Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1027-1028

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 233 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-17-020164-4.

Rezensent:

Klemens Richter

Die Bestattungskultur hat in den letzten Jahrzehnten einschneidende, ja geradezu dramatische Veränderungen erfahren. Ein kleiner werdender christlicher Bevölkerungsanteil, eine Vielzahl bunter privater Vorstellungen von Sterben und Tod, die wachsende Präsenz nichtchristlicher Religionen in Deutschland sowie die Ökonomisierung im Umgang mit dem Tod haben auch erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit dem Tod in den christlichen Gemeinden. Im Verzicht auf das Ritual bei immer mehr Bestattungen, in Privatisierung und Anonymisierung neuer Formen des Um­gangs mit dem Leichnam dokumentiert sich die Individualisierung unserer Gesellschaft, so dass die Toten an der gesellschaftlichen Mobilität teilhaben. Katholischerseits hat das 2003 zu dem von A. Gerhards und B. Kranemann herausgegebenen Band »Christliche Begräbnisliturgie und säkulare Gesellschaft« (Benno Verlag Leipzig) geführt, der aber nicht in gleicher Schärfe wie der vorliegende Sammelband mit Beiträgen von elf zumeist evangelischen Theologen diese Änderungen in den Blick nahm, wohl damals auch noch gar nicht nehmen konnte. Diese ganz unterschiedlichen, manchmal gar unerwarteten Aspekte des Umgangs mit dem Tod, auf die die hier versammelten Aufsätze den Blick richten, könnten den Leser oft ratlos lassen, wenn der Herausgeber nicht in der Einleitung eine einleuchtende Sys­-tematik vorgeben würde. Denn immerhin finden sich unter www. bestattungsplanung.de (so Mai 2010) 23 Bestattungsarten, darunter anonyme Erd- wie Feuerbestattung, Baumbestattung, Beisetzung in einer Urnenstele, Kolumbarium, Diamantbestattung, Gemeinschaftsgrab mit und ohne Namenstafel, Körperspende, Kryonik, Naturverstreuung, Plastination, Promession etc. Das Interesse an alternativen Bestattungsformen ist merklich gestiegen, auch wenn manche Formen noch auf nur geringen Zuspruch stoßen. »Die Beziehung zum Tod und seinen Folgen wird wählbar« (7).
Klie versucht, das bunte Potpourri dieser Formenfülle unter dem Aspekt der jeweils zugrunde liegenden Motivationen zu systematisieren, wobei er – und das erscheint durchaus plausibel – die Auffassung vertritt, dass sich parallel zur klassischen kirchlichen Erdbestattung drei übergeordnete Handlungslogiken herausgebildet hätten: ein naturreligiös-ökologischer Code, ein ästhetisch-performativer Code und ein anonymisierend-altruistischer Code. Ersterer sei am deutlichsten ausgeprägt in einer kompostierbaren Urne bei der Baumbestattung: Die Asche wird als Nährstoff aufgenommen und in Biomasse umgewandelt – eine Art Auferstehung als biologischer Stoffwechselzyklus. Der ästhetisch-performative Code zeige sich besonders deutlich bei aus Kremationsasche gefertigten Diamanten. Hier werde der Tod nicht als das natürliche Ende gesehen, im Gegenteil komme es zu einer ganz neuen Wertschätzung des nachtodlichen Körpers. Man könne in diesem Code geradezu eine dauerpräsente Nekrophilie, eine Todesversessenheit als postmortales Pendant zur Lebensversessenheit sehen. Er verweist auch auf damit in Verbindung stehende musikalische Präferenzen wie fröhliche Popsongs zur Beisetzung. Zu diesem Code gehört die postmortale Zurschaustellung in der Plastination von Leichen, wohl eine spätmoderne Form der Einbalsamierung. Jeweils werden die sterblichen Überreste veredelt. Auch beim anonymisierend-altruistischen Code bildet die Verbrennung die Grundlage, so bei der Urnenbeisetzung auf einem anonymen Gräberfeld. Dafür gibt es den altruistischen Grund, den Hinterbliebenen in keiner Weise zur Last zu fallen.
Es muss davon ausgegangen werden, dass der geschilderte Prozess unumkehrbar ist. Die Christen müssen sich dieser Pluralisierung stellen. Die Kirche ist den Menschen angesichts der Verunsicherungen im Bestattungswesen ihre Sicht der Dinge schuldig, indem sie die Osterbotschaft liturgisch zur Darstellung bringt. Das kann sie auch bei veränderten Bestattungsformen und Riten, wenn auch immer erst zu prüfen ist, ob diese Formen mit dem Glauben kompatibel sind.
Die Einzelbeiträge geben einen Einblick in diesen Wandel, den die Gemeinden zunächst aufmerksam wahrnehmen müssen, um christliche Antworten darauf zu finden. Sie behandeln ganz unterschiedliche Themen wie Bestattungsrituale im Wandel, Totenrede oder Predigt, Tod im Cyberspace, Krematorium und Urne. Der Friedhof selbst kommt kaum in den Blick, doch gab es dazu bei Kohlhammer schon 2005 den Band »Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und Lebenden«. Wer sich dem mit ungeheurer Ge­schwindigkeit vollziehenden Wandel im Umgang mit dem Tod stellen oder sich zumindest darüber informieren will, hat in diesem Buch eine verlässliche Grundlage dafür.