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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1031-1033

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Nedumkallel, Joseph

Titel/Untertitel:

Was ist das eigentlich: die »Universalkirche«? Kritische Metareflexion einer postkonziliaren Debatte.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. 252 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 46. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-03167-1.

Rezensent:

Gunther Wenz

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Buckenmaier, Achim: Universale Kirche vor Ort. Zum Verhältnis von Universalkirche und Ortskirche. Regensburg: Pustet 2009. 444 S. gr.8°. Geb. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2193-4.


Seit geraumer Zeit wird im Vatikan unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Modalitäten der Reintegration der Priesterbruderschaft St. Pius X. in die römisch-katholische Kirche verhandelt. Bei dieser Unternehmung, der Papst Benedikt XVI. hohe Bedeutung für sein Pontifikat bemisst, geht es stets auch um die Frage der authentischen Interpretation der Texte des II. Vatikanischen Konzils. Hält man sich an die Diagnose, die der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff unlängst in der Jesuitenzeitschrift »Stimmen der Zeit« (135 [2010], 219–228) vorgelegt hat, dann fügen sich die Bemühungen um die sog. Piusbruderschaft (a. a. O., 219: »antimoderne … Protestbewegung im Gewand des vorkonziliaren Katholizismus«) nahtlos »in eine längere Reihe römischer Versuche ein, die Rezeptionsgeschichte des Konzils im Sinn der damaligen Konzilsminorität zu beeinflussen. Deren Anliegen finden in den nachkonziliaren Lehrdokumenten der katholischen Kirche er­kenn­bar stärkere Resonanz, als es in den Konzilsaussagen selbst der Fall ist. Durch den Vorgang einer offiziellen Interpretation wird zentralen Konzilstexten ein anderer Sinn beigelegt, als er diesen nach dem Willen der Konzilsmehrheit zukommen sollte.« (A. a. O., 220)
Als ein Beispiel für den Vorgang einer restriktiven amtlichen Auslegung des Konzils führt Schockenhoff neben der signifikanten Auswahl in der nachkonziliaren römischen Bezugnahme auf Konzilsdokumente und der Interpretation der »subsistit in«-Formel die theologische Verhältnisbestimmung zwischen der Universalkirche und den einzelnen Ortskirchen an, die zu einer Umkehr, um nicht zu sagen: Verkehrung der von der Konzilsmehrheit getragenen ursprünglichen Sinnintention der einschlägigen Konzilsaussagen geführt habe. Als Beleg wird das Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre »Über einige Aspekte der Kirche als Communio« von 1992 angeführt. Bereits die gewählte Terminologie lasse das leitende Interesse erkennen: »Während das Konzil selbst sowohl von Ortskirchen (›ecclesiae locales‹) als auch von Teilkirchen (›ecclesiae particulares‹) spricht (LG 23) und in LG 26 von den rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen (›legitimae fidelium con­-gregationes‹) die Rede ist, die im Neuen Testament ›Kirchen‹ genannt werden, verwendet die Erklärung der Glaubenskongregation nur noch den Begriff ›Teilkirchen‹. Auf der Sachebene verwandelt sie die schwebende Grundstruktur der Communio-Ekklesiologie, nach der die Gesamtkirche, wie das Konzil mit einer Formel des Kirchenvaters Cyprian sagt, ›in und aus‹ den Lokalkirchen (›in et ex ecclesiis‹) existiert (LG 23), in das Verhältnis einer seinsmäßigen und historischen Priorität der Universalkirche gegenüber den Ortskirchen.« (A. a. O., 222)
Die These, wonach die Universalkirche im Eigentlichen ihres Geheimnisses eine jeder einzelnen Teil- bzw. Ortskirche ontologische und zeitlich vorausliegende Wirklichkeit sei, führte bekanntlich zu einem heftigen Disput von Kardinälen (vgl. StdZ 128 [2003], 219–232) und zu einem ekklesiologischen Streit innerhalb der römisch-katholischen Theologie, der bis heute anhält. Nach Walter Kardinal Kasper ist die These »Ecclesiae in et ex Ecclesia« nur im Verein mit der anderen konsensfähig, die sie ergänzt, ja ihre ureigene innere Bestimmung ausmacht: »Ecclesia in et ex Ecclesiis«. Demgegenüber bekräftigte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation und spätere Papst Joseph Ratzinger die Annahme eines zeitlichen und ontologischen Primats der Universalkirche vor den Ortskirchen mit geschichtstheologischen und dogmatischen Argumenten. Geschichtstheologisch wird geltend gemacht, die Kirche habe sich am Pfingsttag dergestalt öffentlich gezeitigt, dass von einer temporalen Vorgängigkeit der Universalkirche vor den Ortskirchen nicht nur die Rede sein könne, sondern die Rede sein müsse. Dieser zeitliche Vorrang hinwiederum sei ontologisch im präexistenten Mysterium der Gesamtkirche begründet, die Gott in Jesus Christus und von Ewigkeit her vor aller kreatürlichen Zeit um der Versöhnung und Erlösung von Menschheit und Welt willen erwählt habe mit der Folge, dass der innere Anfang der Kirche in der Zeit als universalkirchlich bestimmt zu gelten habe, wie immer es um die äußeren historischen Verhältnisse im Einzelnen bestellt gewesen sein mag. Mehr oder minder auf dieser grundsätzlichen Argumentationslinie bewegen sich auch die beiden vorzustellenden Beiträge zum Thema, die von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn als Habilitationsschrift (Buckenmaier) bzw. als Dissertation (Nedumkallel) angenommen wurden.
