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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1035-1036

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schmähling, Angelika

Titel/Untertitel:

Hort der Frömmigkeit – Ort der Verwahrung. Russische Frauenklöster im 16.–18. Jahrhundert.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2009. 212 S. m. Ktn. u. Tab. gr.8° = Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 75. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-515-09178-7.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Es war »ein bunt gemischter, zuweilen auch misstönender Chor von engelgleichen und anderen Frauen, der sich in den russischen Frauenklöstern zusammenfand« (190) – in diese ebenso schlichte wie treffende Bilanz mündet die Untersuchung, die als Dissertation 2007 an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln im Bereich Osteuropäische Geschichte unter Leitung von Christoph Schmidt angenommen wurde. Der gewählte Zeitraum des 16. bis 18. Jh.s liegt zwischen dem »Goldenen Zeitalter« der großen Gründergestalten des russischen Mönchslebens und der neuen Blüte im 19. Jh. Diese »undankbare« (9) Periode wählt Angelika Schmähling für ihre Untersuchung über die russischen Frauenklöster. Gemäß der lückenhaften Quellenlage bilden die Klöster der Stadt Moskau und ihrer Umgebung einen Schwerpunkt der Studie. S. füllt damit eine Forschungslücke: Dem Werk von Igor Smolitsch (Russisches Mönchtum. Entstehung, Entwicklung und Wesen 988–1917, Würzburg 1953) sind keine detaillierteren Überblicke gefolgt.
S. wählt einen sozialgeschichtlichen Zugang und gliedert ihre häufig statistisch fundierten Untersuchungen in die zwei Hauptteile »Strukturen« und »Funktionen«. Durch den nüchternen Blick auf die Alltagswirklichkeit der Klöster vermeidet sie sowohl eine unhistorische Glorifizierung des Klosterlebens als auch eine ebenso ideologisch bedingte Polemik. Die Ideale der Klosterregeln und Gelübde werden in ihrer Wechselwirkung mit den zeitgenössischen Einflüssen der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit, mit der Gesetzgebung, den klimatischen Bedingungen und anderen ge­schichtlichen Umständen betrachtet.
Der den »Strukturen« gewidmete ersten Hauptteil beginnt mit Kapitel 1 zu »Grundlagen« über Geschichte, Verbreitung und innere Struktur der Klöster sowie deren Unterordnung unter weltliche Institutionen. Kapitel 2 ist der wirtschaftlichen Situation der Klös­ter gewidmet. Untersucht werden Einkünfte, die Anzahl von Leibeigenen, die Versorgungsstrukturen innerhalb der Gemeinschaften einschließlich ihrer rechtlichen Grundlagen. Kapitel 3 be­schreibt die »Klöster und ihre Bewohnerinnen« nach sozialer Herkunft, Status, Rangordnung und Altersstruktur innerhalb der Konvente sowie unter dem Aspekt der Sozialstruktur in der Rangfolge unter den Klöstern. Die sozialgeschichtlichen Wandlungen spiegeln sich dabei auch im Leben der Frauenklöster. Auch wenn explizit religiöse Motive den Quellen selten zu entnehmen sind und Witwen und verheiratete Frauen in den Gemeinschaften dominieren, sind eindeutige Wertungen nicht möglich: Zwangseinkleidungen von Frauen, die von ihrem Ehemann verstoßen wurden, kommen ebenso vor wie die Zuflucht von misshandelten Ehefrauen in Klosterkonventen.
Der zweite Teil zu den »Funktionen« der Frauenklöster bringt die durchgängige Ambivalenz deutlich zur Geltung. In Kapitel 4 über »Religion« ist erkennbar, dass S. theologische Überlegungen weitgehend fremd sind. In der Darstellung der Frömmigkeitsformen orientiert sie sich an Kategorisierungen der Religionssozio­logie. Kapitel 5 stellt die Frage nach der karitativen Tätigkeit der Klöster, d. h. im weitesten Sinne ihres Dienstes für andere. Hier wird auch das Fürbittgebet angeführt, das sich kaum in die Kategorie der »Funktion« einfügen lässt, setzt es doch »den Glauben an die Wirkung des Gebets voraus« (151). Die Bilanz ist ernüchternd: Eher »widerwillig« übernahmen die Frauenklöster die Pflicht, »die der Sinod und die Gesetzgebung ihnen auferlegten« (158). Der soziale Dienst war eben »kein erklärtes Ziel der Klöster. Wenn Witwen und Waisen einen Platz innerhalb der Schwesternschaft fanden, war dies ein positiver und nicht gering zu schätzender Nebeneffekt des Klosters, aber kein Ergebnis einer organisierten Tätigkeit« (188). Das gilt auch für die in Kapitel 6 geschilderte Rolle der Klöster als »Gefängnis«, zur Disziplinierung bei Verstößen gegen kirchliche und weltliche Gesetze.
Das erfreulichste Ergebnis der Arbeit besteht darin, dass es keine klar kategorisierbaren Ergebnisse gibt. Die Klischees der unermüdlich wohltätigen Nonnen zerbrechen ebenso wie der Vorwurf, Klosterleute seien Faulenzer und nützten »weder Gott noch den Menschen« (vgl. 152). Der nicht in »Struktur« und »Funktion« integrierbare Rest erweist sich am Ende als Hort einer theologischen Betrachtung. Unerschütterlich bleibt die »Haltung im orthodoxen Mönchtum, das Geistliche der Caritas voranzustellen« (155). So ist es nicht verwunderlich, »wie erfolglos diese Vereinnahmung der Schwesternschaft für säkulare Zwecke blieb« (154). Die Klöster haben »selten den Versuch gemacht, ihre Stellung im gesellschaftlichen Gefüge zu diskutieren« (189).
Die Frauenklöster waren – nicht selten wider Willen – Zuflucht für alles, was in dieser Welt keinen Raum hat, sie gaben dem nicht in bestehende Ordnungen Integrierbaren eine irdische Heimat. So wurden sie zu Orten himmlischer Hoffnung in irdischen Ausmaßen. Ganz nebenbei stoßen wir auf die Anmerkung, dass es auch in westlichen Klöster der Zeit nicht wesentlich anders zuging: unsys­tematische Armenpflege auf der Basis von Almosen, Ansätze zur organisierten Wohlfahrtspflege vorrangig durch die Obrigkeit, »vergleichbar also mit den orthodoxen Klöstern« (159, Anm. 67). In Ost und West besteht diese Welt eben aus Engelgleichen und anderen …