Fall von Balthasar, erst recht ein – modernes – pensiero forte. Hierin liegt die anvisierte Synthese zwischen Modernität und Offenbarungstheologie.
W.s klar formulierte These wird sowohl ökumenischen Konsens als auch ökumenischen Dissens finden. Dem katholischen Rezensenten scheint vor allem die Liquidation einer begründungstheoretisch operierenden Philosophie für die Theologie nicht verantwortbar zu sein. Unhintergehbar und universell ist das Denken, weshalb es in seiner Wahrheitsfähigkeit und kriteriologischen Bedeutung gegenüber religiösen Wahrheitsansprüchen ein philosophisches Thema der Theologie sein muss. Außerdem koinzidieren Begründungstheorien, wie W. selbst zu verstehen gibt (Newman, Pannenberg, Levinas u. a.), nicht notwendigerweise mit einer apodiktisch formulierenden und kontextuell wie kulturell unabhängigen Transzendentalphilosophie, selbst wenn sie beim Subjekt ansetzen. Z. B. sind apagogisch-indirekte Formen möglich. Kein (evidenzierende) Aufweis (unbedingter) Freiheit kann außerdem die Form des Zwangs annehmen, ohne nicht dadurch selbstwidersprüchlich zu werden. Jeder Aufweis bleibt ein begründeter Appell, eine Bitte an das Denken, an die Freiheit, sich selbst zu trauen, zu ergreifen und zu wollen, nicht nur für sich, sondern zwecks uneingeschränkter Kommunikation und Interaktion. In diesem Stil ist auch die Möglichkeit des dramatischen Zusammenspiels von göttlicher und menschlicher Freiheit philosophisch zu begründen, ohne dieses Spiel vorab zu entscheiden.