Im Mittelpunkt der Arbeit von Buckenmaier stehen am neutes­tamentlich-patristischen Ekklesia-Begriff orientierte Erwägungen zur Theologie der einen, präexistenten Kirche, die Bucken­maier im Anschluss an die einschlägige Diskussion an der Jahrtausendwende und nach einer Skizze des veränderten zeit­geschichtlichen Horizonts der Fragestellung vorträgt, um sodann seine Sicht des, wie es heißt, dynamischen Verhältnisses von Lokalkirchen und Universalkirche am Beispiel der Märtyrer- und Heiligenverehrung zu illus­trieren. Die Einzelstudien und anschließenden Thesen problematisieren zwar die Aussagen von der chronologischen Vorgängigkeit der Universalkirche, pflichten aber J. Ratzinger in der Auffassung bei, »daß die Aussage von der ontologischen Priorität der Universalkirche, so wie sie das Communio-Schreiben formuliert hat, angesichts der nachkonziliaren Entwicklung in der Ekklesiologie eine adäquate Weiterentwicklung der Lehre von Lumen gentium ist. Sie ist nicht die späte Erfindung einer romzentrierten Ekklesiologie, sondern der Ausdruck einer heilsgeschichtlichen Perspektive, deren Grundlagen in der Theologie des Neuen Testament gegeben sind.« (390) Hinzugefügt wird, dass »die Erklärung der ontologischen Priorität der Universalkirche bereits alles aussagen kann, was in der Behauptung des zeitlichen Vorrangs gesagt werden soll« (391).
Noch problemloser als die Habilitationsschrift von Buckenmaier bewegt sich Nedumkallels Dissertation auf der von Ratzinger vorgegebenen Argumentationslinie. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Arbeit bei der Frage nach dem Verhältnis von Universalkirche und Ortskirche auf dem II. Vatikanischen Konzil. Sodann werden aktuelle Tendenzen zur Relativierung der Universalkirche verzeichnet, als eine von deren Komponenten die »Abkoppelung der Rechtfertigungslehre von der Ekklesiologie« (61) im Kontext der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) namhaft gemacht wird. Nachdem am Beispiel des Disputs der Kardinäle sowie der Konzeptionen P. Hünermanns, L. Scheffczyks und G. L. Müllers Modelle zur Lösung des infrage stehenden Problems vorgestellt worden sind, entwickelt Nedumkallel seine bzw. seines Doktorvaters Sicht der »Seinsweise der Universalkirche« (133), deren Priorität den Ortskirchen gegenüber nach Maßgabe der Maxime »Einheit vor Vielheit« dezidiert behauptet wird.
Nedumkallel geht davon aus, »dass die Universalkirche zwar nicht ohne ihr Verhältnis zu den Ortskirchen denkbar, wohl aber eine eigene sichtbare Größe ist. Dieser Befund wird auf drei Themenfeldern verifiziert: Taufe, Eucharistie und Petrusamt.« (15) In einem letzten Kapitel wird nach den Konsequenzen der auf die Themafrage gegebenen Antwort etwa für das Problem der eucharistischen Gastfreundschaft oder für die bisher vorgeschlagenen Mo­delle einer Wiedervereinigung der getrennten Christen gefragt. Nedumkallel lässt es dabei an kontroverstheologischer Deutlichkeit nicht fehlen. Eine genauere Entwicklung des »inkarnatorische(n) Prinzip(s) der Selbstoffenbarung Gottes« (197), auf welches er die ekklesiologischen Grunddifferenzen im Wesentlichen zurückführt, bleibt er allerdings schuldig. Man merkt die Absicht, dass altbekannte Typisierungen in konfessioneller und sonstiger Hinsicht in Anschlag gebracht werden sollen, ist aber ein wenig verstimmt, wie relativ umstandslos und mit welch vergleichsweise geringem argumentativen Aufwand dies nicht nur in christologischer Hinsicht geschieht.
Der innerkatholische Kampf um die Deutehoheit bezüglich der Texte des II. Vatikanischen Konzils hält an. Er wird in absehbarer Zeit kaum entschieden sein. Dies muss weder für den Katholizismus noch für die Ökumene ein Schaden sein, solange der Streit mit Mitteln der Argumentation und in verständigungsorientierter Offenheit ausgetragen wird. Unter dieser Voraussetzung kann und soll man hart zur Sache gehen, wie dies Joseph Ratzinger und Walter Kasper nicht erst in ihrem Kardinalsdisput, sondern schon in der sog. »Hochland-Debatte« im Zusammenhang der Diskussion um die von Erstgenanntem gegebene »Einführung in das Chris­tentum« Ende der 60er Jahre des vergangenen Jh.s getan haben (vgl. Buckenmaier, 86–91). Kasper hatte damals seine Rezension in der »Theologischen Revue« mit dem Hinweis geschlossen, Ratzingers Werk sei »ein notwendiges und hilfreiches Buch, das man nicht ohne sehr viel theologischen und spirituellen Gewinn lesen wird. Aber ein im Ganzen durchdachter theologischer Entwurf dürfte es noch nicht sein. Sind seine Grundlagen nicht noch zu ungeklärt, seine Folgerungen zu zwiespältig und widersprüchlich?« (ThRev 65 [1969], Sp. 182–188, hier: 188). Die unterschiedlichen Antworten, die in der anschließenden, durchaus heftig zu nennenden Kontroverse auf diese Frage gegeben wurden, sind bis heute virulent. Es zeichneten sich darin bereits »jene Argumentationsfiguren ab, die auch in der Auseinandersetzung um die Priorität der Universalkirche wiederkehren« (Buckenmaier, 90). Man kann nur hoffen und wünschen, dass der heutige innerkatholische Streit in Form und Inhalt auf »Hochland«-Niveau ausgetragen wird.